Schattendorf als Zitat
„Leben und Sterben in Wien“ nennt sich die Geschichte, die Thomas Arzt erzählt. Mit dem Actionthriller „Leben und Sterben in L. A.“ hat das Stück eher weniger zu tun. Es spielt, laut Angabe, „zwischen Jänner 1927 und Februar 1934“. Aber eigentlich spielt es nur von Jänner bis Juli 1927 (also von der Schießerei in Schattendorf, auf die nicht näher eingegangen wird, bis zum Justizpalastbrand). Und – nach der Pause – sieben Jahre später.
Gestorben wird schon auch in Wien (eben im Bürgerkrieg, von dem eher mauerschauartig berichtet wird), aber eigentlich, jedenfalls auf der Bühne, eher am Land. Den Altbauer Sepp, der sich von der reinen Magd Fanni (mit den blonden Zöpfen) gerne einen blasen lässt, rafft die Lungenentzündung hin. Und dessen Sohn Hans ballert eiskalt die widerständige Sara nieder.
Deren Vater ist Theaterdirektor in Wien. Und dem bringt die Fanni einen Brief der Sara, die auf dem dumpfen Land ein echter Fremdkörper war. Natürlich ist der Inninger zur Stelle, der immer zur Stelle ist, wenn was passiert. Der Inninger war auch zuvor zur Stelle, als im Theater von den Aufrechten gestohlene Waffen versteckt wurden. Merke: Das Theater ist der wahre, wahrhaftige Ort des Widerstands! Zweimal unterstrichen!
Wer „Die feindlichen Brüder“, den vierten Teil der grandiosen „Alpensaga“ von Peter Turrini und Wilhelm Pevny, kennt, wird im Josefstädter Theater wehmütig werden: Thomas Arzt hat, so scheint es jedenfalls, Jura Soyfer, Ödön von Horváth und Bertolt Brecht durch die KI-Maschine gejagt und – als untrügliches Zeichen hoher Kunst – in den gesprochenen Sätzen oft die Verben, meist Hilfszeitwörter, gestrichen.
Herausgekommen ist ein B-Movie voll Versatzstücken. Horváths Kasimir, der Chauffeur, wurde „abgebaut“. Und „abgebaut“ wird natürlich auch bei Thomas Arzt. Aber man vernimmt öfters auch ein lapidares „Sorry“ oder „Okay“. Die 30er-Jahre waren eben doch ganz anders, als man bisher dachte.
Das Schießfiguren-Stück ist nebenbei eine wahrlich rührende Emanzipationserfolgsgeschichte: Die immerzu gertenschlanke Magd, am Land von einem Dollfuß-Heimwehrler geschwängert, schneidet sich die Zöpfe ab und wird im Roten Wien dank Volkshochschule zur blond gelockten Intellektuellen, die im Schneiderinnensitz vor der Reiseschreibmaschine ihre Texte tippt.
Sozialistisches Herzblut
Hausherr Herbert Föttinger setzt dies geradezu kongenial um. Ohne Zwischentöne, in Schwarz-Weiß und mit sehr viel sozialistischem Herzblut. Da wehen die roten Fahnen! Da werden Freiheit und Demokratie besungen! Da skandiert der Chor! Große Oper im starren Bühnenbild-Schlachtfeld (von „Die Schichtarbeiter“) mit je einem windschiefen Telegrafen- und Laternenmasten!
Katharina Klar darf als Fanni nackt in der Donau baden. Alexander Absenger überaus enthusiastisch einen idealistischen Sozialisten verkörpern, der – welch Zufall! – den gleichen Vornamen wie Otto Bauer hat.
Robert Joseph Bartl darf nach dem Tod seines Ungustl-Großbauern als Gottesmann wiederauferstehen und an den Prälaten ohne Gnade erinnern. Und Joseph Lorenz als Inninger in Respekt einflößender Uniform (von Birgit Hutter) auch menschliche Seiten zeigen.
Alma Hasun muss sich von der Dreigroschen-Prostituierten zur Nazi-Braut im mondänen Pelz hochschlafen. Und Günter Franzmeier erinnert an das Faktotum Holzapfel im Turrini-Stück „Es muss geschieden sein“, das vergangenes Jahr uraufgeführt wurde: Auch da schwappt der Bürgerkrieg ins Theater hinein. Aus dem Riesenensemble samt 20-köpfigem „Bewegungschor“ sticht eine ganz besonders hervor: Lore Stefanek als hutzelige, superbösartige Nazisse.
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