Thomas Brezina: "Was sind uns Kinder wert?"

KURIER: Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem ORF nach 40 Jahren endet. Wie geht es Ihnen mit einem kurzen zeitlichen Abstand damit?
Thomas Brezina: Ich bin nach wie vor traurig. Das war schon ein sehr großer Teil meines Lebens. Auf der anderen Seite bin ich unendlich dankbar für all die Sendungen, die ich machen konnte und die ja auch bleiben und oft gespielt werden. Es tut mir natürlich sehr leid um die Firma KidsTV, die aufgelöst werden muss. Das sind Menschen, die mit großer Begeisterung gearbeitet haben. Ich persönlich habe zum Glück sehr viele Projekte, von neuen Kinderbüchern bis zu Programmen für Erwachsene über ein erfülltes Leben.
Aber was ist da genau passiert? Was war der Grund für die Trennung?
Das, was wir kommuniziert haben: Es gibt eine budgetäre und inhaltliche Neuorientierung des Kinderfernsehens im ORF, die eine Weiterführung der Firma KidsTV nicht mehr möglich macht. Der Stiftungsvorstand meiner Firma hat dann schweren Herzens gesagt: Das können wir so nicht mehr.
Es hieß, es ginge auch darum, dass man künftig Kinderfernsehen auf Streaming-Qualität produzieren will. Heißt das billiger?
Ich möchte dazu nur sagen, dass die Qualität, die wir über die Jahre gezeigt haben, sehr erfolgreich war. Im linearen Programm war das Kinderprogramm Samstag und Sonntag Marktführer gegenüber weiß Gott wie vielen anderen Sendern. In meinem Werk sehe ich Qualität nicht als Luxus, sondern als Verantwortung. Und von dieser Qualität rücke ich nicht ab.
Qualität ist oft etwas Subjektives. Was bedeutet das für Sie in Hinblick auf Kinderfernsehen?
Das kann ich durch meine Biografie genau sagen. Ich verbringe seit 30 Jahren einen Teil des Jahres in England, das ist meine zweite Heimat. Kinderfernsehen war bei der BBC immer ein Schwergewicht, das war für mich stets ein Maßstab in der Machart. Ich habe dort unglaublich viel Handwerk gelernt und mit sehr guten Leuten zusammengearbeitet. Dadurch habe ich Know-how nach Österreich gebracht. Qualität im Kinderfernsehen bedeutet die Möglichkeit, ein Format zu entwickeln. Dazu ausgiebig zu recherchieren, einen Pilotfilm zu drehen und zu schauen, ob wir damit die Kinder erreichen. Starke Bilder zu schaffen, gute Leute vor der Kamera zu haben, auch hinter der Kamera. Dadurch wird das auch für den Sender etwas sehr Kostbares. Das Wichtigste dabei ist: Dass du die Kinder auf Augenhöhe erreichst, sie für ein Thema begeisterst, dass sie sich verstanden fühlen. Kinderprogramm ist ein Treffpunkt und keine Verlängerung der Schule und auch nicht das Elternhaus. Ein Ort, zu dem Kinder gerne hingehen und sagen: Da kann ich etwas erfahren.
Im Fernsehen geht es ja immer auch um Zielgruppen. Von welchem Alter sprechen Sie da?
Von zwei bis ungefähr sieben Jahren. Da kann man unglaublich viel an Identität vermitteln, an österreichischem Sprachgefühl, an Bildern, an Look, an Wirklichkeiten.
Das heißt, Kinderfernsehen ist auch für migrantische Menschen eine Art Deutschkurs?
Ja, absolut. Das habe ich vielfach bestätigt bekommen. Viele sind zu mir gekommen und haben gesagt: Ich habe durch diese Sendungen Deutsch gelernt oder zumindest kennengelernt. Viele Kinder haben ihre Eltern auch gedrängt, zu den Drehorten von Tom Turbo zu fahren, weil sie das entdecken wollten.

Erreicht man heutzutage mit Fernsehen Kinder überhaupt noch?
