Ein Serienmörder zum Gernhaben

Der kanadische Hollywoodstar Ryan Reynolds in einer bizarren Rolle als Mörder wider Willen: Nicht nur seine Haustiere, auch die von ihm getötete Fiona (Gemma Arterton) scheint mit ihm zu sprechen
"Persepolis"-Macherin Marjane Satrapi über ihren neuen Kinofilm "The Voices" und ihre Wiener Zeit.

Mit der Verfilmung ihrer autobiografischen Graphic Novel "Persepolis" wurde Marjane Satrapi 2007 schlagartig bekannt. Nun legt die iranisch-französische Regisseurin ihren dritten Realfilm vor. "The Voices" (ab sofort im Kino) ist eine bitterböse Horrorkomödie über einen netten Kerl (Ryan Reynolds), der in einer Kleinstadt im US-Staat Michigan auf Abwege gerät. Durch Gerichtsauflagen auf Psychopharmaka eingestellt, nimmt Jerry einen Job in einer Badewannenfabrik an und verliebt sich in seine Kollegin Fiona (Gemma Arterton).

Ein Serienmörder zum Gernhaben
epa03473678 Iranian director Marjane Satrapi poses during the photocall for the movie 'La bande des Jotas', at the seventh annual Rome Film Festival, in Rome, Italy, 16 November 2012. The movie is presented out competition at the festival that runs from 09 to 17 November. EPA/CLAUDIO ONORATI
Als er die Medikamente absetzt, werden die Stimmen in Jerrys Kopf immer drängender. Während sein Hund ihm gut zuredet, stachelt ihn seine Katze zu grausigen Untaten auf. Diese geschehen zwar eher zufällig, aber seine Wohnung füllt sich zusehends mit feinsäuberlich verpackten Leichenteilen.

(Eine Langfassung des Gesprächs Mit Marjane Satrapi können sie weiter unten lesen)

KURIER: Sie beschreiben die unbequeme Welt eines Einzelgängers. Er versucht sein Bestes, aber alles geht schief.

Marjane Satrapi: Jerry ist der netteste Serienmörder der Welt. Er hat keine bösen Absichten. Okay, er ist verrückt und hat psychische Probleme. Aber ich empfinde Mitgefühl für ihn. Die größte Herausforderung war, diesen Kerl auch für das Publikum sympathisch zu machen.

Warum sollte das Publikum mit ihm fühlen?
Filme dieser Art werden meistens aus der Sicht des Opfers gemacht. Aber hier ist man immer bei Jerry, bewegt sich in seinen Gedanken. Er ist kein Raubtier, das hinaus auf die Jagd geht, auf der Suche nach Opfern. Alles kommt auf ihn zu. Sogar die sehr zarte Lisa (gespielt von Anna Kendrick, Anm.) steht über ihm. Sie küsst ihn, sie ist es, die zu seinem Haus geht.

Kann man über einen psychisch erkrankten Mörder lachen?
Man muss den Film als das sehen, was er ist: Eine Horrorkomödie. Ich wollte keinen Film über psychische Störungen machen. Hätte ich das beabsichtigt, wäre ich wohl ziemlich unverantwortlich gewesen. Leute kamen auf mich zu und sagten: "Aber wir haben einen psychisch Erkrankten in unserer Familie!" Ich sagte: "Aber es ist eine Komödie, keine Dokumentation."

Sehen Sie den Hund und die Katze wie Engelchen und Teufelchen auf seiner Schulter?
Man könnte natürlich sagen, Bosco, der Hund, ist der Gute und Mr. Whiskers ist böse. Aber man könnte auch sagen: Die Katze ist ehrlich, humorvoll, während Bosco langweilig ist. Katzen sind unabhängige Wesen, können aber richtig gemein sein. Ich bin Katzenliebhaberin und weiß, wovon ich spreche!

Ryan Reynolds spricht auch beide Tiere. Wie kam es zum schottischen Akzent der Katze?
Für die Katze hatte ich eine näselnde Stimme wie die von Joe Pesci im Kopf. Dann hat Ryan aber den schottischen Akzent seines Agenten ausprobiert. Ich musste wirklich lachen und meinte: Großartige Idee! Nehmen wir das!

