"Verklärte Nacht": Reise nach Absurdistan

"Verklärte Nacht": Reise nach Absurdistan
Kritik - Eine Groteske über Liebe im Internetzeitalter: „Verklärte Nacht“ von Joshua Sobol im stadtTheater walfischgasse.

Man mag es Chuzpe nennen, dass es fünfzehn Jahre gedauert hat, bis Joshua Sobols „Verklärte Nacht“ auf eine Theaterbühne fand. Was damals eine Utopie beschrieb, ist heute längst Realität. Das Stück, uraufgeführt Dienstag im stadtTheater walfischgasse, unterscheidet sich von Klassikern wie „Ghetto“, „Weiningers Nacht“, „Alma“ und „Augenzeuge“ (über den Fall Jägerstätter) des israelischen Dramatikers insofern, als es im Hier und Jetzt von Absurdistan spielt.

Steril

Auf der Videowand in einem quasi bakterienfreien Wohnzimmer-Ambiente, in dem sich die Screen-Wände auf Zuruf oder Wink verändern, tanzen blaue Augen, schwimmen bunte Fische oder lächeln Buddha-Köpfe aus Stein: Illustration für ein steriles und unpersönliches Leben im Hightech-Tower mit austauschbaren Menschen, wo schon als menschliche Regung empfunden wird, wenn ein Verrückter in den Lift pisst. Prompt irrt sich ein Mann in der Tür und schläft aus Versehen mit einer Frau, die nicht die eigene ist. Wie Joshua Sobols Frau Edna auch diese Szene mit einem Bilder-Tsunami aus lippenleckenden Zungen und Kussmündern im Dutzend visualisiert, macht schmunzeln und ist ein wesentlicher Teil der Inszenierung.

Der richtige Sex mit dem falschen Partner macht redselig. Er tölpelt als Analphabet des Zwischenmenschlichen durch die Szenerie. Sie – eine Computerexpertin, verheiratet mit einem Systemtechniker, der gerade auf Geschäftsreise ist – hat schnell übernasert: Das war nicht Sex mit dem Ehemann. Dazu war’s zu gut. Vorhin im Bett.

Sprengfalle Hightech

Erzählt wird aber auch und vor allem, wie der Cyberspace die Wirklichkeit verdrängt. Wie die Welt alles Reale verliert. Wie uns der mit iPhone, iPad, Apps, Laptop, Internet, Twitter, Facebook und anderen Lebenszeit- und Aufmerksamkeitskillern möblierte Alltag zu etwas gemacht hat, das von der Wirklichkeit Lichtjahre entfernt ist. Zum Beispiel zweisam einsam statt glücklich. Und wirklich vulgo echt sind für sie die knackigen Pomelos, die Mann in der Hose hat: „Was interessiert mich das Chaos auf meinem Desktop, wenn ich mit dem Joystick spielen kann.“ Das sich in einer Traumwelt – oder ist’s ein Rollenspiel? – liebende und in der Realität zugleich fremde Paar sind Erik Jan Rippmann und die außerordentlich bühnenpräsente Mercedes Echerer. Er ist fast schon rührend in seiner typisch männlichen Hilf- und Sprachlosigkeit, sie fulminant in ihrem Fühlen und Begehren, in ihrer Fantasie und Sehnsucht.

Rasend

Und die ewigen Fragen, sie klingen in „Verklärte Nacht“ wie eine Variation auf einen Witz von Woody Allen: Wo bin ich? Wer bin ich? Und wo geht’s hier zum Klo?

Die Moral von der Geschicht’: Da ist das, was man träumt, und das, was ist.

Dazwischen liegt eine Kluft, die trägt man mit sich spazieren. Die muss man jeden Tag neu aushalten. Sie zusammenhalten, weil es einen sonst zerreißt. Oder, wie Christian Morgenstern sagte: Lass die Moleküle rasen – heilig halte die Ekstasen!

KURIER-Wertung: ***** von *****

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