Tukur: "In die Fresse gekriegt"

Tukur: "In die Fresse gekriegt"
Ulrich Tukur spielt "John Rabe - Der gute Deutsche von Nanking" (8.10., 20.15, ORF 2). Ein Gespräch über Heldentum, Herrenmenschen und Seelenabgründe.

Es war ein Grenzgang. Ein gewagtes Unterfangen. Es gab Unkenrufe, Jubelmeldungen, harsche Kritik. Und vier deutsche Filmpreise. 2009 lief "John Rabe - Der gute Deutsche von Nanking" in den Kinos. Nun übersiedelt der Film mit Ulrich Tukur, Steve Buscemi und Daniel Brühl ins TV.

Er behandelt die Massaker der japanischen Armee an der chinesischen Zivilbevölkerung im Jahr 1937. 300.000 Menschen wurden ermordet. In China ist seit der Normalisierung der Beziehungen zu Japan eine Debatte darüber nicht gern gesehen; Japan nannte das Massaker 2005 in Schulbüchern noch "Zwischenfall". Und der Held, der mehr als 200.000 Leben rettete? War Deutscher. Siemens-Chef in Nanking. Und NSDAP-Mitglied.

Eine Schlüsselszene im Film ist, wie John Rabe Schutzsuchende im Hof der Siemensfabrik unter einer riesigen Hakenkreuzfahne birgt, weil er wusste, die Japaner werden das Symbol ihrer Verbündeten nicht bombardieren. Eine historische Wahrheit, wegen der die Wellen hochgingen.

"Als wir das drehten, dachte ich: Junge, Junge, das wird ganz bestimmt wehtun", so Rabe-Darsteller Tukur im KURIER-Gespräch. Natürlich sei's eine Provokation gewesen, natürlich hätte man dafür "ordentlich eins in die Fresse gekriegt". Aber, so Tukur: "Gerade diese Szene zeigt, wie überraschend widerläufig Geschichte ist, wenn ein Symbol für Unmenschlichkeit in Deutschland in China Menschen rettet."

Guter Nazi

Ein deutscher Journalist verstieg sich zu dem Vorwurf, der Film sei ein faschistisches Machwerk. Die New York Times wiederum nannte John Rabe in ihrer Rezension "the good Nazi". Ein Schlagwort, mit dem Tukur wenig abfangen konnte: "Ich hasse diese blasierte, besserwisserische Aburteilerei aus der sicheren historischen Distanz."

Was ist Rabe für ihn? Zivilcouragiert, empathisch, aber auch ein Vertreter der deutschen "Herrenrasse", lautet die Antwort. Tukur: "Ich glaube, kein Volk hat sich mit den eigenen Kriegsverbrechen so beschäftigt wie wir. Das Dritte Reich ist für uns der Blick in den Abgrund der eigenen Seele. Und die ständige Frage, ob wir das auch alles hätten anders machen können. Ich habe einem chinesischen Filmfunktionär allerdings auch gesagt, was man noch alles verfilmen könnte: die Kulturrevolution, Mao - 70 Millionen Menschen sind eines unnatürlichen Todes gestorben. Da sagte er: Ich bedanke mich für dieses Gespräch. Und weg war er."

"John Rabe" kam in China vor zwei Jahren raus. Der Filmkritiker der China Daily schrieb das deutsche Filmteam hätte sich "vom Zwang zur politischen Korrektheit überwältigen" lassen: Rabes Verbindung zu den Nazis werde "überbetont, während sein Heroismus zu schwach gezeigt wird."

Fast vergessen: Der Lebensretter

Schicksal Der Hamburger John Rabe arbeitete seit 1908 für Siemens in China. Als 1937 die Japaner angriffen, ließ er um das Werk eine 4- -Schutzzone für Zivilisten errichten. Nach dem Krieg wiesen die Briten sein Gesuch auf Entnazifizierung ab. Filme aus Nanking wurden ihm abgenommen. Er starb 1950 völlig verarmt in Berlin.

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