Sie leben in Paris und sind Cartoonistin. Wie haben Sie den Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" erlebt?
Ich kenne die Zeichner dort persönlich. Es hat mich auf schreckliche Art betroffen. Nichts auf dieser Welt kann das Töten eines anderen Menschen rechtfertigen. Auf eine Zeichnung, die einem nicht gefällt, antwortet man mit einer Zeichnung.

Wie ist die Atmosphäre jetzt?
Zurück zur Normalität. Das ist das Gute am Menschen, wir schreiten voran. Das Schlimme daran ist, wir bewegen uns so schnell, dass wir oft keine Lehren ziehen. Daher wiederholen sich gewisse Dinge immer wieder.

Sie haben vier Jahre in Wien im Exil gelebt, wie in "Persepolis" nachzulesen ist. Wie sehen Sie diese Zeit im Rückblick?
Es war Krieg in meinem Land (Iran, Anm.), ich war im Pubertätsalter, allein und weit, weit weg von meinem Land und meiner Familie. Das wäre überall eine schlimme Erfahrung gewesen, nicht nur in Wien. Ich liebe Österreich, das Essen, die Leute. Was mir an Wien besonders gefällt: Es ändert sich einfach nichts. Ich besuchte 18 Jahre später mit meinem Ehemann das Café Hawelka. Ich erzählte ihm, dass dort immer Herr Leopold Hawelka sitzt, sich einem zuwendet und sagt: "Grüß Gott!" Genau so ist es damals wieder gewesen. Und ich liebe das!

INFO: "The Voices", Tragikomödie/Horror. USA/D 2014. 103 min. Von: Marjane Satrapi. Mit: Ryan Reynolds, Gemma Arterton, Anna Kendrick, Jacki Weaver.

KURIER: Sie beschreiben die unbequeme Welt eines Einzelgängers. Er versucht sein Bestes, aber alles geht schief.

Marjane Satrapi: Jerry ist der netteste Serienmörder der Welt. Er hat keine böse Absichten. O.K., er ist verrückt, hat psychologische Probleme. Aber irgendwie empfinde ich Sympathie und Mitgefühl für ihn. Die größte Herausforderung war, diesen Kerl für die Zuschauer sympathisch zu machen. Und ich mag ihn, weil ich einen kleinen Buben sehe, der zu einem dreißigjährigen Mann geworden ist.

Warum sollten das Publikum mit ihm fühlen? Immerhin tötet er mehrere Frauen …
Weil er es nicht mit Absicht macht. Üblicherweise hat man kein Mitgefühl mit solchen Menschen. Filme dieser Art werden meistens aus der Sicht des Opfers gemacht oder aus einer allgemeinen Sicht heraus. Aber hier ist man immer bei Jerry, man bewegt sich in seinen Gedanken, wir verstehen seine Sache, aus welchen Verhältnissen er kommt. Er ist kein Raubtier, er geht nicht hinaus auf die Jagd, auf der Suche nach seinen Opfern. Alles kommt auf ihn zu. Sogar die seher zarte Lisa (gespielt von Anna Kendrick, Anm.) steht über ihm. Sie küsst ihn, sie ist es, die zu seinem Haus geht. Ich finde ihn liebenswert, charmant und lustig. In einem Film können wir diese Art von Mitgefühl ausleben, wir können alles machen.

Ein Serienmörder zum Gernhaben
Film: The Voices 2015 Mit Ryan Reynolds Gulliver McGrath Anna Kendrick Regie: Marjane Satrapi
Sehen Sie den Hund und die Katze wie Engelchen und Teufelchen auf seiner Schulter?
Ich glaube nicht, weil ich eine Katzenliebhaberin bin! Man könnte natürlich sagen, Bosco, der Hund, ist der gute Kerl und Mr. Whiskers ist der Böse. Aber man könnte auch sagen: Die Katze ist ehrlich, humorvoll und der Hund ist langweilig, wenn er wie ein Republikaner spricht: "Du solltest zur Polizei gehen …" (spricht sehr tief)Eine Katze ist eine Katze. DU kannst sie nicht für die Polizei oder für Blinde einsetzen. Katzen sind immer unabhängige Wesen und können auch richtig bösartig sein. Ich habe eine und weiß worüber ich spreche.

