Wer "Volare" nicht für den größten Popsong hält ...
Kammermusik in Py-Dur, Py wie Pynchon:
Das kann sehr laut werden und müde machen, man wird manchmal schreiend flüchten wollen, aber sich dann doch wieder den Klängen New Yorks hingeben ... und paranoid wird man, sofern man es nicht schon ist.
Wobei, gemäß Py-Dur, Paranoia der Knoblauch in der Küche des Lebens ist.
"Bleeding Edge" ist ein zugänglicher Roman – im Vergleich zu den 1496 Seiten "Gegen den Tag" (2008) mit sprechenden Kugelblitzen.
Vor allem ist er es, wenn er zwischendurch auf Seifenoper macht, über russische Eiscreme aus Haselnuss und Weichsel plaudert oder ältere Frauen tanzend an der Stange beobachtet.
(Der öffentlichkeitsscheue amerikanische Schriftsteller scheint viel Zeit vor dem Fernsehapparat zu verbringen.)
Im Vergleich zu "Natürliche Mängel" (2010) mit Detektiv Doc Sportello, der schläft, wenn’s spannend wird, ist "Bleeding Edge" allerdings anstrengend.
Der Roman ist nicht nur Spaß. Er begnügt sich nicht damit, mit seinen Lesern zu spielen. Er bewegt sich in einem Pyramidenspiel mit dargebrachten Menschenopfern auf der Pyramide – damit ist der Kapitalismus gemeint.
"Bleeding Edge" beginnt vor und endet nach 9/11, wobei der Terror nichts daran ändert, dass Amerika längst "anders" geworden ist.
Prophetisch
Stimmt, es wäre jetzt an der Zeit, endlich zu verraten, worum es im neuen Buch überhaupt geht.
Ist aber, unter uns, nicht das Entscheidende. Wegen der Handlung kauft man keinen Pynchon. Man will den Sound oder auch nicht.
Thomas Pynchon ist im Mai 77 geworden und klingt so jung, so frisch, übermütig und klar. Wenn er will. Er will aber auch unklar bleiben, verunsichern, verwirren und ärgern.
Die Hauptrolle spielt das Internet. Es wurlt vor Begriffen wie "penet.fi".
Eine Software-Firma namens hashlingrz wird durchleuchtet, gegen die Microsoft angeblich wie Greenpeace ist. Eine private Betrugsermittlerin muss ganz tief ins Netz tauchen.
Thomas Pynchon wusste, als er schrieb, nichts von Edward Snowden. Er erwies sich als prophetisch: Ein Spionageprogramm wird an die NSA verkauft.
Bleibt noch der KURIER-Titel zu vervollständigen. Dann ahnt man auch, wie sehr die deutsche Übersetzung Dichtung gewesen sein muss: Wer "Volare" nicht für den größten Popsong hält, ist "affig-schmaffig".
KURIER-Wertung:
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