Theater: Klimatragödie, Post-Sex und theologische Pinguine
"Schuld und Söhne" des Volkstheaters: Textilschonend und musikarm
Am Ende singt ein mächtiger Chor „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“ (bekannt durch die Comedian Harmonists) und vermittelt eine Ahnung davon, was an diesem Abend möglich gewesen wäre.
Das ist nämlich das größte Rätsel dieser rätselhaften Aufführung: Dass sie so wenig Musik bietet. Die Arbeiten von Regisseurin Christine Eder und Komponistin Eva Jantschitsch brillierten immer durch ihre starken Musikbeiträge. Diesmal nicht. „Klimatragödie mit Musik“ steht auf dem Programmheft. „Klimatragödie mit viel zu wenig Musik“ wäre ehrlicher gewesen.
Zur Handlung: Diese ist nur zur erahnen. Wir befinden uns in einer nicht näher definierten Zukunft. Die Klimakatastrophe ist eingetreten. Eine Gruppe von Menschen hat rechtzeitig die zu heiße Stadt verlassen und sich in ein Haus auf dem Land zurückgezogen, wo sie eine neue Form des Zusammenlebens praktiziert. (So beginnt jeder Tag mit der Anrufung der Urmutter Gaia und dem Mantra „Wir schonen! Wir schonen!“)
Doch dieser „Safe Space“ ist bedroht, von inneren Konflikten und von Horden von Hitzeflüchtlingen.
Rituale
Wie erwähnt: Viel Handlung gibt es nicht. Die Personen ergehen sich in Gesprächsritualen. Es geht um Generationenkonflikte, um Überbevölkerung, um Ausbeutung, um Flucht, um den Versuch nachhaltiger Lebensweise. Das wird teilweise eindrucksvoll dargeboten, ein Theaterstück wird nicht daraus.
Das ausgezeichnete Ensemble – Claudia Sabitzer, Evi Kehrstephan, Katharina Klar, Bernhard Dechant, Thomas Frank, Nils Hohenhövel, Christoph Rothenbuchner und Dominik Warta – bemüht sich sehr, die doch ziemlich formelhaften 90 Minuten zum Leben zu erwecken. Ebenfalls sehr eindrucksvoll: Die Lichtinstallationen, die Kuppelformen über die Bühne (Monika Rovan) spannen.
Zum Thema Nachhaltigkeit: Ein Text im Programmheft befasst sich selbstkritisch mit dem Textilienverbrauch des Theaterbetriebs. Und beteuert: Für diese Produktion wurden ausschließlich schon vorhandene Kleidungsstücke verwendet – „und sämtliche, für die Abholung notwendigen Wege wurden mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt“.
Leider resultiert daraus noch nicht automatisch gutes Theater. Guido Tartarotti
Baden: Sympathische Zeitreise in das Königreich Siam
„Oklahoma!“, „South Pacific“, „Carousel“ „The Sound of Music“ und „The King and I“ – das Duo Richard Rodgers (Musik) und Oscar Hammerstein II hat mit seinen Musicals Broadway-, und Filmgeschichte geschrieben.
Und auch Intendant Michael Lakner setzt im Stadttheater Baden nun auf einen dieser Klassiker – auf „The King and I“ in der deutschen Fassung von Sabine Ruflair. Ein charmantes Unternehmen, auch wenn „Der König und Ich“ schon eine gewissen Patina angesetzt hat.
Retro-Charme
Denn die Zeiten, als ein Rex Harrison oder (gleich in zwei Produktionen und auf der Bühne) ein Yul Brynner den sturen König von Siam, der in der englischen Erzieherin Anna Leonowens seine Meisterin findet, gespielt haben, sind leider lange vorbei.
In Baden tritt nun Darius Merstein-MacLeod sehr achtbar in diese große Fußstapfen und ist vor allem dann gut, wenn er sein komödiantisches Talent zeigen darf. Den ach so gestrengen Herrscher nimmt man ihm weniger ab; dafür ist er zu sympathisch. Sympathisch und vokal exzellent ist auch Patricia Nessy als liberale Anna, die den Hof von Siam kräftig aufmischt und das Herz des letztlich allerdings den Tod findenden Königs erobert.
Brillant agiert auch Ann Mandrella in der für ihre Verhältnisse fast zu kleinen Rolle der Lady Thiang. Als Annas Sohn Louis lässt Jonas Zeiler mehr als aufhorchen. Valerie Luksch ist als arme, den „falschen“ Mann liebende Tuptim eine Möglichkeit; Beppo Binder als ihr Lun Tha weitaus weniger.
