"Tristan"-Premiere: Mit Wodka zur GroKo

"Tristan und Isolde" in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov
Erste Großproduktion an der renovierten Berliner Staatsoper unter den Linden – ein Erfolg.

Zunächst die Akustik, nicht ganz unwesentlich bei Renovierungskosten von 400 Millionen Euro:

Manche Besucher beklagten, dass das Orchester unter der Leitung von Daniel Barenboim zu laut gewesen sei, dass die Balance nicht immer gestimmt habe. Dort, wo Ihr Rezensent saß, im hinteren Bereich des Parketts, war der Klang phänomenal, transparent, detailreich und sehr warm. Die Sängerinnen und Sänger schafften es wunderbar, gegen die farbenprächtige Orchesterwelle zu bestehen. Man war sogar an Bayreuth erinnert, wo die Instrumentalisten verdeckt und die Gesangssolisten viel besser zu hören sind als anderswo. Mag sein, dass manche Nachjustierungen, etwa bei der Tiefe des Orchestergrabens, noch nötig sind. An manchen Plätzen des sieben Jahre lang umgebauten Theaters, bei dem sogar die Decke um ein paar Meter angehoben wurde, um mehr Raum zur Klangentfaltung zu gewinnen, ist die Akustik aber jetzt schon nahezu ideal.

Das Opernhaus

Die neue, altehrwürdige Berliner Staatsoper unter den Linden mit ihrer 275-jährigen Geschichte hat beste Voraussetzungen, wieder zu einem der aufregendsten Opernhäuser der Welt zu werden – das lässt sich nach der ersten Großpremiere mit Richard Wagners "Tristan und Isolde" zweifellos feststellen. Vor allem mit Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor am Pult, der zwar am Ende einige Buhrufe abbekam, vermutlich wegen einiger besonders langsamer Tempi, insgesamt aber all seine Weisheit, entwickelt in vielen "Tristan"-Dirigaten, einbrachte und für eine unpathetische, entschlackte, aber nie ausgedünnte, höchst präzise Lesart sorgte.

Die Sänger

Auch die Besetzung brachte höchste Qualität in das mit etwa 1300 Plätzen klein dimensionierte, darob aber auch besonders luxuriöse Haus. Der Österreicher Andreas Schager, einer der meistgefragten Heldentenöre und für das extrem anspruchsvolle Fach wohl auch der Beste, sang den Tristan vom ersten bis zum letzten Ton nach knapp sechs Stunden kraftvoll, was einer ebensolchen sportlichen Großleistung entspricht wie der eine Stunde zuvor erfolgte Gewinn einer Goldmedaille im Rodeln. Seine Spitzentöne sind besonders metallisch, sein Timbre ist schön, sein unvermittelter, offensiver Zugang wird vielleicht noch besser zum Siegfried passen, den er 2020 beim neuen Bayreuther "Ring" singen wird.

Das Liebesduett im zweiten Aufzug könnte seinerseits zarter und berührender sein, bei den Fieberträumen im dritten ist er mit seinem Tenor, der mit zunehmendem Kraftaufwand immer besser wird, aber unschlagbar.

Anja Kampe, die zuletzt bei den Salzburger Osterfestspielen mit ihrem Brünnhilden-Debüt in der "Walküre" begeistert hatte, ist nach Auftritten in Glyndebourne (2009 unter Vladimir Jurowski) und bei der Ruhrtriennale (2011 mit Kirill Petrenko) nun auch in Berlin als Isolde zu erleben – und wieder setzte sie Maßstäbe. Sie ist eine Sopranistin, die selbst in den dramatischsten Passagen noch schön zu singen vermag. Ihre Phrasierungskunst ist beachtlich, das große Duett im zweiten Aufzug gestaltet sie ebenso famos wie den Liebestod. Es gibt zur Zeit wohl keine andere in diesem Fach, die in allen Registern so sicher agiert und wie selbstverständlich zwischen Lyrismus und Kraftausbrüchen changiert.

Stephen Milling ließ sich zwar vor dem dritten Aufzug als erkältet ansagen, beeindruckte jedoch als Marke mit Ausstrahlung und profunder Tiefe. Ekaterina Gubanova ist eine ideale Brangäne, Boaz Daniel ein solider Kurwenal, auch die kleineren Partien sind gut besetzt.

Die Regie

Die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov bietet brillante Ideen, insgesamt aber Stückwerk. Vieles dessen, was "Tristan und Isolde" ausmacht – die Aufhebung des Raum-Zeit-Verhältnisses, das Transzendente, Metaphysische, Traumhafte, Irrationale – hat in diesem Hyperrealismus keinen Platz. Der erste Aufzug spielt hier an Bord einer Luxusyacht, vermutlich im Besitz eines russischen Oligarchen. Überall stehen Flaschen mit Alkohol, anstelle des Liebestrankes scheinen die Protagonisten diesmal Wodka zu saufen, als wollten sie einander schöntrinken. Als König Marke an Bord kommt, benehmen sich Tristan und Isolde wie stark Alkoholisierte und kichern, was der Szene eine Lächerlichkeit gibt.

Der zweite Aufzug, angesiedelt in einem eleganten Haus im Stil der 1950er Jahre, negiert jegliche Romantik und Erotik. Tristan überzeichnet sein Spiel, als wäre er Gast in einer amerikanischen Talkshow. Dieser Teil ist extrem zynisch und geht analytisch nie in die Tiefe.

Der dritte Aufzug wiederum, in Tristans privater Wohnung, wirkt wie das Setting eines Dostojewski-Romanes, zumindest psychologisch ambitioniert, in Tristans Halluzinationen tauchen sogar seine verstorbenen Eltern auf.

Das Fazit

All das bleibt zusammenhanglos, wenngleich einige Ideen und Überzeichnungen bis hin zu satirischen Entstellungen gelungen sind. Tcherniakov agiert im Stil eines Zirkusdirektors mit Drang zur Pointe, als würde er Tricks und Versatzstücke aus anderen Produktionen aus dem Hut zaubern. Trotz aller Einwände gegen die unfertig wirkende Inszenierung, die nur vorgibt, radikal zu sein, ist die Berliner Staatsoper, die noch bis Ende März von Jürgen Flimm und danach von dessen jetzigem Kodirektor Matthias Schulz alleine geleitet wird, wieder zurück auf dem Opernatlas. Mit ihrer GroKo aus musikalischem und szenischem Anspruch.

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