Dass solche Bilder über zeitliche und kulturelle Grenzen hinweg als „schön“ empfunden werden, begründet die Strahlkraft Tizians bis heute – wenngleich die vielen, teils von einer Werkstatt ausgeführten Varianten seiner „Greatest Hits“ es schwieriger machen, prägnante Ikonen herauszufiltern, als etwa bei Leonardo da Vinci.
Dass der Venezianer überhaupt so eine Nachfrage nach seinen Frauenbildnissen erzeugen und die Kunstproduktion über Jahrhunderte prägen konnte, lässt sich freilich nicht damit erklären, dass er zufällig auf universelle Formeln gestoßen wäre: Tizians Werk ist aufs Engste mit der Gesellschaft Venedigs und ihren Konventionen verbunden.
Die von Sylvia Ferino-Pagden, bis 2015 Leiterin der KHM-Gemäldegalerie, konzipierte Ausstellung baut hier auf geballtem Forschungswissen auf, das viele nicht-künstlerische Quellen mit einschließt.
So war die Produktion von Frauenbildnissen etwa oft in einen Wettstreit zwischen Malern und Literaten eingebunden, in dem Poeten Lobgesänge auf Bildnisse verfassten. Die Kraft der Dichtung, Gefühle auszulösen, sollte noch jene der Malerei übertreffen.
Auch die Hintergründe der „Belle Veneziane“, die im Auftaktsaal der Schau strahlen dürfen, sind komplex: Ferino-Pagden argumentiert, dass diese Bildnisse von Frauen – oft mit blonden Haaren, was dem Ideal der Zeit entsprach – überwiegend Bräute darstellen, und eher selten, wie oft angenommen, Kurtisanen oder Edelprostituierte. Dass Tizian, gewissermaßen als Lockangebot für Auftraggeber, auch „Fantasieschönheiten“ erfand und diese je nach Wunsch anders ausstattete, zeigt ein Bildertrio, in dem die berühmte „Junge Frau im Pelz“ aus dem KHM (1534–’36) Damenbildnissen gegenübergestellt ist, in denen ganz offensichtlich dasselbe Modell in unterschiedlichem Gewand zu sehen ist.
Die Exkurse ins literarische Venedig und zu jenen Frauen, die trotz repressiver Verhältnisse selbst literarisch tätig wurden, sind in den Vitrinen und Kabinetten der Schau nicht selbsterklärend – bei aller Schönheit und Erotik ist es eine wissenschaftlich getriebene Ausstellung, die Vermittlung braucht.
Wer wusste etwa, dass die Patrizierfamilien Venedigs, um ihre Macht und ihr Vermögen nicht zu zersplittern, meist nur Erstgeborene vermählten? 1581 lebten mehr als die Hälfte der „reichen Töchter“ in einem Kloster, viele davon unfreiwillig. Unter den Männern, die daneben in erotischen Vorstellungen schwelgten und Kontakt zu Kurtisanen pflegten, waren viele Junggesellen, die keine Ehefrau abbekommen hatten.
Die im letzten Saal gezeigten „Poesien“ von Tizian und einigen Nachfolgern – mythologische Szenen, deren gemeinsamer Nenner eine nackte Frau ist – bedienten da zweifellos voyeuristische Bedürfnisse, wenn auch in hochkulturellem Rahmen. Im KHM kann, ja muss man zwischen kulturhistorischer Reflexion und direkter Wirkung hin- und herschalten. Denn es natürlich auch schlicht ganz famose Malerei.
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