Veit Heinichen gibt Commissario Laurenti eine Pause

Veit Heinichen gibt Commissario Laurenti eine Pause
KURIER-Gespräch mit dem Besellerautor über die neue Heldin Xenia Zannier, über falsche Götter und das österreichische Telefonbuch.

Veit Heinichen - Bild oben - , der Deutschen liebster Italiener (weil er seit 22 Jahren bei Triest lebt) hat einen neuen Kriminalroman geschrieben.
Eine Überraschung:  In „Borderless“ spielt  sein berühmter Commissario Proteo Laurenti nicht mit.
Laurenti wurde nach zehn Romanen von der knapp am Wahnsinn gebauten Polizistin Xenia Zannier ersetzt.

Während des KURIER-Gesprächs kochte Veit Heinichen Hühnersuppe.

 

KURIER: Wieso ist Laurenti weg vom Fenster?
Veit Heinichen
: Wer weiß, was passiert wäre, hätte ich nicht diese faszinierende, knapp vierzigjährige Frau kennengelernt … In Wahrheit ist mir Xenia Zannier schon vor ein paar Jahren über den Weg gelaufen. Irgendwann war es Zeit, dazu zu stehen, dass ich fremdgehe. Das soll ja nichts Seltenes sein, hört man so.

Was gefällt Ihnen an Xenia?
Sie ist einzigartig: Attraktiv, vielsprachig, kampferfahren, respektlos, neurotisch – und wohl von niemandem aufzuhalten. Mal sehen, wie lange meine Affäre mit ihr dauern wird, bevor sie mich zum Teufel jagt.

Ist das Ihre besondere Art der Midlife-Crisis?
 Ach was. Weder Midlife-Crisis noch Burn-out.  „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“, ließ schon Goethe seinen Zauberlehrling ächzen.   Mein Verhältnis zu Proteo Laurenti  war ja nie freundschaftlich. Er beutet mich aus, lässt mich seine Fälle lösen ... und wenn ich einmal seine Hilfe brauche, wegen einer Geschwindigkeitsübertretung zum Beispiel, die ich ja in seinem Dienst begangen habe, dann lässt mich dieser Sack hängen. Ich  versuchte ihn im Roman „Totentanz“ umzubringen. Erfolglos.  Was blieb mir  anderes übrig? Ich geh’ fremd, ich setz’ ihm die Hörner auf. Kommt in den feinsten Familien vor.
 
Sie sind ein zorniger, entsetzter Mann, weil die Demokratie in Gefahr ist. Nun herrscht in Italien als wahrer Premier Matteo Salvini. Ist das Zufall, dass Ihre neue Heldin in Rom Polizeikarriere machte, wo sie die Politik besser kontrollieren kann?
Ich hoffe sehr, es herrscht Einigkeit darüber, dass die Demokratie der höchste zu verteidigende Wert unserer Gesellschaften ist. Und ich bin die Überheblichkeit ziemlich leid, dass man im deutschsprachigen Ausland stets mit dem Finger auf Italien zeigt, anstatt vor der eigenen Tür aufzuräumen. Salvini ist kein Einzelner, Sie haben in Österreich nicht wenig mit braunem Sumpf zu kämpfen. Marine Le Pen in Frankreich, Orban in Ungarn, die AfD bei den Piefkes, und auch Seehofer ist nicht zu vergessen. Einer ohne den anderen funktioniert nicht. Die Italiener als die Trottel Europas darzustellen, hilft niemand.

Wer hat versagt?
Das Versagen der klassischen Volksparteien, die Entfernung zu ihren Wählern, hat viel Freiraum gelassen für politische Scharlatane und falsche Heilsbringer. Sie predigen Hass und  propagieren einfache Lösungen, die auf die brennenden Probleme nicht anwendbar sind. Diese falschen Götter halten sich entweder für größenwahnsinnig. Oder sie lügen ohne mit der Wimper zu zucken. Und ihre Wähler erlauben das!

