Pipilotti und die Wunderlampen

Für Videoräume, die die Betrachter "verschlingen", ist Rist bekannt: Blick in die Installation "Sip My Ocean" ("Schlürfe meinen Ozean"), 1996
Video-Künstlerin Pipilotti Rist über Handys, Pornos und ihre Retrospektive in der Kunsthalle Krems.

Es ist keine normale Ausstellung, die Pipilotti Rist in der Kunsthalle Krems ausgerichtet hat: Gleich im ersten Raum dürfen sich Besucherinnen und Besucher auf Betten legen und an die Decke blicken; nackte Körper, Pflanzen, Früchte kommen auf sie zu, seltsame Klänge wabern durch den Raum, alles wirkt greifbar nahe.

"Ich wollte immer Technik und unseren fleischlichen Körper nicht als Gegensätze, sondern als Einheit darstellen", erklärt Rist, als sie der KURIER während der Aufbauarbeiten trifft. Ihre überwältigenden Rauminstallationen haben der 1962 geborenen Schweizerin den Ruf als eine der wichtigsten Videokünstlerinnen weltweit eingebracht; die Kremser Schau wirft nun auch Blicke in Rists Frühzeit nach Abschluss ihres Studiums an der Wiener "Angewandten" 1986. Damals war Video grobkörnig und störungsanfällig, und Rist gestaltete eine ganze Projektion ("Pipilottis Fehler", 1988) aus Abweichungen.

"Mit der schlechten Auflösung ist immer wieder dieser Moment erschienen, dass das Bild eine Kopie unserer Umwelt ist und dass wir versuchen, unsere Gefühle und Geschichten hinter Gläser zu drücken", sagt Rist. "Das bewusst zu machen, ist schwieriger geworden."

Impressionen der Ausstellung

Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, Pickelporno (Pimple Porno), 1992.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, Ever Is Over All, 1997.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, I Couldn't Agree With You More, 1999.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, Homo Sapiens Sapiens, 2005_2.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, Homo Sapiens Sapiens, 2005.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, Lap Lamp, 2006.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, I’m Not The Girl Who Misses Much (Ich bin nicht das Mädchen, das viel vermisst), 1986.jpg
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Pipilotti Rist, (Entlastungen) Pipilottis Fehler (Absolutions) Pipilotti’s Mistakes, 1988.jpg
Pipilotti und die Wunderlampen

Pipilotti Rist, Selbstlos im Lavabad (Selfless In The Bath Of Lava), 1994.jpg

Fortschritt, Rückschritt

Die Schau sei auch ein Zeugnis der technischen Entwicklung der vergangenen 30 Jahre, befindet Rist. Die Entwicklung hochauflösender Digital-Formate, durch die die zauberhaften Rauminstallationen der Künstlerin erst möglich wurden, fiel ebenso in diese Zeit wie die Miniaturisierung von Videobildschirmen und -Kameras ins Handy-Format.

Durch diese tragbaren Bildmaschinen sei das Medium Video aber nicht unbedingt körperlicher geworden, findet Rist. "Da glaube ich, dass die Verkleinerung sicher ein Rückschritt war. Die Vereinzelung der Menschen kommt dazu: Früher hat das Fernsehprogramm eine ganze Familie auf diese Wunderlampe fokussiert. Heute sind wir ganz allein mit unseren kleinen Wunderlampen."

Rists Video-Räume sind als Gegenangebot zur Vereinzelung angelegt; von "Gemeinschaftskörpern" spricht die Künstlerin oft. Als eine Geistesverwandte nennt sie die 2014 verstorbene Maria Lassnig, die an der Wiener Angewandten auch Trickfilm unterrichtete. "Das Ziel, wenn wir mit dem Körper arbeiten, ist: Das Bild muss so gut werden, dass sich jeder identifizieren kann", sagt Rist. "Bei Lassnig habe ich das immer so empfunden."

Einen feministischen Ansatz stellt die Künstlerin vor diesem universellen Anspruch eher als nachrangig dar. Frauen und Männer würden in ihren Filmen für alle Menschen stehen – "ich denke, der Unterschied zwischen einzelnen Menschen ist viel größer als zwischen Geschlechtern."

Sex aus der Nähe

Außer Zweifel steht aber, dass die extremen Nahaufnahmen und Perspektiven in Rists Videos eine Absage an das traditionell männlich konnotierte, voyeuristische Gaffen aus der Distanz darstellen.

Pipilotti und die Wunderlampen
Pipilotti Rist
Pickelporno (Pimple Porno), 1992
Videostill
Das in Krems gezeigte Werk "Pickelporno" (1992), für das die Künstlerin die Körper zweier Liebender in extremer Nahsicht abfilmte, sei im Bezug auf das "Geschlechterschlamassel" und Pornografie sicher das klarste Statement, sagt Rist: "Wenn man etwas Allgemeingültiges finden will, ist der große Unterschied sicher der, dass es Frauen eher interessiert, was der andere beim Sex fühlt und denkt, als es aus einer dritten Position heraus zu sehen. Wobei es auch Frauen gibt, die gerne zwei Menschen beim Sex betrachten. Ich persönlich dachte immer, dass das die Schönheit sexueller Momente banalisiert. Aber ich brauche auch Bilder, und die Arbeit war ein Versuch herauszufinden, was solche Bilder wären."

Dass ihre Bild-Forschungen, die an Tabus und Sehgewohnheiten rütteln, nicht überall möglich sind, musste Rist auch in Wien feststellen: Bei ihrer Deckengestaltung im "Sofitel" am Donaukanal musste die Künstlerin viele Kompromisse eingehen, auch nackte Füße konnten auf den Videoscreens nicht gezeigt werden.

Alles nur Licht

Pipilotti und die Wunderlampen
Pipilotti Rist Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth Foto: Raphael Zubler
Insgesamt findet Rist Videokunst in öffentlichen Räumen problematisch – obwohl eine ihrer Arbeiten bereits am New Yorker Times Square zu sehen war. Ein bewegtes Bild habe immer eine "gewisse autoritäre Aufdringlichkeit", sagt die Künstlerin – und der Unterschied zwischen Realität und Abbildung, auf den sie seit Beginn ihrer Karriere aufmerksam machen will, sei immer noch nicht allgemein bewusst.

"Man darf nackte Steinstatuen aufstellen, aber man darf keine Nackten in Videos im öffentlichen Raum zeigen, obwohl es nur elektronisches Licht ist", sagt Rist, die den Umgang mit Videos gern auch in Schulen gelehrt sähe. "Es ist immer noch so, dass das als ,echt’ empfunden wird. Damit kann man auch arbeiten – aber die Abstraktionsfähigkeit wurde eigentlich immer magerer."

Video-Star in Krems

Die Künstlerin Pipilotti Rist wurde 1962 in Grabs/CH als Elisabeth Charlotte Rist geboren. Sie studierte von 1982 bis 1986 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien; ab den 1990ern entwickelte sie große Installationen, die u. a. auf der Biennale Venedig und im New Yorker MoMA gezeigt wurden.

Die Ausstellung Rists Werkschau mit dem Titel „Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an“ ist von 22. März bis 28. Juni in der Kunsthalle Krems zu sehen.

Link: www.kunsthalle.at

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