Tori Amos: Von der Kirche der Vorbilder beraubt

Tori Amos: Von der Kirche der Vorbilder beraubt
Klassik statt Pop ist das neue Motto von Tori Amos. Weiters: A Life, A Song, A Cigarette, Moneybrother, Arnold Schönberg.

Rebellisch, sagt Tori Amos, war sie, und streitsüchtig, als sie mit 13 Jahren die klassische Ausbildung hinschmiss, die sie mit drei Jahren begonnen hatte. "Für die Lehrer zählte nur die Klassik. Und vielleicht noch Jazz", erklärt sie im Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Sie sagen, durch die Interpretation Ihrer Pop-Songs mit einem Orchester haben Sie neue Bedeutungen in ihnen entdeckt. Bei welchen der Songs gab es die drastischsten Veränderungen?

Tori Amos: Beim Mittelteil von "Cloud Of My Tongue" hat im Original nur eine sehr kleine Streicher-Gruppe mitgespielt. Denn wenn man alleine ist, es keine Kollaboration ist, dann kostet jede Session viel Geld. Dann muss man sich entscheiden, nehmen wir eine Streicher-Session oder eine Bläser-Session. Ein ganzes Orchester konnte ich mir damals nicht leisten. Aber jetzt hatten wir 54 bis 56 Musiker. Mit diesem mächtigen Orchester konnten wir diese emotionale Endlosschleife, in der die Frau in "Cloud On My Tongue" steckt, weil ihr Liebhaber auch noch eine andere Frau liebt, viel besser ausdrücken.

Aber ihre Bedeutung haben die Songs dadurch nicht verändert?

Das haben sie ohnehin die ganze Zeit gemacht, während ich auf Tour war. Ich vergleiche das immer damit, ein Kind zu haben. Zwölf Jahre nach der Geburt meiner Tochter Tash ist sie eine geschäftige Person, ist sie eine Persönlichkeit, die von unserer Beziehung von unseren gemeinsamen Abenteuern geformt wurde. Und wenn man mit Songs auf Tour geht, ist es genauso. Da trifft man auch Leute, die zu den Songs eine spezielle Beziehung haben. Auf Flughäfen oder nach Shows erzählen mir immer wieder Leute, was bestimmte Songs aus meinem Repertoire für sie in Krisen bedeutet haben. Schon alleine dadurch höre ich neue Facetten in den Songs. So wird aber auch die Saat für neue Songs gesät.

Was war die berührendste Story, die ihnen da jemand erzählt hat?

Oh, da gibt es so viele, so viele schöne Storys. Auch sehr viele traurige. Einmal kam eine Frau auf mich zu, die mit verschleppten Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden, arbeitete. Sie sagte mir, dass diese Frauen Trost empfinden, wenn sie bestimmte Songs von mir hören. Dass diese Frauen dann oft in kompletter Stille zuhören, und dass das vor allem in der Schockphase, wenn sie gerade aus der Missbrauchs-Situation rausgekommen sind, sehr hilfreich ist.

Sie arbeiten auch selbst mit missbrauchten Frauen, haben 1994 die Organisation RAINN (Anm: Rape, Abuse & Incest National Network) gegründet. Wie hat sich diese Arbeit seither verändert?

Das Auffälligste ist, dass wir eine zusätzliche Hotline für vergewaltigte Soldatinnen einrichten mussten. Denn die haben spezielle Bedürfnisse. Denn sie dienen dem Staat, sind dabei sehr professionell, werden aber von ihren Kameraden attackiert. Von Leuten, auf die sie sich im Ernstfall im Krieg verlassen müssen, von Leuten, die sie dann eigentlich schützen sollten.

Werden die Opfer jünger?

