Der Zuschussbedarf pro Besucher machte bei manchen Opernproduktionen sogar mehr als 400 Euro aus. Aufgrund von weit kostengünstigeren Matineen und Veranstaltungen in der „Hölle“ betrug der durchschnittliche Bedarf 311 Euro im Jahr 2019. Der Wert lag damit „erheblich“ über jenem der Jahre 2010 bis 2017 mit 255 Euro. Die Prüfer empfahlen daher, „Strategien, Konzepte und ausgabenseitige Redimensionierungsmaßnahmen zu entwickeln“. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen wird die Aufgabe des künftigen Intendanten Stefan Herheim sein – zusammen mit Franz Patay, dem Geschäftsführer der Vereinigten Bühnen Wien. Denn das Opernhaus gehört zum VBW-Konzern. Geyer hingegen hat sich der Vergangenheit und damit der Frage zu stellen, wie kostspielig Produktionen sein dürfen.
Er eröffnete die vormalige Musicalbühne im Jänner 2006 mit „Idomeneo“. Die Entscheidung, das Theater an der Wien als Opernhaus zu programmieren, war zwei Jahre zuvor gefallen. Um die Kosten gering zu halten, wählte man das Stagione-Modell. Die Vereinbarung mit Geyer lautete: „Du bekommst für 100 Spieltage 21,6 Millionen Euro, damit musst Du auskommen.“
Der Manager hatte zwar 25 Millionen als untere Subventionsgrenze angesehen, willigte aber ein, weil man ihm mehr oder weniger zugesichert hatte, dass die damals nicht ausgelasteten Symphoniker zwei oder drei Produktionen praktisch gratis bestreiten würden. Doch zumeist zierte sich das Orchester, und wenn es spielte, dann nicht kostenlos: Geyer musste zwar nur die Dienste bezahlen, aber insgesamt seien die Symphoniker nur unwesentlich billiger gekommen als etwa das RSO. Die Politik habe aber, meint Geyer, nichts Falsches behauptet: Wenn das Theater an der Wien ein eigenes Orchester und einen eigenen Chor hätte, lägen die Kosten weit, weit höher.
Ob er an den 100 Abenden ausschließlich Opern anzusetzen habe, sei nicht genau ausformuliert worden. Und so bot Geyer, um über die Runden zu kommen, auch Konzerte an. Sprich: Er versuchte das Konzept der Salzburger Festspiele nachzuahmen. Denn dort erwirtschaften die Konzerte einen Gewinn, und dieser finanziert die Opernproduktionen mit.
Doch Geyer musste erkennen, dass ihm ein hochkarätiger Klavier- oder Liederabend zu viel kostet. Konzerthaus und Musikverein seien, sagt er, einfach übermächtige Locations. Die Folge war, dass Geyer auf Konzerte verzichtete – und damit die Zahl der Veranstaltungen reduzierte. Dies hatte jedoch Auswirkungen. Denn je weniger Besucher, desto höher der durchschnittliche Zuschussbedarf.
Hinzu kam, dass es Geyer nicht gelang, eine Inflationsabgeltung zu erwirken. Die Basisabgeltung des Bundes für die Staatsoper sei zwischen 2010 und 2020 von 51 auf 66 Millionen Euro – also um 30 Prozent – gestiegen, die Subvention der Stadt für das Theater an der Wien aber mehr oder weniger gleich geblieben, zwischendurch sogar gesunken. Wenn er doch zumindest 20 Prozent mehr bekommen hätte! So seufzt Geyer. Um das Qualitätslevel zu halten, dem er sich verpflichtet fühlte, musste er wieder Maßnahmen ergreifen. Er verzichtete also z. B. auf die sommerliche Produktion. Was erneut dazu führte, dass der Zuschussbedarf pro Besucher stieg – und der Eigendeckungsgrad sank. Ein wahrer Teufelskreis.
Aber sind nicht auch 21 Millionen pro Saison eine schöne Summe – für bloß acht bis neun Produktionen? Keine Frage, sagt Geyer. Er hätte viel verwirklichen können, die Reputation sei im In- wie im Ausland sehr hoch.
