Frank Tallis spielt in seinen bisher sieben Liebermann-Romane mit einem doppelten Gruseleffekt: Mit den rätselhaften Verbrechen, die Wien um 1900 erschüttern: Und mit dem Grauen der Leser, die aus den Zutaten der Kriminalrätsel auch die Vorzeichen der kommenden Katastrophen der Weltkriege herauslesen können.
Auch die Namen von Tallis’ Ermittlerduo geben Aufschluss über die tieferen Bedeutungsebenen seiner Kriminalromane. Da ist einmal Oskar Rheinhardt. Er ist benannt nach Max Rheinhardt – jenem österreichischen Regisseur und Theatermacher, der wegen seiner jüdischen Herkunft 1937 in die USA emigrieren musste. Gespielt wird er in der TV-Verfilmung vom österreichischen Publikumsliebling Juergen Maurer, der gerne unangepasste Charaktere verkörpert.
Der Psycho-Profiler Dr. Max Liebermann wird vom britischen Schauspieler Matthew Beard gespielt. Sein Rollen-Name geht auf den deutschen Maler und Impressionisten Max Liebermann zurück, dem Tallis in seinen Büchern ein Denkmal setzen wollte. Denn es war Liebermann, der beim Betrachten des Fackelzuges zu Adolf Hitlers Machtübernahme am 30. Jänner 1933 meinte: „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“
KURIER: War Ihnen von Anfang an bekannt, dass Frank Tallis seine Charaktere ganz bewusst nach realen Figuren benannte, die er wegen ihrer Kunst und ihrer politischen Haltung schätzt?
Matthew Beard: Ich kannte anfangs nur die Namen jener Künstler, für die das Jahrhundertwende-Wien zu Recht international berühmt ist. Wie Egon Schiele, Gustav Klimt, Gustav Mahler – und natürlich Sigmund Freud. Aber ich wusste nichts vom damaligen Bürgermeister Karl Lueger. Es war unser Regisseur, Robert Dornhelm, der mir viel über die damalige Politik und die sozialen Ungerechtigkeiten erzählte, denn er wollte zwar in erster Linie einen spannenden Krimi drehen, aber die gesellschaftlichen Hintergründe der Zeit und der bevorstehende Untergang der Donaumonarchie sollten dabei immer spürbar sein. Und da ist es gut, wenn man als Schauspieler darüber Bescheid weiß. Und natürlich habe ich auch Max Liebermann gegoogelt. Aber ich wusste nicht, dass es auch einen Max Rheinhardt gab.
Juergen Maurer: Er hat die Salzburger Festspiele gegründet und war ein großer Theatermann. Ich wusste nicht, dass meine Figur nach ihm benannt ist – aber das gefällt mir sehr. Vor allem, weil er es war, der sagte, dass Schauspieler stets ihre Jugend in der Tasche mit sich tragen …
Man sagt ja, dass ein Krimi das beste Medium für Sozialkritik ist. Nun spielen die Liebermann-Krimis ja vor mehr als hundert Jahren. Sagen sie Ihrer Meinung nach trotzdem auch etwas aus über unsere heutige Zeit?
Matthew Beard: Ich hoffe nicht – aber es gibt auf jeden Fall viele Anzeichen dafür. In England, wo ich herkomme, ist rund um den Brexit immer wieder von den alten Feindschaften innerhalb Europas die Rede. Wir haben die zwei Weltkriege im vorigen Jahrhundert noch immer nicht überwunden und begriffen, dass wir nur als Verbündete in eine bessere Zukunft gehen können. Aber das Gute an unseren Liebermann-Krimis ist, dass die Verhängnisse und Versäumnisse unserer Geschichte zwar immer präsent sind, aber uns die Schlüsse, die wir ziehen sollten, nicht „hineingerieben“ werden.
Juergen Maurer: Wir wollen spannende Unterhaltung bieten, aber gleichzeitig auch zum Nachdenken anregen. So kommt ein Mann vor, der als reicher Industrieller auch Einfluss auf den Bürgermeister hat. Er betont, dass er und Seinesgleichen mit ihrem Geld Wien „gemacht“ hätten – und mit ihren Wahlspenden auch den populistischen Bürgermeister, der damals Karl Lueger hieß. Das sagt auch viel über unsere heutige Zeit aus. Heute glauben auch Industrielle und sogar Politiker, dass sie alles kaufen können – auch Zeitungen und die öffentliche Meinung.
In dem Film geht es auch um die Entwicklung einer Freundschaft zwischen Liebermann und Rheinhardt. Hat sich auch eine Beziehung zwischen Beard und Maurer entwickelt?
Matthew Beard: Für mich war es großartig, dass wir sehr unterschiedliche Menschen spielen konnten, die einander durch die Arbeit immer näherkommen. Genauso hat sich die Freundschaft auch zwischen Juergen und mir entwickelt, die inzwischen sehr eng geworden ist. So etwas ist immer ein Glücksspiel. Genauso könnte es passieren, dass sich zwischen uns eine Abneigung entwickelt, gegen die wir dann unser schauspielerisches Können einsetzen müssen, damit es das Publikum nicht merkt. So war es auf jeden Fall einfacher (lacht).
Haben Sie auch privat voneinander gelernt?
Juergen Maurer: Ja, sehr viel. Wir kommen aus verschiedenen Schauspiel-Traditionen. Ich hatte bisher zum Beispiel, was das Darstellen von Emotionen betrifft, eine Art Drehknopf von 1 bis 10, mit dem ich diverse Stimmungen einstellen konnte. Bei Matthew habe ich bemerkt, dass er auch über so einen Drehknopf verfügt, den aber von 1 auf 1,1 auf 1,2 auf 1,3 und so weiter … stellen kann. Sein Mienenspiel ist ungeheuer differenziert, und da habe ich mir einiges abgeschaut.
Und was konnte Matthew Beard von Juergen Maurer lernen?
Matthew Beard: Juergen ist ein großartiger Entertainer, der in den Drehpausen das ganze Filmteam unterhalten und zum Lachen bringen kann. Ich habe auch von Juergen gelernt, wie man als Hauptdarsteller agiert. Ich habe bisher hauptsächlich Nebenrollen gespielt – und plötzlich bin ich die Titelfigur – so etwas wie der Kapitän dieses Schiffs.
Haben Sie während der Dreharbeiten in Wien auch Deutsch gelernt?
Matthew Beard (lacht): Ja, wie zum Beispiel: „Heast Oida, pudel di net auf!“ Und wenn wir die Serie weiterdrehen – was ich sehr hoffe – dann werde ich sicher noch viel mehr lernen. In England sind die ersten drei Filme ja schon mit größtem Erfolg gelaufen – und das wird in den USA sicher auch so sein.
Text: Gabriele Flossmann.
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