Oh ja. Oder zumindest werden die Opfer, die wir entdecken, immer jünger. Vielleicht gab es ja früher eine große Dunkelziffer, aber wir betreuen jetzt tatsächlich immer mehr ganz junge Opfer. Ich denke schon, dass Vergewaltigungen von Minderjährigen tatsächlich zugenommen haben und dass das daran liegt, dass Pädophile jetzt über das Internet viel leichter kommunizieren und sich verabreden können. Außerdem hat die Vergewaltigung in der Ehe stark zugenommen. Aber dass die Opfer immer jünger werden, ist das Schockierendste an dieser Arbeit.

In Ihren Songs haben Sie sich oft auf Frauen-Archetypen und mythische Frauengestalten bezogen. Warum war Ihnen das so wichtig?

Ich finde, dass die christliche Religion den Frauen für ewig lange Zeit nur zwei Optionen offengelassen hat: Man konnte sich entweder am Archetyp der Maria Magdalena oder an dem der Jungfrau Maria orientieren. Ich dachte, nein, so nicht: Das Patriarchat hat die weibliche Psyche von all den anderen Archetypen aus der Antike, die auch Teil unserer Abstammung sind, abgetrennt. Und wenn man all dieser anderen wunderbaren Geschichten und Mythen beraubt wird, wird man eines Instruments für die Entwicklung der Persönlichkeit beraubt. Denn wenn man sich überlegt, wie jemand seine Persönlichkeit weiterentwickelt... da orientieren wir uns an Mentoren und Idolen, schauen nach Hollywood, auf die Figuren aus Filmen, Gedichten oder Songs. Das sind aber auch nur verblasste Abbilder von Archetypen. Und ich finde, wenn man sich da auf die ursprünglichen Quellen rückbesinnt, auf die Vielfalt an antiken Mythen und Archetypen, hat man viel machtvollere Instrumente für die Entwicklung der Persönlichkeit in der Hand.

Sie haben schon mit drei Jahren begonnen, Klavier zu spielen . . .

Meine Mutter sagt, ich habe mit zweieinhalb Jahren angefangen. Sie sagt ich bin damals einfach aufgestanden und habe mit zwei Händen etwas gespielt, das ich vorher auf einer Platte gehört hatte. Einfach so. Ich weiß nur mehr, dass für mich das Klavierspielen einfacher war, als zu sprechen. Meine Mutter dachte, das ist eine einzigartige Gabe und besorgte mir Unterricht. Ich hatte jahrelang eine klassische Ausbildung.

Stimmt es, dass sie als Teenager damit aufhörten, weil die klassische Musik Sie frustriert hat?

In den 60er-Jahren gab es als Klavierausbildung nur das Konservatorium. Dort wollten sie eine Konzertpianistin, eine Interpretin aus mir machen. Ich wollte aber komponieren. Die Lehrer sagten, weibliche Komponisten kommen in unserer Welt nicht sehr weit ­- und hatten verdammt recht damit. Als klassische Komponistin bekommt man keine Aufträge. Und als mir das als Teenager klar wurde und ich ohnehin streitsüchtig und rebellisch war, hörte ich auf. Dazu kam, dass ich auch offen für zeitgenössische Musik war. Das waren die am Konservatorium nicht. Sie waren offen für Jazz aber zum Beispiel nicht für Joni Mitchell oder für die Beatles. Sie sagten, die wird es in 30 Jahren nicht mehr geben. Deshalb würde ich heute nicht sagen, dass mich die klassische Musik frustriert hat. Mich haben die Lehrer und Professoren frustriert. Also nahm ich mit noch nicht einmal ganz 14 Jahren einen Job in einer Schwulen-Bar an und spielte von da an in Bars und Lounges - 13 Jahre lang. Bis ich meinen Plattenvertrag bekam und "Little Earthquakes" erschien, habe ich so meine Miete bezahlt.

War das einen harte Zeit?

