Pipilotti und die Wunderlampen
Es ist keine normale Ausstellung, die Pipilotti Rist in der Kunsthalle Krems ausgerichtet hat: Gleich im ersten Raum dürfen sich Besucherinnen und Besucher auf Betten legen und an die Decke blicken; nackte Körper, Pflanzen, Früchte kommen auf sie zu, seltsame Klänge wabern durch den Raum, alles wirkt greifbar nahe.
"Ich wollte immer Technik und unseren fleischlichen Körper nicht als Gegensätze, sondern als Einheit darstellen", erklärt Rist, als sie der KURIER während der Aufbauarbeiten trifft. Ihre überwältigenden Rauminstallationen haben der 1962 geborenen Schweizerin den Ruf als eine der wichtigsten Videokünstlerinnen weltweit eingebracht; die Kremser Schau wirft nun auch Blicke in Rists Frühzeit nach Abschluss ihres Studiums an der Wiener "Angewandten" 1986. Damals war Video grobkörnig und störungsanfällig, und Rist gestaltete eine ganze Projektion ("Pipilottis Fehler", 1988) aus Abweichungen.
"Mit der schlechten Auflösung ist immer wieder dieser Moment erschienen, dass das Bild eine Kopie unserer Umwelt ist und dass wir versuchen, unsere Gefühle und Geschichten hinter Gläser zu drücken", sagt Rist. "Das bewusst zu machen, ist schwieriger geworden."
Impressionen der Ausstellung
Fortschritt, Rückschritt
Die Schau sei auch ein Zeugnis der technischen Entwicklung der vergangenen 30 Jahre, befindet Rist. Die Entwicklung hochauflösender Digital-Formate, durch die die zauberhaften Rauminstallationen der Künstlerin erst möglich wurden, fiel ebenso in diese Zeit wie die Miniaturisierung von Videobildschirmen und -Kameras ins Handy-Format.
Durch diese tragbaren Bildmaschinen sei das Medium Video aber nicht unbedingt körperlicher geworden, findet Rist. "Da glaube ich, dass die Verkleinerung sicher ein Rückschritt war. Die Vereinzelung der Menschen kommt dazu: Früher hat das Fernsehprogramm eine ganze Familie auf diese Wunderlampe fokussiert. Heute sind wir ganz allein mit unseren kleinen Wunderlampen."
Rists Video-Räume sind als Gegenangebot zur Vereinzelung angelegt; von "Gemeinschaftskörpern" spricht die Künstlerin oft. Als eine Geistesverwandte nennt sie die 2014 verstorbene Maria Lassnig, die an der Wiener Angewandten auch Trickfilm unterrichtete. "Das Ziel, wenn wir mit dem Körper arbeiten, ist: Das Bild muss so gut werden, dass sich jeder identifizieren kann", sagt Rist. "Bei Lassnig habe ich das immer so empfunden."
Einen feministischen Ansatz stellt die Künstlerin vor diesem universellen Anspruch eher als nachrangig dar. Frauen und Männer würden in ihren Filmen für alle Menschen stehen – "ich denke, der Unterschied zwischen einzelnen Menschen ist viel größer als zwischen Geschlechtern."
Sex aus der Nähe
Außer Zweifel steht aber, dass die extremen Nahaufnahmen und Perspektiven in Rists Videos eine Absage an das traditionell männlich konnotierte, voyeuristische Gaffen aus der Distanz darstellen.
Dass ihre Bild-Forschungen, die an Tabus und Sehgewohnheiten rütteln, nicht überall möglich sind, musste Rist auch in Wien feststellen: Bei ihrer Deckengestaltung im "Sofitel" am Donaukanal musste die Künstlerin viele Kompromisse eingehen, auch nackte Füße konnten auf den Videoscreens nicht gezeigt werden.
Alles nur Licht
"Man darf nackte Steinstatuen aufstellen, aber man darf keine Nackten in Videos im öffentlichen Raum zeigen, obwohl es nur elektronisches Licht ist", sagt Rist, die den Umgang mit Videos gern auch in Schulen gelehrt sähe. "Es ist immer noch so, dass das als ,echt’ empfunden wird. Damit kann man auch arbeiten – aber die Abstraktionsfähigkeit wurde eigentlich immer magerer."
Video-Star in Krems
Die Künstlerin Pipilotti Rist wurde 1962 in Grabs/CH als Elisabeth Charlotte Rist geboren. Sie studierte von 1982 bis 1986 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien; ab den 1990ern entwickelte sie große Installationen, die u. a. auf der Biennale Venedig und im New Yorker MoMA gezeigt wurden.
Die Ausstellung Rists Werkschau mit dem Titel „Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an“ ist von 22. März bis 28. Juni in der Kunsthalle Krems zu sehen.
Link: www.kunsthalle.at
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