... und wieder 16 neue Bücher, ganz kurz

... und wieder 16 neue Bücher, ganz kurz
Diesmal unter den Besprechungen: eine Satire über Eva Perón, ein einstiger Theaterskandal, eine Sonnenfinsternis, die Donau ...

Haderer zeichnete Turrini

„Auspeitschen sollte man sie!“ rief ein  Wiener aus dem Publikum in Richtung Peter Turrini, dessen Stück  „Rozznjogd“ 1971 im Wiener Volkstheater uraufgeführt wurde! Weil zwei jüngere Leute, „Er“ und „Sie“,   auf einer Mistgstättn die Fassade fallen lassen? Weil sie auf Konsumzwänge pfiffen?  Nackt und echt sein wollten?  Heute regt das nicht auf, sondern es regt eher an. Dichter wie Turrini, die sich provokant eingemischt haben, wünscht man sich mehr denn je. Zeichner Gerhard Haderer hat aus der „Rozznjogd“ einen Comics gemacht. Eine Graphic novel. Das Stück bleibt ein Ereignis.

Peter Turrini und Gerhard Haderer: "Rozznjogd" Haymon Verlag. 224 Seiten. 24,90 Euro. KURIER-Wertung: ****

 

"Siri" spielt mit

Welcher Smartphone-Typ sind Sie? Das lässt sich einfach mit Testfragen klären (die alle in diesem  Buch stehen), etwa mit: Sind Sie a) männlich oder b) weiblich oder c) hab ich noch nicht gegoogelt ... „Wie viel wiegt ein Instagram?“ ist Kabarett und geschrieben für Leute, die wegen ihres Telefons gegen Verkehrszeichen laufen und ebenfalls für Leute (wie Umberto Eco einer war), die absichtlich auf dem Gehsteig Hindernisse bilden, damit die Telefonierer stürzen. Es gibt auch eine Hörbuch-Version, gelesen von Heike Hagen, der Stimme der Apple-Software „Siri“. Da geht die Wertung auf vier Sterne.

Christian Klein:
„Wie viel wiegt ein Instagram?“
Bastei Lübbe.
304 Seiten. 10,30 Euro.
Hörbuch = 4 CDs um 11,30 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Haus mit Vergangenheit

Eine Überraschung, weil ein bisschen anders, historisch-musikalisch: Ein Pensionist hört Respighi im Haus, das er im südlichen Niederösterreich gekauft hat ... ehe er erfährt, es war  Jagdhaus der SS, auch Juden waren hier gejagt worden. Gerüchte über geraubtes, verstecktes Gold gibt es noch. Und gierige Menschen sowieso. Autor Norbert Zagler ist Bad Vöslauer.

Norbert Zagler:
„Die Schatten der Toten“
Verlag myMorawa.
316 Seiten.
15,40 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Beobachtungen im Dunkeln

Im Original heißt  der Roman der Londoner Journalistin und Literaturwissenschaftlerin  Erin Kelly „He said – she said“. Das klingt nicht so prickelnd. Aber es ist spannend, und es funktioniert bis zur letzten Seite,  auf der nur noch wenige  Sätzen stehen. Überraschende Sätze. Vier Menschen – zwei Wahrheiten – eine Lüge. Während der Sonnenfinsternis vom 11. August 1999 wurde in Cornwall eine Vergewaltigung beobachtet. War es eine? Es war finster.  Die Zeugen tauchten nach dem Prozess unter, sie haben ihre Namen geändert, andere Jobs angenommen. Der Anfang ist auch sehr gut.


Erin Kelly:
„vier.zwei.eins“
Übersetzt von Susanne
Goga-Klinkenberg. Scherz Verlag.
480 Seiten. 15,50 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Auch Primatonnen fehlen nicht

Wird wohl so manches  nicht der Wahrheit entsprechen, sondern bloß ein Gerücht sein, eine Anekdote. Aber mich unterhalt’s ... Kuriose Welt der klassischen Musik. Ein Lexikon, gefüllt mit oft höchst unnützem Wissen. Hier ein fliegendes Klavier, dort eine Primatonne (So nannte Richard Strauss füllige Primadonnen.)  Von A wie Abklopfen bis Z wie Zukunftsmusik. Franz Liszt klopfte eine Orchesterprobe ständig ab, weil der Oboist zu laut blies. Es geschah in der Altenburg in Weimar. „Können S’ nicht piano blasen?“ – „Wenn ich ein Piano blasen könnte, säße ich bestimmt nicht in Altenburg.“

