Tischgespräche für Hirn und Herz

„The Apple Family Plays“ mit dem New Yorker Public Theater: Zeitgeschichte trifft auf Emotionen – Politik auf Familienprobleme
"That Hopey Changey Thing", der erste Teil von Richard Nelsons Zyklus vier eigenständiger Stücke.

Wann erlebt man heutzutage noch zeitgenössisches Theater, das ohne viel Aufwand G’scheites obendrein unterhaltsam vermittelt?

"The Apple Family Plays" bei den Wiener Festwochen ist so ein Glücksfall. Der US-Dramatiker Richard Nelson richtet in vier eigenständigen Stücken (bis Freitag im MuseumsQuartier) das Schlaglicht auf eine US-Mittelstandsfamilie in Rhinebeck bei New York.

Beim Essen von Huhn und Bohnensalat sowie Kürbiskuchen wurde Dienstag in "That Hopey Changey Thing" über dies und das geredet: Persönliches und Politik, Glück und Frustration – und einen toten Hund.

2. November 2010. "Midterm Elections", jene Wahlen zur Halbzeit der vierjährigen Amtszeit des Präsidenten, die als Stimmungsbild der Regierungspolitik gelten. Eine Niederlage der Demokraten und Barack Obama zeichnet sich ab. Klar, dass die Republikaner gewinnen, wenn überwiegend alte Leute wählen. Gewinnen ja, aber was?

Tim (Jesse Pennington), jung, aber irgendwie gescheitert, mischt die Familie auf. Mariann (Mariann Mayberry) fällt prompt der Teller aus der Hand, als Richard (Jay O. Sanders), der künftig für die Republikaner arbeiten will, nur den Namen Sarah Palin in den Mund nimmt. Sie ist für die anderen ein absolutes No-Go.

Schließlich hat jeder sein Feindbild. Und böse sind immer nur die anderen. Auch wenn sie sich einig darüber sind, dass Wahlkämpfe in Amerika Geldwettkämpfe sind und Inkompetenz, Gier und Dummheit die Politik beherrschen. Und sich die Frage stellt: Was wissen wir? Was können wir wissen?

Komik in die berührende Familiengeschichte bringt vor allem Uncle Benjamin (Jon DeVries), der – einst ein angesehener Theaterschauspieler – nach einem Herzinfarkt an Amnesie leidet. Nur: Was ist schon ein Schauspieler ohne Erinnerung? Andererseits ist er dadurch frei und glücklich, kommt gar nicht in die Situation, frustriert zu sein. Schließlich sei große Schauspielkunst ohnedies "willentliche Anarchie".

Andererseits: Nicht alles bedeutet etwas beim Talk über Erinnerung und Manieren. Es genügt, dass er das Hirn kratzt und schmunzeln macht.

KURIER-Wertung:

Kommentare