Traurig sein mit Henning Mankell und seinen Gummistiefeln
In diesem traurigen Buch gehört zum Allertraurigsten:
Der Mann wagt sich in Paris in ein Jazzlokal, alles tanzt, da nimmt er seinen ganzen Mut zusammen und fragt irgendeine Frau, ob sie mit ihm tanzt. Sie bejaht, das wundert und freut ihn. Er hat ja einst gelernt zu tanzen ... aber jetzt, er ist 70, bewegt er sich, als hätte er Hufe. Die Frau merkt das und geht weg.
Sie lässt ihn auf der Tanzfläche stehen.
Zwei Linke
"Die schwedischen Gummistiefel" wären allein schon traurig genug, weil es sich um Henning Mankells letzten Roman handelt.
Ich denke, also bin ich noch, also kann ich noch etwas schreiben = Mankell schrieb im Wissen, dass er Lungenkrebs hat, unheilbar.
Er schrieb über den ehemaligen Chirurgen Fredrik Welin. Vielleicht kennt man ihn aus "Die italienischen Schuhe". Nach einem fatalen Kunstfehler – er amputierte einer Frau den falschen Arm – zog er sich auf eine Schäreninsel ins einstige Haus der Großeltern zurück.
Fredrik Welin ist allein. Seine Freundin ist tot, die erwachsene Tochter ist irgendwo – jetzt brennt nachts sein Haus ab.
Er kann seine Haut retten; und zwei Gummistiefel.
Zwei linke.
Freilich interessiert bis zum Schluss, warum das Haus zerstört wurde. Man bewegt sich zwischen Gut und Böse. Wie überall. Aber wichtiger ist die Einsamkeit.
Wichtiger ist die Frage, ob man sich von so einem Brand, vergleichbar mit einer Krankheit, das Leben stehlen lässt. Oder weitermacht. Sein Haus bestellt.
Und eine plötzliche Liebe, die wäre das Einzige, worauf man auch mit 70 noch hoffen darf ...
Bei Mankell kommt hinzu, dass es wichtig ist, KEINE Hemden aus China zu tragen und schon gar keine Gummistiefel aus China: Der traurige Held gibt beim Einkaufen sehr darauf acht.
Schon im Bestseller "Der Chinese" stand das neue China für verantwortungslosen Kapitalismus.
Fast alle im Buch sind einsam. Viele sterben, viele an Krebs, einer stirbt an Mankells Krebs sozusagen, mit Metastasen im Nacken.
Freilich kann man sagen: Nein, dieses Buch muss man sich wirklich nicht antun, jetzt nicht, überhaupt nicht.
Es hat allerdings etwas Beruhigendes, Tröstendes. Und etwas sehr Schönes, wegen Mankells liebevollen Beschreibungen der Schären.
Alles endet gar nicht so schlecht für Fredrik Welin. Er bekommt sogar endlich ein Paar neue Gummistiefel. Schwedische!
Und, man ahnt es ja: Passen die Gummistiefel, dann passt das Leben.
Ein bissl noch.
Henning Mankell:
„Die schwedischen Gummistiefel“
Übersetzt von Verena Reichel.
Zsolnay Verlag. 474 Seiten. 26,80 Euro.
KURIER-Wertung: ****
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