Die Kosten erstaunen trotzdem. In der Regel erlebte jede Inszenierung sechs Vorstellungen – und hatte daher nur rund 6.000 Besucher. Die Kosten lagen aber im Durchschnitt bei 2,7 Millionen Euro – samt Overheadkosten. Diese würde Geyer gerne ausklammern, denn pro Produktion seien nur zwischen einer und 1,5 Millionen zur Verfügung gestanden. Aber der Stadtrechnungshof zählt sie hinzu, denn auch sie sind zu bezahlen. Daher kommt er eben bei „Oberon“ auf einen Zuschussbedarf von 463 Euro je Besucher, bei „La vestale“ betrug er 457 und bei „Guillaume Tell“ 418 Euro.
Stehen diese Ausgaben überhaupt noch in einem vertretbaren Verhältnis – etwa zu den Subventionen, die es für Produktionen der freien Szene gibt? Diese habe, meint Geyer, ganz andere Kostenstrukturen, eine ganz andere gewerkschaftliche und kollektivvertragliche Basis. Zudem gebe es ehrenamtliche Mitarbeit und persönliches Engagement bis hin zur Selbstausbeutung. Daher würden große Institutionen, so lange es in der freien Szene kein echtes Fair Pay gibt, im Vergleich immer schlecht dastehen.
Aber hätte er die Inszenierungen nicht öfter spielen können? Dann wäre der Zuschussbedarf pro Besucher niedriger. Geyer kontert, dass es in Wien einfach nicht genügend Publikum gäbe. Bei acht Vorstellungen zum Beispiel wäre die Auslastung auf vielleicht 80 Prozent gesunken. Ihm sei es lieber gewesen, eine Auslastung von 96 oder gar 98 Prozent zu haben. Zudem hätten acht Vorstellungen zur Folge gehabt, dass er pro Saison eine Produktion weniger hätte finanzieren können. Denn die Honorare für die Solisten fallen ja pro gespielter Vorstellung an.
Und die Einnahmen sind eben immer niedriger als die Ausgaben. Auch deshalb, weil die Kartenpreise äußerst moderat sind: Das Premierenabo kostete in der besten Kategorie nicht einmal 120 Euro pro Vorstellung. Der Stadt und auch ihm, sagt Geyer, sei wichtig gewesen, dass die Eintrittspreise deutlich niedriger als in der Staatsoper sind, damit sich auch Menschen, die wenig Geld haben, gute Plätze leisten können.
Und was wäre gewesen, wenn Geyer im Laufe der Jahre nicht drei Inszenierungen von „Le nozze di Figaro“ gebracht, sondern eine Produktion nach einiger Zeit wieder angesetzt hätte? Auch die von der Platzkapazität mehr als doppelt so große Staatsoper bietet pro Saison nur je eine Aufführungsserie einer Oper mit vielleicht fünf Vorstellungen an, aber die Produktion bleibt mitunter jahrzehntelang im Repertoire. Daher verteilen sich die Entstehungskosten auf 20 oder 30 oder 100 Vorstellungen.
Eine Wiederaufnahme widerspreche dem Stagione-Gedanken, meint Geyer, und wäre von seinem Publikum wohl nicht goutiert worden. Der Preis für die Exklusivität – ausschließlich Neuproduktionen und auch Folgevorstellungen in Premierenbesetzung – ist also hoch. Die einzige Möglichkeit der Amortisation sei daher, Produktionen weiterverkaufen. Es gibt aber in Mitteleuropa recht viele produzierende Opernhäuser – und jeder Intendant, jede Intendantin möchte lieber eigene Ideen realisieren. Daher sei es nur etwa 30 Mal geglückt, eine Produktion weiterzuverkaufen. Aber natürlich sei aus finanziellen Überlegungen heraus mitunter koproduziert worden.
Nach der Pandemie werde es sicher nicht einfacher werden – für keinen Kulturbetrieb. Das Publikum müsse mit Marketing-Kraftakten zurückgewonnen werden, es brauche wohl auch neue Produktions- und Vermittlungskonzepte. Und ja: Die Kulturpolitik müsse mitziehen.
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