Wie war es, mit den Tieren zu arbeiten?
Die Hölle! Ich meine, der Hund war O.K. Sitz, steh, lauf! Und er hat es gemacht. Aber die Katze? Nie! In neunzig Prozent der Szenen war die Katze bei den Aufnahmen gar nicht im selben Raum, wir fügten das dann als Splitscreen zusammen. Wir mussten oft stundenlang warten, bis die Katze dreißig Sekunden lang das gemacht hat, was wir wollten. Zum Glück war mein Editor, er war auch Leiter der Second Unit, sehr geduldig. Eine Katze ist ein kleines Tier, wenn fünfzig Menschen um sie herumstehen, zuckt sie aus. Ich wollte der Katze schon Beruhigungstabletten geben. Ich meinte, das ist keine Misshandlung, ich nehme die selber manchmal. Er meinte: No, no, no!

Ryan Reynolds spricht auch die Stimmen der beiden Haustiere. Wie kam es zu dem schottischen Akzent?
Bevor ich so einen Film mache, muss ich alles einmal für mich selbst durchsprechen. Und immer, wenn ich diese Seiten im Drehbuch durchgelesen habe, war der Hund für mich eigentlich immer klar. Er hat einen Midwest Akzent. Wenn wir jetzt die "böse" Katze mit deutschem Akzent versehen hätten - so etwas hat man schon millionenfach gesehen. Für die Katze hatte ich eine näselnde Stimme wie die von Joe Pesci im Kopf. Dann hat Ryan aber diesen schottischen Akzent ausprobiert. Und plötzlich hatte ich all diese schottischen Kerle vor mir, die ich so kenne. Mit roten Haaren, sehr dünn und auf eine spezielle Art heftige Typen. Aber in der Sekunde, in der es in seinem Kopf ist, kann er sich alles vorstellen. Also warum nicht schottisch?

Also war es seine Idee?
Ja, er kam plötzlich damit daher, und ich musste wirklich lachen, und meinte: Großartige Idee! Nehmen wir das!

Warum kann er das so gut?
Er hat einen schottischen Agenten mit rotem Haar, der ein richtig heftiger Typ ist. Also war klar, dass die Inspiration dazu von ihm kam. Inspiration kommt immer wieder von Dingen, von denen man es am wenigsten erwartet hätte. Er sagte mir das erst hinterher, ich wusste das am Beginn gar nicht. Aber ich hörte und fühlte, dass das richtig ist, ohne zu wissen, warum.

Sie haben auch CGI eingesetzt. Wie war für Sie der Einsatz von Spezialeffekten?
CGI ist gut, wenn es anders nicht geht. Und Katzen und Hunde werden kaum zum Sprechen anfangen. Wir haben in Berlin, wo wir gedreht haben, auch kein Feuer legen können, weil eine Warnung von Waldbränden angesagt war. Daher mussten wir das mit digitalen Effekten machen. Ich wollte auch den sprechenden Kopf nicht am Green Screen machen, weil ich das fad gefunden hätte. Also habe ich die Schauspielerin in den Kühlschrank gesetzt. Alles, was mechanisch geht, ist die bessere Variante. Manchmal hat man aber keine andere Wahl.

Jerry tötet Frauen – und man kann sich eigentlich nicht ganz sicher sein, ob er es nicht doch absichtlich macht.
Er tötet ausschließlich Frauen. Das heißt, er müsste eigentlich ein perverser Sexualverbrecher sein. Aber wenn der Zuseher nur eine Sekunde lang glaubt, dass er das ist, dann ist es vorbei. Da kann man kein Mitgefühl haben. Ich habe es bewusst so gestaltet, dass Jerry keinen Ausdruck von Sexualität hat. Die Sexualität wird immer nur von Frauen verkörpert. Wenn man ein Trauma in einer gewissen Lebensphase erleidet, dann kann man geistig an diesem Punkt stecken bleiben. Daher musste ich auch seine schwierige Kindheit zeigen. Ich wollte es immer auf des Messers Schneide haben. Die Katze sagt zu ihm: "Aha, es war ein Unfall, Aber warum hattest du dann ein Messer bei dir?" Es liegt immer beim Zuschauer, das zu entscheiden.

Sie haben Jerry mit Lenny in Steinbecks "Of Mice and Men" verglichen.
Er macht all diese schrecklichen Sachen. Und die Leute fühlen mit ihm. Er meint es gut, aber das Resultat ist Mist. EIne doppelte Enttäuschung. Es wäre leicht zu sagen: Er ist ein Monster! Aber wie wird ein Mensch zu einem Monster? Was bedeutet es, ein Monster zu sein? In einem philosophischen Sinn.

