"Universum": Die "Taubengang" von New York

Das mit den Tauben ist keine einfache Sache, da wird es schnell emotional. Die einen verjagen sie, die anderen füttern sie – und sprechen sogar mit ihnen. Außerdem: Taube ist nicht gleich Taube. Es gibt Ringeltauben, Türkentauben, Turteltauben und Straßentauben. Letztere sind vor allem in urbanen Räumen sesshaft – besonders dort, wo Menschen Essen fallen lassen. Das zieht Stadttauben magisch an – was ihnen den Beinamen „Flugratte“ eingebracht hat.
„Völlig zu Unrecht“, sagt „Universum“-Chef Gernot Lercher im KURIER-Interview. Daher wolle man auch mit einer Doku „das Image dieses wirklich außergewöhnlich klugen und geschickten Vogels aufpolieren“.
Eine österreichische Taube werden Sie in diesen 45 Minuten aber nicht zu Gesicht bekommen. Denn die schottischen Naturfilmer Jackie Savery und Nigel Pope haben London und New York als Kulisse für ihren Film gewählt. „In London begleiten wir die Taube ,Nelson‘ durch ihren abenteuerlichen Alltag, und im Big Apple beobachten wir die ,Taubengang of New York‘.“
KURIER: Herr Lercher, Sie leiten seit 2020 „Universum“. Was konnten Sie in den ersten vier Jahren realisieren?
Gernot Lercher: Wie versuchen in vielen unserer Projekte zu zeigen, wie wichtig es ist, die Natur und die Wildnis bewusst zu schützen. Das bedeutet, wir richten die Kamera also nicht nur mehr dorthin, wo es vermeintlich idyllisch ist, sondern schauen auch verstärkt nach links und rechts, wo der Mensch der Tierwelt zusetzt, indem er ihre Lebensräume einschränkt oder gar kaputt macht. Und darüber hinaus freue ich mich natürlich riesig, dass wir rund um die Welt mit unseren Filmen Preise gewinnen. Zuletzt unter anderem erst kürzlich wieder zwei sogenannte „Naturfilm-Oscars“, die Jackson Wild Media Awards für den Film „Geister der Wüste – Die Löwen der Skelettküste“.
Wie viele Eigenproduktionen sind im Jahr möglich?
Wir stellen pro Jahr sieben Eigenproduktion her, also Filme, bei denen „Universum“ die redaktionelle Verantwortung trägt. Dazu sind wir als Co-Produzenten, sozusagen passiv, an ebenso vielen Koproduktionen mit Fernsehstationen im Ausland beteiligt.
Welche Region in Österreich würden Sie gerne im Rahmen einer eigenen Universum-Folge genauer unter die Lupe nehmen?
Aktuell starten gerade die Dreharbeiten über den grenzüberschreitenden Nationalpark Thayatal, für mich eine der schönsten Ecken Österreichs … und Tschechiens. Jahrzehntelang verlief hier der Eiserne Vorhang, nun werden beide Länder schon 25 Jahren lang durch die Natur zusammengehalten und verbunden. Ein Film, der also „Naturgeschichte“ im sprichwörtlichen Sinn erzählen wird. Sendetermin Oktober 2026.
Welche Qualitätsstandards sind es, die eine Doku erfüllen muss, um den Gütesiegel „Universum“ zu erhalten?
Ein Universum sollte mit durchwegs herausragenden Bildern beeindrucken und cineastisch anmuten. Dazu muss es besonderes Tierverhalten zeigen, und zwar nicht nur in ein, zwei Aufnahmen, sondern über möglichst lange Sequenzen hinweg, so eben, dass sich eine spannende, emotionale Geschichte rund um das Tier erzählen lässt. Denn am Ende ist es immer eine gute Erzählung, die den Zuschauer fesselt. Wenn es dann noch gelingt, mit so einem Film für den Erhalt und den Schutz unseres Planeten zu werben, dann ist viel erreicht.
Was ist wichtiger: Schöne Bilder oder Informationsvermittlung ?