Natürlich. Im Zentrum steht immer die Sendung, das Format. Man braucht ein starkes Format mit einem starken Thema. Und dann kann man natürlich auch, wie die BBC, Clips aus einer Sendung herausnehmen und über Youtube ausspielen.
Trotzdem ist es für Eltern wahnsinnig einfach, Kinder vor Youtube zu setzen und sich zu denken: Es wird vom Algorithmus schon nichts Schlimmes eingespielt werden. Leichter, als pünktlich um 9 Uhr den Fernsehapparat aufzudrehen.
Das ist jetzt der springende Punkt. Lineares Fernsehen hat besonders bei jüngeren Kindern eine große Bedeutung, weil die Eltern wissen, dass man sie vor den Fernseher setzen kann. Da kommt eine Abfolge von Angeboten, die sie gerne sehen. Aus diesem Grund sage ich auch: Das lineare Fernsehen ist absolut nicht tot, schon gar nicht für diese Zielgruppe inklusive Eltern. Man hat auch ein gemeinschaftliches Erlebnis, wenn etwa ein Kind einen Buchstaben, der in einer Sendung geübt wird, nicht aufschreiben kann und die Eltern helfen. Das gibt es bei einem Tablet nicht. Die Verantwortung von Eltern ist ja gerade heute bei jüngeren Kindern bei den Sozialen Medien sehr groß. Ich beneide keine Eltern um diese Diskussionen. Aber sie sind notwendig.
Ab wann ist es überhaupt sinnvoll, ein Kind vor den Fernseher zu setzen? Früher einmal hieß es: am besten gar nicht.
Ja, genau. Aber reden wir über die Realität. Die ist, dass die Leute ihre Kinder mit einem Jahr vor den Fernseher setzen. Und es ist die Verantwortung, diese Realität wahrzunehmen. Wir können leicht sagen, das soll nicht so sein, aber es ist so. Die berühmten Teletubbies sind deswegen entstanden, weil die langjährige Leiterin des Kinderprogrammes der BBC wusste, dass Kinder mit ein, zwei Jahren vor dem Fernseher sitzen. Das war damals ein Skandal, im Parlament kam die Anfrage, ob die BBC verrückt geworden ist und zur Massenverblödung beiträgt. Aber sie ist eisern dazu gestanden – und die Teletubbies sind ein Welterfolg geworden.
Ab wann ist es legitim, Kindern ein iPad oder ein Handy zu geben?
Da gibt es ja zum Glück genügend Hilfsmittel für die Eltern, die Inhalte einzuschränken. Aber ich bin gegen jegliche Form von Verbieten, weil das macht es nur interessanter. Das ist wie die verbotene Frucht. Und was will der Mensch? Genau das. Mein Zugang ist, mit jeder Form von Medien, Kindern das zu zeigen, zu erklären und als Eltern zu limitieren. Was das Alter betrifft: Ich finde nicht, dass ein kleines Kind ein Handy braucht, außer aus Sicherheitsgründen. Und ich meine auch nicht, dass man als Zweijähriger ein iPad braucht. Aber auch da ist die Realität, dass die Kinder neben ihren Eltern sitzen und das mitkriegen. Ganz schrecklich finde ich es, wenn man in ein Restaurant geht, die Kinder hinsetzt und ihnen sofort ein iPad gibt, damit sie ruhig sind.
Sie haben mehrfach die BBC erwähnt, aber auch dort gibt es finanzielle Schwierigkeiten. Ist das Kinderfernsehen grundsätzlich in Gefahr, weil man da ja auch zum Beispiel – im Gegensatz zu Youtube – keine Werbung ausspielen sollte? Ist es bald nicht mehr finanzierbar?
Das ist jetzt ein politisches Thema. Was sind uns Kinder wert? Welchen Stellenwert räumen wir ihnen ein? Ich glaube, dass es dazu einmal Antworten geben sollte. Wie viel Prozent der Haushaltsabgabe zum Beispiel für Kinderprogramme verwendet werden sollten. Kennen Sie den Spruch: Kinder sind die Zukunft? Das ist für mich das Verlogenste überhaupt. Kinder sind die Gegenwart. Und deshalb sollten sie absolut gleichberechtigt neben anderen Altersgruppen stehen.
