Wer die Schau „Beethoven bewegt“ im Kunsthistorischen Museum 2020/’21 gesehen hat, wird das hängende Piano vielleicht kennen. Ansonsten aber ist das Werk von Rebecca Horn in Wien lange kaum präsent gewesen, allen Beteuerungen zum Trotz, dass die 1944 Geborene die „Grande Dame der deutschen Kunst“ sei. Die Werkschau des Kunstforums, die diese Lücke schließt, wird für viele eine Neu- oder Wiederentdeckung sein, wobei Horns Skulpturen, Installationen und Bilder unmittelbar sinnlich einnehmen und gleichermaßen Rätsel aufgeben.
Nicht nur die Ausstellungstechnik, auch das Werk selbst erscheint dabei in vielerlei Hinsicht als Herausforderung der Statik: Man wird keine festen Skulptursockel finden, dafür lanzenartige Pendel, die teils bedrohlich kreisen, Quecksilber, das in einem Kasten umherwabert, Schaukeln, von der Decke hängende Winchester-Gewehre, die sich in einem mechanischen Tanz zueinander bewegen, um dann rote Farbe abzuschießen – „High Moon“ heißt die Arbeit mit Anklang an die Western-Ästhetik.
Im Souterrain laufen dazu Filme wie „Der Eintänzer“ (1978), in denen die Charaktere ebenso den Boden unter den Füßen zu verlieren scheinen. Zwischen 1972 und 1990, erklärt Kuratorin Bettina M. Busse, war Horn vor allem als Filmemacherin tätig, wobei sich das bildnerische Werk vielfach mit dem Bewegtbild überlagert. Viele Objekte – darunter das Piano – hatten auch Rollen in Horns Filmen.
Die Genese dieser Maschinen und scheinbar belebten Objekte erschließt sich in der Schau nach und nach. Als biografische Zäsur gilt dabei eine Lungenvergiftung, die sich Horn 1967 bei Experimenten mit Polyester und Fiberglas zuzog und die einen fast einjährigen Krankenhausaufenthalt zur Folge hatte.
Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit veranlasste sie dazu, Prothesen zu bauen: „Handschuhfinger“ etwa, mit denen sie Kontakt zu Boden und Wand aufbauen konnte; ein „Körperfächer“, der den fragilen Körper in ein ausladendes Skulpturobjekt verwandelte; eine „Bleistiftmaske“, die das Zeichnen mit dem Kopf ermöglicht. Mit einem am Kopf getragenen Kegel stilisierte sich Horn zum „Einhorn“ – mit all den vielfältigen Bezügen, die diese Figur erlaubt.
In einem weiteren Schritt verselbstständigen sich die Prothesen: Sie werden zu motorbetriebenen Objekten, die – wie etwa im Fall der „Pfauenmaschine“ 1981 – einen mit Schönheit füllen können.
Die symbolische Umkehrung von Prothesen – vom Zeichen eines Defizits zu einem Zeichen von Stärke und Schönheit, mitunter auch zu einer Waffe – hat eine Vor- und Nachgeschichte. Das Werk des Österreichers Markus Schinwald fällt einem dazu ein, aber auch die Mythologie der Superhelden, die Horn wohl eher nicht im Blick hatte. Die Referenzpunkte ihrer Zeit waren die Fluxus-Bewegung, die „Arte Povera“ oder Joseph Beuys.
Gerade vor dem Hintergrund aktueller Diskurse ist es aber höchst anregend, sich mit Horns Werk auseinanderzusetzen. Denn gilt es nicht gerade wieder, unser Verhältnis zu Maschinen und Prothesen von Neuem auszuhandeln? Träumen nicht gerade etliche (meist männliche) „Visionäre“ davon, mithilfe von Maschinen die menschliche Gebrechlichkeit endgültig zu überwinden, Stichwort „Transhumanismus“?
Rebecca Horns Oeuvre setzt solchen Allmachtsfantasien eine Welt entgegen, in der gerade das Fragile und Unsichere einen Platz hat. Es streicht hervor, dass gerade in der Fallhöhe von der Sicherheit zum Abgrund oft Schönheit zu finden ist – und dass die menschliche Suche nach einem Boden unter den Füßen auf absehbare Zeit nicht abgeschlossen sein wird.
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