Für das Universum-Publikum ist beides wichtig. Die hohe Bildqualität, aber auch die Story. Mittlerweile hat der Zuseher es zu schätzen gelernt, dass wir nicht nur mehr die pure Exotik und das Paradies zeigen, sondern auch die Probleme ansprechen, die sich stellen, wenn Wildnis und Natur geschützt bleiben sollen. Wir schauen auch dorthin, wo die sogenannte Zivilisation mit schützenswerten Naturräumen kollidiert.
Wie weit würden Sie für eine spezielle Aufnahme, eine rare Aufnahme gehen?
Da sind keine Grenzen gesetzt. Ausdauer und Leidenschaft sind es aber stets, die große Naturfilmer auszeichnen, Menschen, die oft wochenlang auf den einen richtigen Moment warten. Das bewundere ich sehr. Je mehr Zeit investiert werden kann, umso besser werden die Aufnahmen, und man kommt zu Bildern mit Seltenheitswert.
Was war Ihre beeindruckendste Begegnung mit einem Tier. Und welche Landschaft ist Ihnen nachhaltig in Erinnerung geblieben?
Das war im Norden Ugandas, vor mehr als zwanzig Jahren, als dort noch die Kony-Rebellen ihr Unwesen trieben, und jeder Tourismus zum Erliegen gekommen war. Wir querten einen Nationalpark westlich von Gulu, auf dem Weg zu den Murchinson Falls. Keine Menschenseele war damals in diesem aufgrund von Kriegshandlungen buchstäblich verwilderten Park unterwegs. Wie riesenhafte Geister erschienen uns die Elefanten, die durch den verlassen, ja vergessenen Park zogen.
Das TV-Programm ist voll mit Dokus, dazu kommen noch Streaminganbieter mit einem Pool an Dokus. Braucht es überhaupt noch neue Dokus, neues Material oder könnte man aus Archiven schöpfen?
Dokus kann es nie genug geben. Und damit meine ich nicht nur Naturfilme. Kein anderes Format schafft es auf derart eindringliche Art und Weise relevante Themen unserer Zeit begreif- und erlebbar zu machen. Dazu kommt in unserem Fall, dass Universum-Produktionen jahrelang programmierbar sind, weil sie immer wieder gern gesehen werden. Sie laufen dann nicht nur in ORF 2, sondern auch in Wiederholung auf ORFIII und 3sat. So profitiert die gesamte Senderflotte von unserem hochwertig produzieren Content.
Welche Region der Welt ist, was das Filmmaterial betrifft, am besten dokumentiert?
Ich denke, es gibt tatsächlich nur mehr ganz wenig weiße Flecken, an denen noch nie ein Naturfilm gedreht wurde. Vielleicht ist es aber doch der afrikanische Kontinent, der über die Jahrzehnte hinweg die meisten Naturfilmer angelockt hat.
Bei Dokus gibt meistens ein Mann den Erzähler. Haben Männer die schönere, passendere Stimme?
Das gilt zumindest für die fünf Jahre, in denen ich "Universum" leite, längst nicht mehr. Wir haben sowohl hervorragende Frauen- als auch Männerstimmen am Start, das Verhältnis ist mittlerweile ausgeglichen. Beim Taubenfilm zum Beispiel habe ich mich erstmals sogar dafür entschieden, einen Mann UND eine Frau sprechen zu lassen. Den Mann (Julian Rehrl) für New York, die Frau (Silvia Meisterle) für London.
Welche neuen Technologien haben Naturfilme in den letzten Jahren verändert?
Allem voran sind da natürlich die Drohnen zu nennen. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, wie das früher war – ohne. Heute kann man auch ohne teuren Hubschrauber sensationelle Luftaufnahmen herstellen, auch weil man natürlich wirklich tief fliegen kann. Und generell sind die Kameras kleiner geworden, ohne Qualität einzubüßen. Viele ebenso sensationelle und amüsante Aufnahmen im Taubenfilm waren nur deshalb machbar, weil kleine Kameras und Drohnen im Einsatz waren. Zum Beispiel Bilder, die Tauben als Passagiere in der U-Bahn in London zeigen und danach auf dem Luftweg zurück in ihren Schlag unter der Blackfriars Bridge.
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