Aber Kinder schreiben keine bösen Leserbriefe.
Das ist das Problem. Keiner steht für sie auf – oder viel zu wenige tun es.
Ist es nicht im Gegenzug oft so, dass manche Eltern, die sich laut zu Wort melden, dann mit der typischen pädagogischen Keule alles niederwalzen?
Vollkommen richtig. Es geht um Menschen, die Respekt vor Kindern haben. Kinder sind kleine Menschen, keine kleinen Erwachsenen. Kleine Menschen mit einer ganz eigenen Persönlichkeit, mit eigenen Wünschen, eigenen Bedürfnissen. Wir als Erwachsene müssen zwei Dinge sehen: Wir müssen ihnen auf Augenhöhe begegnen, um zu spüren, wie wir sie mit unseren Inhalten berühren können. Und selbstverständlich haben wir die Aufgabe, ihnen Spielregeln beizubringen. Wir haben eine Vorbildfunktion für das Zusammenleben. Wir müssen das vermitteln, aber nicht von oben herab, sondern in einer Art, bei der sich Kinder aufgehoben, verstanden, akzeptiert und respektiert fühlen. Das größte Kompliment, das ich kriege, ist: Danke für eine schöne Kindheit. Das bekomme ich aus der ganzen Welt.
Aber warum konnte angesichts dieses weltweiten Wirkens dann die Firma nicht auch ohne ORF weitergeführt werden?
Weil sie exklusiv für den ORF tätig war. Es war ein Exklusivvertrag, auch wenn die Sendungen dann etwa bei KiKA zu sehen waren – das waren Kooperationen des ORF.

Sie sind ja ein wahnsinnig erfolgreicher Autor. Auch da heißt es immer: Kinder lesen nicht mehr, das geht den Bach runter. Stimmt das?
Das ist die übliche Schwarzmalerei, die es schon immer gegeben hat und die ich für sinnlos halte. Meine 90-jährige Tante Mitzi hat, als ich ihr gesagt habe, dass Kinder immer weniger lesen, weil sie nur mehr fernsehen, schallend zu lachen begonnen. Denn zu ihr haben sie als Kind immer gesagt, lies nicht so viel, davon verdirbt man sich nur die Augen. Ich habe damals schon die Prophezeiung gemacht: Es wird der Tag kommen, an dem wir zu Kindern sagen: Bitte schaut fern! Der Tag ist inzwischen gekommen. Aber ja, ich glaube an die Macht des Buches und an die Macht der gedruckten Geschichte. Die Frankfurter Buchmesse musste den Platz für New Adult ausweiten und eine neue Halle öffnen, weil junge Menschen, vor allem junge Frauen, so viel lesen wie nie zuvor. Menschen müssen mit Büchern in Kontakt kommen, die sie dann auch wirklich lesen wollen. Da müssen wir etwa auch in der Schule völlig neue Wege gehen.
Sie haben auf Social Media gesagt: Man sieht Sie wieder, auch im Fernsehen. Ist das schon konkret?
Ich habe schon Anfragen bekommen – auch zu Erwachsenen-Themen. Auch hier entwickle ich ja Programme rund um das Thema, wie ein erfülltes Leben zu schaffen ist. Es gibt Gespräche, ich habe keine Eile. Aber dass das Interesse da ist, das freut mich. In meinem Leben ist alles auf mich zugekommen, und ich habe Ja gesagt, auch wenn meine Knie geschlottert haben. Ich renne den Sachen nicht hinterher.
Man sieht Sie auf Social Media immer wieder mit ihren zwei Hunden. Für viele Menschen sind diese ja auch ein Kinderersatz. Was sagt der Kinderautor und Kinderfernsehmacher zu so einer Vermenschlichung?
Ich halte sie für mehr als menschlich. (lacht)
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