Rainer Schmitz und Benno Ure:
„Wie Mozart in die Kugel kam“
Pantheon Verlag.
1168 Seiten.
20,60 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Reiten auf der Eisenbahn

Zuerst kommt Woody Guthries „Hobo’s Lullaby“ aus den 1930ern auf den Plattenteller. Dann kann der Ritt auf den Stahlrossen beginnen. Hobos gibt es nicht nur in alten Büchern. Sie sind moderne Nomaden bzw. Vagabunden bzw. Obdachlose, die auf Güterzüge springen und so in Amerika unterwegs sind, ohne dass sie jemand  „sweetheart“ nennt.  Sie lesen die Zeitung, bevor sie  sich das Papier ins Gewand stecken, gegen die Kälte.  Der deutsche Journalist Gareis, der mit ihnen Monate verbrachte, lernte u.a.: Stell nie eine Dose Budweiser auf den Boden eines Waggons, das Holpern und Rasseln macht das Bier sofort schal.


Fredy Gareis:
„König der Hobos“
Mit 3 7 Farbfotos.
Malik Verlag.
256 Seiten. 16,50 Euro.
KURIER-Wertung: ****

 

720 Kilometer Zwiespalt

Die Liebe wiegt genau 83 Kilo und 800 Gramm. Wie  man darauf kommt, wird auf dem Weg von Mannheim nach Wien bekannt. 720 Kilometer. Man könnte folglich sagen: Dieses Buch ist 720 Kkm lang. In Mannheim hat die Mutter einen Neuen, den Arno; und in Wien liegt der Vater im Bett, er ist schwerkrank. Dazwischen steht die 16-jährige Charlotte. Dazwischen sind Hindernisse und Erwartungen. Dazwischen ist ein Flüchtling aus Nigeria, der Charlotte aus ihrem Zwiespalt befreit. Das ist ja „nur“ ein leichter Roman zwischendurch. Aber wenn schon, dann einer von Burstein. Burstein mag man eben.

Fabian Burstein:
„Wie viel wiegt die Liebe?“
Bibliothek der Provinz.
218 Seiten.
20 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Nebensächlich und schön still

Weil es keinen neuen Fotoband von Gerhard Roth gibt mit wunderbaren Nebensächlichkeiten wie Vogelspuren im Schnee und Wasserflecken an der Mauer, müssen wir in die Schweiz reisen: Vor 80 Jahren hat dort Fotograf Theo Frey aus der dörflichen Realität Poesie gemacht – Bilderdokumente aus Carona, Gais, Rüderswil, Schwyz, Zuoz ..., die nun den aktuellen Schweiz-Fotos des Amerikaners Shane Lavalette  gegenübergestellt werden. Stille Bilder, auch jene aus dem Jahr 2017. Blütenblätter, Finger auf einem Pferderücken, Gesichter. Weit entfernt vom Tourismus, wohltuend, beruhigend.


Shane Lavalette:
„Still (Noon)“
Gestaltung Brian Paul Lamotte.
Edition Patrick Frey. 152 Seiten.
79 Abbilldungen. 78 Euro..
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Anthologie mit Fischbeuschl

16 Autorinnen und Autoren über „ihren“ Fluss, unter ihnen Erwin Riess, Patricia Brooks, Ferdinand Schmatz ...und das sind nicht nur Erinnerungen, es gehört auch das Rezept einer Fischbeuschlsuppe hinein,  mit Weißweinessig und Rotwein.  Es würd’ reichen, an der Donau zu sitzen und zu schauen. Die Anthologie öffnet die Augen vielleicht weiter.

Wolfgang Kühn (Herausgeber):
„Meine Donau
Fotografien von Alexander Kaufmann. Literaturedition Niederösterreich. 280 Seiten. 24 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Kidnapper wollen "Evita"

Argentinischer Roman, der sich erlaubt, etwas Spott auf Eva Perón abzuladen, die noch Jahrzehnte nach ihrem Tod als Göttin der Arbeiter galt: Ein Reicher wird gekidnappt, die Entführer verlangen – 92 Büsten von „Evita“. Gar nicht mehr leicht zu finden in den 1970ern. Soll sie wie Schneewittchen aussehen? Die Satire ist mehr als eine Slapstick-Komödie.

