Falsch verstandene Tierliebe: Tauben zählen, aber bitte nicht füttern

Falsch verstandene Tierliebe: Tauben zählen, aber bitte nicht füttern
Warum die Wiener Tauben gezählt werden und wie falsch verstandene Tierliebe den Vögeln gesundheitlich Schaden zufügt

Wien will es wissen: Wie viele Tauben leben eigentlich in der Stadt? Hinter dieser Frage steckt ein Forschungsprojekt des Wiener Wildtierservice. Das Ziel: eine gesunde Stadttaubenpopulation in Wien und ein besseres Miteinander von gefiederten und nicht gefiederten Wienerinnen und Wienern. Dazu ist es aber notwendig zu wissen, wie groß die Taubenpopulation in der Stadt ist und wie sie sich verteilt. 50 bis 60.000 Tauben leben nach den letzten Zählungen derzeit in Wien. Um diese Zahl zu bestätigen bzw. zu aktualisieren, wird es am 14. März eine weitere Taubenzählung geben, zu der sich Interessierte noch bis 28. Februar anmelden können.

Klar ist: Stadttauben haben ein Imageproblem – nicht nur in Wien. Zu Unrecht, findet die Obfrau des Wiener Stadttaubenvereins, die sich mit dem KURIER zu einem Lokalaugenschein am Schwedenplatz getroffen hat und lieber anonym bleiben möchte. Kein guter Ort für Tauben, sagt sie – paradoxerweise, denn gerade hier halten sich viele der grauen Vögel auf.

Angespannte Beziehung

Sie sitzen auf den Dächern der Imbissstände, in den Bäumen des schmalen Grünstreifens oder staksen mit ruckartig wippenden Köpfen zwischen den Passanten umher und picken Essbares vom Boden auf. Ein Problem, vor allem für die Tauben. Denn die sollten sich eigentlich von Körnern und Samen ernähren. Der Boden rund um die U-Bahnstation am Schwedenplatz hat an Essbarem aber hauptsächlich heruntergefallene Pommes-, Kebab- und Pizzareste zu bieten. 

„Hier gibt es einfach zu viel schlechtes Futter und zu wenig Grünflächen. Wenn die Tauben aber einmal an einen Ort gebunden sind, an dem sie immer Futter finden, sind sie von dort nur schwer wegzubekommen“, sagt die Obfrau. Und so bilden sich über die Stadt verteilt Taubenhotspots, die zu Spannungen in der Mensch-Tauben-Beziehung führen.

Dabei fing alles so gut an. Schon in der Antike domestizierte der Mensch die von der Felsentaube abstammenden Vögel, hielt sie als Haus- oder Brieftaube. In der Bibel kommt ihnen als Überbringer guter Nachrichten Promistatus zu. Und nicht zuletzt gelten sie auch als Friedenssymbol. Doch die Nachfahren der einstigen Haustiere leben heute verwildert in den Städten. „Sie gehen uns auf die Nerven, weil dem Menschen alles auf die Nerven geht, was ihm in die Quere kommt. Aber das ist ein Menschenproblem, kein Taubenproblem“, sagt die Vereinsvorsitzende, die mit Vereinsmitgliedern auf regelmäßigen Kontrollrunden kranke und verletzte Tauben einfängt und zum Wildtierservice bringt.

Wien aus Taubensicht

Dass es die Tauben in die Städte und damit in die Nähe des Menschen zieht, ist für Richard Zink, Zoologe an der Vetmed-Uni Wien, leicht erklärt: „Die Stadt bietet ihnen einige Vorteile. Im Winterhalbjahr etwa die Wärme der Stadt. Dann bietet sie auch Schutz vor Beutegreifern, wie Habicht oder Wanderfalke. Und natürlich profitieren sie auch vom mehr oder weniger natürlichem Nahrungsangebot.“ Und die Nachteile des Stadtlebens? „Glasschlag, Kollision mit Kabeln – und nicht artgerechte Nahrung.“

Falsch verstandene Tierliebe: Tauben zählen, aber bitte nicht füttern

Tauben füttern sorgt für Probleme - besonders für die Tauben

Wie eigentlich alle Experten hält Zink es für falsch verstandene Tierliebe, Wildtiere zu füttern. „Dadurch ergeben sich mannigfaltige Probleme. Zum einen füttert man Ratten mit und sorgt lokal für Überpopulationen.“

Gleichzeitig verlernen die Tauben die natürliche Nahrungssuche und gewöhnen sich an die ständige Fütterung an immer derselben Stelle. Dort sorgen dann die hohe Taubendichte und der Kot für Unmut bei den Anrainern. Hinzu kommt, dass die oft nicht artgerechte Fütterung durch wohlmeinende Taubenfreunde, z. B. mit Semmelbröseln, zu einer Störung des Verdauungstraktes und damit auch zu vermehrtem, flüssigem und oft grün-weißlichem Kot führt und das Problem noch verschärft. 

„Man macht die Tauben damit bis zu einem gewissen Grad vom Menschen abhängig, und das ist nicht zum Wohl der Tiere. Meiner Meinung nach gäbe es weniger Probleme mit Tauben, wenn sie nicht von einigen Menschen in unserer Gemeinschaft aktiv gefüttert würden“, sagt Zink.

Maßnahmen

Hier setzt das Taubenmanagement des Wildtierservice Wien an, das seit 2021 die Zählungen im gesamten Stadtgebiet durchführt. Zentraler Bestandteil des Forschungsprojekts sind nämlich auch Taubenschläge. Diese sollen den Tieren als Rast- und Nistplätze dienen und ihnen Zugang zu artgerechtem Futter und Wasser ermöglichen. Durch Austausch der Eier kann die Taubenpopulation kontrolliert und reguliert werden. 

Ein Standort wurde bereits in der Nähe des bis dahin größten Taubenhotspots, dem Wiener Hauptbahnhof, errichtet. Mit Erfolg, wie die Zahlen zeigen: Rund 450 Tauben besuchen täglich den Taubenschlag, 573 Eier wurden bereits ausgetauscht und 7,5 Tonnen artgerechtes Futter verfüttert. Ein zweiter Standort im 2. Bezirk ist in Planung. Ein weiterer Schritt in Richtung friedliche Koexistenz und Imagekorrektur.

„Man tut jedem Tier unrecht, von dem man sagt, es sei ein Schädling“, sagt Zink. „Wir sollten eigentlich dankbar sein, dass es um uns herum noch Leben gibt. Wenn man sie genauer anschaut, sind es sehr schöne Vögel, die in allen Farben schillern können.“

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