Bereit, um für mehr Stille in der Welt zu morden
Es geht einiges kaputt, wenn Kinder neugierig sind und forschen.
Bei Karl sind es mehrere Menschen, die dabei kaputtgehen – wobei es für den Buben anfangs schon sehr spannend zu sehen ist, wie zufrieden die Toten ausschauen.
Als seine Mutter tot im Weiher trieb, hatte Karl sogar erstmals das Gefühl, er habe sie lieb. Schön sah sie aus. Und still war sie.
Man muss bedenken: Karl ist extrem sensibel, was Geräusche betrifft. Selbst Rascheln und Säuseln tut ihm weh. Und seine Mutter, naja, sagen wir so: Für eine Ö1-Moderatorin wäre sie zu schrill.(Für eine Ö3-Astrologin geht’s gerade noch.)
Und jetzt ist sie still.
Karl lernt daraus: Der Tod ist ein Geschenk. Er ist bereit zu geben. Er will erlösen.
Allerdings gehen nicht alle Menschen friedlich, sondern schreien auf dem Sterbebett. Warum ist das so? Und warum machen die Hinterbliebenen so ein Theater?
Sie weinen, und auf den Täter wird Jagd gemacht, wenn Karl – nur ein Beispiel, er beherrscht mehrere Methoden – jemandem ein Messer in den Körper rammt ...
Irgendwie klingt das jetzt lustig, und das wird "Still" nicht gerecht.
Bitte um Entschuldigung dafür, vielleicht liegt es daran, dass man Karl und den Roman nicht fassen kann und nicht fassen will und sich deshalb drüber blödelt.
Die "Chronik eines Mörders" (Untertitel) ist sehr stark. Geschrieben hat sie der ehemalige Wiener Mathe-Lehrer Thomas Raab, der für seine Krimiserie mit dem schrulligen Möbelrestaurator Metzger bekannt ist. Zwei Bücher, verfilmt mit Robert Palfrader, zeigt der ORF im Februar.
Hass kommt erst
Raab gilt als heiterer Autor, dem "Still" zehn Jahre unangenehm verfolgt hat.
Es geht ja noch weiter mit dem Karl: Das Motiv für seine Untaten ändert sich. Es ändert sich, als er erstmals Liebe zu einer jungen Frau spürt. Erst durch die Liebe kommt Hass ins Leben.
Das alles hat eine eigene Logik und erzeugt Abscheu genauso wie Mitleid. Raab, der sich selbst "intellektuelles Nudelaug’" nennt, ließ seinen Massenmörder wachsen.
Wahrscheinlich wuchs ihm Karl sogar über den Kopf und entschied über Fragen zu Sterbehilfe und Religion, während der Autor noch über seine Sicht der Dinge grübelte. So erfuhr Thomas Raab , wie unmöglich es ist, in andere Menschen hinein zu schauen: Es klappt e nicht einmal bei Romanfiguren.
Manchmal wäre mehr Stille nett gewesen – soll heißen: Ein karger Stil hätte die Lebensgeschichte idealerweise skelettiert.
Aber das ist i-Tüpfelreiterei: Noch bevor das Buch erschienen ist, wurden Auslandsrechte vergeben. Das kommt selten vor. "Still" wird Spitzentitel in allen spanischsprachigen Ländern.
KURIER-Wertung:
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