Carlos Gamerro:
„Die 92 Büsten der Eva Perón“
Übersetzt von Birgit Weilguny.
Septime Verlag.
407 Seiten. 24 Euro.
KURIER-Wertung: ****

 

Unveröffentlichtes vom kleinen Mann

Bisher unveröffentlichte  Erzählungen von Hans Fallada („Kleiner Mann – was nun?“). Ob er über Unkraut schrieb, über einen Kochtopf oder  eine Bucklige: Seine  Texte sind immer in der Nähe seines Lebens, das jahrelang im Gefängnis, auf der Psychiatrie und unter Morphium verging. Das Nachwort des Fallada-Biografen ist die traurigste Geschichte.

Hans Fallada:
„Junge Liebe zwischen Trümmern“
Herausgegeben und mit einem
Nachwort von Peter Walther. Aufbau Verlag. 298 Seiten. 20,60 Euro.
KURIER-Wertung: ****

 

Genug vom Genialen

Schon der zweite  Roman heuer, in dem die serbische Physikerin Mileva Marić aus dem Schatten ihres berühmten, mitunter charakterlich schwachen Ehemanns tritt. Dieser kroatische Roman ist weniger gefällig als „Frau Einstein“ der US-Anwältin Marie Benedict, er geht sparsamer mit Worten um, dafür schneidet er tiefer in das Trauerspiel hinein.

Slavenka Drakulić:
Mileva Einstein oder Die Theorie der Einsamkeit“ Übersetzt von Katharina Wolf-Grießhaber. Aufbau
Verlag. 224 Seiten. 20,60 Euro.
KURIER-Wertung: ****

 

Kranke Pflanze braucht Rüblinge

Wadas ist ein deutscher Gärtner, spezialisiert auf Schädlinge. Also Pflanzenarzt, unterwegs mit Arztkoffer, um den pH-Wert zu messen und die Nährstoffaufnahme des Patienten. Wenn er Feigensträucher mit Kalzium füttert und Pilze namens Kieferzapfenrübling sucht, um kranken Buchs zu heilen, hat das die Qualität von TV-Krankenhausserien.

René Wadas:
„Hausbesuch vom Pflanzenarzt“
Rowohlt Taschenbuch.
256 Seiten.
10,30 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Sechs Kanister heiliges Wasser

 Zu sehr auf Humor aus ist van der Kwast – Inder und Niederländer –, wenn er über (s)eine Mutter in Mumbay schreibt. Ist ja nicht schlecht, wenn wir die resolute Frau begleiten, wie sie sechs Kanister Wasser aus Lourdes nach Indien schleppt. Im vorangegangenen (gelobten) Roman „Die Eismacher“ war halt zusätzlich noch ein bissl Nachdenklichkeit.

Ernest van der Kwast:
„Mama Tandoori“
Übersetzt von Andreas Ecke.
Verlag btb.
240 Seiten. 20,60 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Aus einem Land, das es nicht gibt

Schön fasst es die Salzburger Autorin, eine Psychotherapeutin, zusammen: Versuchung, Versuch und Suche ist ihr Buch „Mein Donauschwabien“ – weil sie nicht aufhören konnte, über ihre Herkunft nachzudenken: Ihre Eltern mussten, wie Hunderttausende, die Vojvodina, verlassen. Ein Puzzle aus Vergangenheit, gewidmet  allen Heimatsuchenden.

Dorothea Steinlechner-Oberläuter: „Mein Donauschwabien“
Edition Tandem.
296 Seiten.
24,90 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

Für jeden die richtige Musik

Ein Plattengeschäft in Bogota. Den schweigsamen, oft auch atonalen Kunden, die kommen, hilft er z. B. mit Bachs h-Moll-Messe oder mit de Fallas „Feuertanz“. Zusammen ergibt das eine Partitur des Lebens, aufgeteilt in kurze Geschichten. Sehr persönliche Anmerkung: Dieses Büchlein verführte zur Musik des Italieners Ottorino Respighi.

Mauricio Botero:
Don Ottos wunderbarer
Plattenladen“
Übersetzt von Peter Kultzen.
Unionsverlag. 128 Seiten. 18,50 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

 

 

 

 

 

 

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