Versammelte Klassikkritiken: Thielemann und Levit, "Elektra", La Fenice, Linz
Der KURIER hat die wichtigsten Aufführungen des Wochenendes besucht - und mehr. Hier finden Sie die Kritiken zu
- Christian Thielemann, Igor Levit und die Wiener Philharmoniker mit Brahms
- Die "Elektra"-Wiederaufnahme mit Riccarda Merbeth, Camilla Nylund, Michaela Schuster an der Wiener Staatsoper
- "Hoffmanns Erzählungen" am La Fenice in Venedig
- "Cavalleria rusticana“ und "Pagliacci“ am Landestheater Linz.
Ereignishaft: Levit, Thielemann, Philharmoniker
Eine Kombination, von der man sich nicht vorstellen kann, dass sie heute zu übertreffen sei: Die Wiener Philharmoniker, der Dirigent Christian Thielemann und der Pianist Igor Levit im Abonnement-Konzert, Johannes Brahms gewidmet.
Schon in den ersten Takten des zweiten Klavierkonzerts in B-Dur, op. 83 kündigte sich Ereignishaftes an. Famos ertönt das Horn, Igor Levit stimmt genuin ein, lässt die Klänge des Steinways mit jenen des Horns verschmelzen. Dieses Einverständnis zwischen dem Solisten und dem Orchester setzt sich ungebrochen fort. Ein unvergleichlich harmonisches Wechselspiel bahnt sich an. Levit hält die Balance zwischen seinen aufwühlenden solistischen Passagen, faszinierenden Kadenzen und dem Zusammenspiel. Der langsame Satz ist so sublim, dass es den Atem raubt.
Frohsinnig
Thielemann generiert kammermusikalische Momente. Sehr schön das Cello-Solo, brillant gerät der Austausch zwischen Klarinette und Klavier. Im Finale finden sich diese Könner zu einer Art frohsinnigem Dialog mit einem Hauch von ungarischem Flair. Levit dankte dem Jubel mit einer Zugabe.
Thielemann setzte diese Brahms-Hommage mit der dritten Symphonie in F-Dur, op. 90 fort. Forsch, mit präzisen Akzenten setzte er auf ein sanftes Vorwärtsdrängen, ließ diesen goldenen Orchesterklang strömen. Feinste Nuancen machte er mit wenigen Gesten hörbar. Die philharmonischen Solisten übertrafen sich selbst. Passagen gerieten zum Schweben, das eingängige Thema war von fulminanter Klarheit. Jubel.
Von Susanne Zobl
Strauss’ „Elektra“ an der Staatsoper: Packendes, archaisches Psychodrama
Es ist höchst erfreulich, dass man an der Wiener Staatsoper wieder Richard Strauss „Elektra“ in der Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahr 1989 zeigt. Sie löste die ungeliebte, bei der Premiere 2015 heftig ausgebuhte Sichtweise von Uwe-Eric Laufenberg ab.
Erfreulich ist auch, dass man die musikalische Leitung wieder Alexander Soddy anvertraut, der zuletzt mit Verdis „Otello“ hier am Haus reüssierte und demnächst Humperdincks „Hänsel und Gretel“ dirigieren wird. Der Brite dirigiert das komplexe Werk souverän: Mit packendem Zugriff und exakten Gesten gelingt es ihm, im Orchester mitreißende Spannung und archaische Mystik zu erzeugen. Die Musiker entfalten eine luxuriöse Klangpracht, nur manchmal werden die Sänger etwas übertönt: So wirkt Riccarda Merbeth, kurzfristig eingesprungen für Aušrinė Stundytė, in dieser kräfteraubenden Titelrolle anfänglich etwas zu wenig stimmkräftig. Sie singt die Elektra aber bald mit gleißender Kraft und reichen Nuancen.
Camilla Nylund ist eine höhensichere Chrysothemis mit leuchtendem Sopran. Michaela Schusters Klytämnestra besticht mit ungemeiner Präsenz, messerscharfer Autorität. Bei ihr und bei Günther Groissböck versteht man jedes Wort. Dieser singt bei seinem Rollendebüt den Orest mit seinem schönen und warmtimbrierten Bass wunderbar.
Thomas Ebenstein ist ein idealer Aegisth. Auch die vielen, kleineren Rollen gefallen. Großer Jubel.