Die kleineren Rollen (Artur Ortens, Jonas Tonnhofer, Robert Kolar, Franz Josef Koepp, Wei-Ken Liao, Thomas Weissengruber) sind ebenso wie die vielen Prinzessinnen und Prinzen (Chor) gut besetzt. Dirigent Christoph Huber hat musikalisch alles im Griff, auch das Ballett überzeugt bei seinen Auftritten.
Bleibt die viel zu langatmige (Striche!), zu dialoglastige, klassisch-biedere Inszenierung von Leonard Prinsloo, die in Monika Bieglers Kaum-Ausstattung ebenfalls Retro-Charme verströmt. Peter Jarolin
"Reigen" im TAG: Reden im postsexuellen Zeitalter
Vor 100 Jahren wurde Arthur Schnitzlers „Reigen“ in Berlin uraufgeführt – und bald zu einem enormen Theaterskandal. In zehn Szenen – immer reicht eine Figur der nächsten die Hand – wird die Mechanik der Sexualität gezeigt, auf Basis der damals geltenden Klassenunterschiede und moralischen Zwänge.
Im auf „Überschreibungen“ spezialisierten Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) hat der deutsche Autor Thomas Richter eine zeitgemäße, neue Fassung auf die Bühne gebracht.
Wir leben, so die Grundthese, in „postsexuellen“ Zeiten. Sex ist zwar heute immer und überall möglich, gleichzeitig aber so kompliziert geworden, dass es oft beim Reden bleibt.
Eine der traurigsten und gleichzeitig witzigsten Szenen des Abends ist die mit dem älteren Ehepaar, das im Schlafzimmer über seine „asexuelle Monogamie“ diskutiert. Sehr komisch ist auch das Treffen eines Paares, das in einem Lokal eine Art Sex-Vertrag abschließen will. Dann gibt es noch die an zu vielen Gefühlen scheiternde Scheidungsparty eines lesbischen Ehepaares, einen Besuch in einem „Orgasmic Yoga Seminar“, ein Bodybuilder scheitert beim Versuch, mit einer Prostituierten zu verkehren, an seinem Hormonhaushalt, ein schwules Paar scheitert am Versuch, Romantik zu inszenieren ...
Das TAG-Ensemble – Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Georg Schubert und Petra Strasser – spielt wieder einmal großartig. Der von Dora Schneider inszenierte Abend ist nahe am Kabarett gebaut, es fehlt ihm aber an Tiefgang. Viel Jubel vom Premierenpublikum. Guido Tartarotti
Theater der Jugend: Gott ist kein Pinguin, und auf der Arche ist Platz für drei
Schuld und Sünde, Fischgeruch und Watschelgang: „An der Arche um acht“ treffen die Pinguine ein, um der Sintflut zu entkommen.
Blöd halt, dass es nur zwei Tickets gibt, aber einen dritten Freund. Den schummeln die etwas schusseligen, aber von schwierigen Fragen bewegten Frackträgervögel einfach an Bord. Und das gibt, natürlich, Ärger.
Im Theater der Jugend darf beim Erfolgsstück von Ulrich Hub (Regie: Yüksel Yolcu) über Großes und Kleines nachgedacht werden: Über Freundschaft, Gott, über Moral und über Käsekuchen. Weiht man die Welt dem Untergang, wenn man sich auf einen Schmetterling setzt? Darf man Gott belügen, um den Freund zu retten?
Land in Sicht
Mit Gags und Gruppengesang (Frank Engelhardt, Alessa Kordeck, Stefan Rosenthal als Pinguine), aber auch auf Tuchfühlung mit dem Ernst der Dinge gibt es in zwei Mal 45 Minuten einen Blick auf all jene großen Fragen, die im Religionsunterricht, in der Kirche oder als späterer philosophischer Reibepunkt auf die Kinder warten.
Das alte Testament ist auch durch Pinguin-Augen gesehen kein Safe Space. Und manches Kind reagiert auf die Erzählbegegnung mit den frühgöttlichen Erziehungsmaßnahmen mit dem entsprechenden Emotionswechselbad. Aber, das ist das Gute am Kindsein ebenso wie am Theater: Man darf große und kleine Fragen gleichermaßen Ernst nehmen.
Vielleicht gibt es gar keinen Gott, fragen sich die Pinguine am Schluss, glücklich wieder zurück an Land. Und nein, die Pinguine waren nicht Schuld an der Sintflut. Da darf schon wieder ein Regenbogen bestaunt und über einen Kuss gekichert werden.
Und neben all den anderen kommt noch eine wichtige Frage mit nach Hause: Darf eine Taube einen Pinguin heiraten? Georg Leyrer
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