Sie sind jetzt so schön in Rage. Reden Sie ruhig weiter.
Klar haben wir Probleme in Europa, aber nicht erst seit gestern. Migration hat es immer schon gegeben: Werfen Sie doch einen Blick ins österreichische Telefonbuch. Die allgemeine Kriminalität hingegen ist rückläufig. Ängste schüren zeigt Führungsschwäche und Inkompetenz. Ja, wen wählen wir eigentlich in unsere Parlamente? Das sind keine Volksvertreter im Sinne der demokratischen Grundidee …

Ihre Hühnersuppe geht über!
(dreht ab)  Manchen Menschen ist es einfach zu unbequem, den wahren Dingen in die Augen zu sehen. Einschnitte ins Bildungssystem sind stets der erste Schritt. Der Versuch in die Medien, vor allem die öffentlich-rechtlichen, zu drängen und jede Form von Widerspruch auszuschalten, der nächste. Und das alles hat es ja schon einmal gegeben. Wie dumm und lernunwillig sind wir eigentlich und merken nicht, dass der in den letzten Jahren erarbeitete Wohlstand und die Sicherheit nur durch Einbeziehung aller möglich war? Ich halte den Einsatz dieser Errungenschaften zu hoch, um ihn durch politische Hütchenspieler zu riskieren ... Ich könnte noch unendlich weiterreden.

Zur Abkühlung: Ihre Ehefrau Ami Scabar hat in Triest das beste  Restaurant weit und breit. Haben Sie Laurenti dort denn nie eingeladen?
Er ist durchaus im Ristorante Scabar zu Gast, sein jüngster Sohn machte dort schließlich die Ausbildung zum Koch.  Auch das gehört zum komplexen Verhältnis
zu meinem Protagonisten: Wenn er ein Lokal betritt, ob die Gran Malabar oder Scabar, geh’ ich hinaus. Er ist leider der Meinung, dass ich nicht nur für ihn arbeiten soll, sondern auch noch seine Rechnung zu begleichen hätte. Er trinkt sehr gerne sehr viel und guten Wein.  Und er kommt auch nie allein, als hätte er Schiss vor der direkten Konfrontation. Ich bin doch nicht so blöd, um auch noch seine Rechnung zu übernehmen und mir von ihm den Feierabend versauen zu lassen!

Sie haben, wie Sie es einmal bezeichneten, ein Juckverhältnis zu Ihrem alten Helden.
Es ist eine Frage der Macht. Glauben Sie mir, es blieb mir wirklich nichts anderes übrig, als ihn mal für eine gewisse Zeit auf die Reservebank zu schicken. Aber ich merke es, der Kerl scharrt schon wieder.

***

Grado ist kein ruhiges Plätzchen mehr

Soll niemand sagen, Grado  ist ein langweiliges Kaff.
Zum ersten Mal  schafft es ein Frachtschiff, von der Türkei aus syrische und pakistanische Flüchtlinge an die Obere Adria zu bringen.
Außerdem wird der Badeort zugepflastert mit Parolen gegen die EU, und ein deutscher Geheimdienstler ist mit seinem Auto in den Kanal der Fischer gerollt. Er ertrinkt vor den Augen der Gäste eines Restaurants.
In Salzburg war’s ja auch schon einmal ruhiger.
Vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft wird ein Aufdeckerjournalist mit einem Krummschwert getötet. Er  hatte in einem Betrugsfall um eine Kärntner Bank recherchiert, der sehr an die Vorgänge um die Hypo Alpe-Adria erinnert. Sein Mörder fuhr auf einem Motorrad mit kroatischem Kennzeichen.
So geht’s in „Borderless“ zu. Es ist der erste Auftritt  Xenia Zanniers. In Rom hatte die Kommissarin große Erfolge. Wieso ließ sie sich nach Grado versetzen? Wieso kämpft sie von dort gegen eine  korrupte, Rechtsradikale unterstützende Senatorin? Das ist ein Geheimnis und wird nicht ausgeplaudert.
Veit Heinichen arbeitet an Xenia Zannier bestimmt noch weiter ... falls die Affäre  fortgesetzt wird. Mindestens ebenso wichtig wie die Erschaffung der neuen Heldin ist dem Bestsellerautor aber, von der organisierten Kriminalität zu erzählen.
Vom Volksvermögen einiger jugoslawischer Teilstaaten, das von der Balkanmafia ins Ausland geschafft wurde. Vom Waffenhandel. Von Giftgas. Von Schlepperbanden. Von künstlichen Unruhen.
Wenn auch diesmal Commissario Laurenti Pause macht: Veit Heinichens wohltuende Wut ist immer dabei.

 

Veit
Heinichen:
Borderless
Piper Verlag.
464 Seiten.
17,50 Euro.
 

KURIER-Wertung: ****

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