Von Helmut Christian Mayer
Lebendige Traumwelt: Am Teatro La Fenice zeigt man Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“
Ein Bösewicht zum Fürchten in einer aktionsreichen Traumwelt Venedig: Schon sein allererstes Erscheinen lässt einen erschauern. Auch sonst ist er die dominante Erscheinung bei Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, der diesjährigen Eröffnungsproduktion am wunderbaren Teatro La Fenice in Venedig.
Denn Alex Esposito ist ein ungemein bühnenpräsenter, dämonischer Bösewicht mit dunklem, kraftstrotzendem Organ, der auch mit Gesten und Mimik zum Fürchten ist. In der Titelrolle agiert Ivan Ayon Rivas zuerst als abgesandelter langhaariger Dichter, dann als Liebhaber, der mit allen Spitzentöne ungefährdet aufwarten kann, jedoch zum Finale etwas schneidend klingt. Paola Gardina ist eine leichtstimmige Muse, die wie eine Fee aus Walt Disney aus ihrer glänzenden Tasche grünen Feenstaub verteilt. Deswegen gibt es für Niklausse mit Giuseppina Bridelli eine zusätzliche gute Sängerin, die wie ein bunter Vogel ausstaffiert ist.
Rocio Pérez ist eine koloraturensichere und auch darstellerisch beeindruckende Olympia. Carmela Remigio als Antonia verfügt über einen runden, kraftvollen Sopran und singt mit großer Innigkeit. Véronique Gens ist eine ideale Giulietta.
Reiche emotionale Stimmungen kommen auch aus dem Orchestergraben: Da wartet Frédéric Chaslin beim Orchester des Teatro La Fenice mit viel Gespür für Feinheiten und Detailzeichnung, aber auch packenden Momenten auf. Viel Ballett ist auf der Bühne, nicht nur liebliche Figuren und bunte Vögel, sondern auch drei unheimliche Teufel, ein Stelzengeher, Niklausse schleppt immer einen Papagei mit: Mit vitalen Aktionen ohne Stillstand und übersprudelnden Ideen schöpft Damiano Michieletto aus dem Vollen und zeigt den Plot höchst gelungen in einem modernen, geschmackvollen Ambiente. Insgesamt eine poesie- und stimmungsvolle sowie lebendige Traumwelt, großer Jubel.
Von Helmut Christian Mayer
Wie ein Thriller: „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ am Landestheater Linz
Untrennbar bilden „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und „Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo bis heute den künstlerisch gelungenen Beweis für den musikalischen Naturalismus, den Verismo. Sie liegen mit den blutvollen, populären Melodien bis heute noch ganz oben in der Publikumsgunst, so auch jetzt am Linzer Landestheater. Das liegt einmal an Enrico Calesso, der im Bruckner Orchester Linz viel Leidenschaft zu zünden vermag: So lässt er es schillern und funkeln und an subtilen, berührenden aber auch packenden Emotionen nicht fehlen.
Das Sängerensemble führt Sung-Kyu Park an, in beiden Opern die tenorale Hauptpartie singend. Sein Organ verfügt über strahlende Höhen und scheint keine Grenzen zu kennen. Elena Batoukova-Kerl ist eine hochdramatisch kraftvolle Santuzza, vermag aber auch mit herrlichem Mezza voce zu singen. Ilona Revolskaya hat für die Nedda eine zu leichte Stimme, der es immer wieder an Präsenz fehlt. Das Gleiche gilt für Adam Kim, dessen Bariton sowohl für den Alfio und Tonio zu klein ist, wodurch er fallweise zum Forcieren gezwungen ist.
Regisseurin Alexandra Liedtke zeigt den Verismo fast wie in einem Thriller, besonders im Finale von „Pagliacci“, der auch insgesamt stringenter gelungen ist und topaktuell von einem Femizid handelt. In „Cavalleria“ führt sie auch als stumme Rolle Lolas Sohn ein, der das Messer, mit dem sein Vater Alfio den Nebenbuhler Turiddu tötet, bewundernd an sich nimmt und so die blutige Problemlösungskompetenz „erbt“.
Gezeigt wird dies alles in engen Guckkästen, die offenbar die patriarchalischen, religiösen Zwänge symbolisieren sollen. Das bewirkt eine Verdichtung des Dramas, aber auch und durch die von vielen Personen geschaffene, vollgestopfte Enge in heutigen Kostümen (Su Bühler) eine gewisse Statik, besonders beim Beginn von „Cavalleria“. Hier erlebt man auch ein seltsames, sich stereotyp bewegendes Paar.
Kurzer, starker Applaus.
Von Helmut Christian Mayer
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