Ich habe zumindest sehr viel gelernt. Vor allem von den schwulen Männern. Die haben mich gelehrt, wie man graziös geht und sitzt, wie man sich wie Jackie Onassis anzieht. Aber dann bin ich nach L.A, habe all das Wissen über Board geworfen, meine Haare struppig wie eine Nutte gestylt und das Rock-Chick gespielt. Die ganze Zeit habe ich Demos ausgeschickt und alle sagten, ein Mädchen am Klavier, das wird nie etwas, spiel doch Synthesizer. Das war die einzige Möglichkeit, einen Plattenvertrag zu bekommen.

Das war das "Y Kant Tori Read"-Album Ihrer Synthie-Rock-Band?

Genau. Diese erste Platte war aber ein kompletter Flop. Deshalb bat ich das Label, mich aus dem Vertrag rauszulassen. Das wollten sie nicht. Da sagte ich, gut, aber dann mache ich etwas mit Piano. Als ich ihnen diese Piano-Aufnahmen übergab, sagten sie wieder, da müssen wir das Klavier rausnehmen und Gitarren einbauen. Also machte ich einen Deal, sagte, wenn ihr das, was ich hier habe, so lasst, wie es ist, gebe ich euch vier weitere Songs mit Gitarre. Darauf stiegen sie ein und das Resultat war "Little Earthquakes", mein Durchbruchs-Album.

Kurz-Bio: Start mit zweieinhalb Jahren

Kindheit Myra Ellen Amos wurde am 22. August 1963 in Newton/North Carolina geboren. Mit zweieinhalb Jahren ging sie einmal zum Klavier und spielte mit zwei Händen etwas nach, das sie auf Platte gehört hatte. Daraufhin besorgte ihr die Mutter Unterricht.

Karriere Mit 14 schmiss Amos die klassische Ausbildung hin und begann in Schwulen-Clubs und Lounges zu spielen. Erst 13 Jahre später bekam sie ihren ersten Vertrag. Aber das Debüt– auf Druck der Plattenfirma mit Synthesizern – floppte. Erst das zweite Album "Little Earthquakes" durfte Amos mit Piano aufnehmen. Seither hat sie über 13 Millionen Alben verkauft.

Das dritte Album einer der interessantesten Bands Österreichs: Independent-Country, liebevoll komponiert und fast aufreizend gemächlich gespielt. - guitar

KURIER-Wertung: **** von *****

Ein Album wie eine Diashow einer Weltreise: Von überall brachte Anders Wendin musikalische Farben mit, das Ergebnis klingt inspiriert, fröhlich, polyglott. - guitar

KURIER-Wertung: **** von *****

Klassiker des Wienerlieds bzw. Schlager-Genres – prickelnd neu interpretiert: Lie- der, die u. a. durch Qualtinger, Kreisler und Hermann Leopoldi bekannt wurden. - ros

KURIER-Wertung: **** von *****

Live aus der Pariser Oper: Giorgio Strehlers magische Jahrhundert-Inszenierung. Philippe Jordan am Pult und teils exzellente Sänger (Frittoli, Pisaroni, Tézier, etc.). - PJ

KURIER-Wertung: **** von *****

Solche Musik wächst also in Oregon: Sich hinterrücks anschleichende, gnadenlos sympathische Alternative-Rock-Schlager in schöner Talk-Talk-Tradition. - guitar

KURIER-Wertung: **** von *****

Beim Franzosen mit den afrikanischen Wurzeln sitzt jeder Beat, er hat die Präzi­sion eines Schweizer Uhrwerks – auch bei seinem 4. Album fürs ECM-Label, u. a. mit dem Norweger Nils Petter Molvær. - ros

KURIER-Wertung: **** von *****

Zum 100-Jahr-Jubiläum von Schönbergs Meisterwerk (am 17. 10. im Konzerthaus) live aus Salzburg: Mitsuko Uchida, Barbara Sukowa , Clemens Hagen, etc. Toll. - PJ

KURIER-Wertung: ***** von *****

Simon Rattle und die Berliner auf Tour in Singapur: mit Mahlers erster Symphonie und Rachmaninow. Ein schöner Konzertfilm und eine brillante Dokumentation. - PJ

KURIER-Wertung: **** von *****

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