Der Film spricht auch die ewige Frage an: Was ist das Böse in uns? Wie können wir damit umgehen?
Wir können da gar nicht so viel tun. Es gibt all diese Ideen wie Religion, die uns zu netten Menschen machen sollen, ohne jede Sünde. Wir sind menschliche Lebewesen, mit allen Makeln. Warum ist da immer der Hass, der bleibt? Er wird von einer Generation zur anderen weitergegeben, und vier Generationen später hasst du Menschen und weißt gar nicht, warum. Das Böse ist in jedem von uns. Es gibt nicht den perfekten guten, oder den perfekten bösen Typen.
Darum liebe ich auch Dostojewski. Wenn ich Jerry sehe, denke ich an Raskolnikoff (Hauptfigur in "Schuld und Sühne", Anm,). Er hat schlimme Dinge getan, aber dennoch will ich nicht, dass ihn die Polizei erwischt. Weil ich verstehe, warum er so handelt. Alles hat zwei Seiten.

Auf der einen Seite wirkt der Film sehr künstlich, mit den rosa Farben in der Fabrik und dem Ballett der Gabelstapler, aber auf der anderen Seite ist man wieder sehr nahe am Geschehen.
Ich mag es, wenn die Geschichten nah am Leben sind. Selbst, wenn der Film phantastische Züge hat. Wenn wir die Fabrik sehen, wirkt das nicht sehr real, die Geschichte selbst ist aber im Grunde eine sehr reale. Dieser geistesgestörte Mann gibt alles, um ein herausragendes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Er will in dieser kleinen Industriestadt angesehen sein, aber durch einen Schneeballeffekt geht alles den Bach hinunter. Das ist extrem realistisch. Aber er hat eine zweite Realität. Daher muss man das auch in Bildern umsetzen.

Sie wurden durch ihre Graphic Novels sehr bekannt. Hat das Überzeichnete von Cartoons einen Einfluss auf diesen Film?
Eigentlich nicht. Bevor ich begann Graphic Novels zu zeichnen, war ich Malerin, ich habe also eine starke Beziehung zu Farben. Für mich ist ein Einzelbild wie ein Gemälde. Wenn eine Linie nicht parallel zur anderen ist, kann mich das wirklich fertig machen. Das ist eine Obsession, die aus der Bildenden Kunst kommt. Und die will ich an meine Arbeit anpassen. Ich will mich jetzt nicht mit den großen Regisseuren vergleichen, aber Filmemacher wie Fritz Lang, oder auch Almodóvar, Fellini haben oder hatten eine enge Beziehung zur Kunst haben und können daher ein anderes Kino machen. Comics sind eine anderes Medium, sie sind Literatur. Du schreibst zwar einen Teil davon mit den Zeichnungen, aber es bleibt Literatur. Wenn du eine Graphic Novel liest, musst du immer aktiv bleiben. Im Kino bist du eigentlich passiv, es prasselt alles auf dich ein. Man denkt erst hinterher darüber nach. Daher sind es für mich zwei verschiedene Medien.

Aber sie spielen gern mit popkulturellen Elementen. In "The Voices" kommen ein Karatekämpfer und Karaoke vor.
Ich liebe Popkultur. Es hat so etwas Leichtes. Ich hasste es immer zu Literaturfesten zu gehen. Weil die Literaten meistens glauben, sie müssen unbedingt intelligent wirken. Aber, hey, wir können auch Spaß haben. Es gibt auch Künstler, die alles so extrem ernst nehmen. Ich kann mich selbst nicht ernst nehmen. Und Popkultur ist ein Ort, an dem man nicht unbedingt ernst sein muss. Und das liebe ich!

Kann man über einen psychisch erkrankten Mörder lachen?
Man muss den Film als das sehen, was es ist: Eine Horrorkomödie. Ich wollte keinen Film über psychische Störungen machen. Hätte ich das vorgehabt, wäre ich ziemlich unverantwortlich gewesen. Es kamen Leute auf mich zu und sagten: "Aber wir haben einen psychisch Erkrankten in unserer Familie!" Ich sagte: "Ja, aber es ist eine Komödie. Es ist keine Dokumentation über Psychopathen. Wobei auch eine Komödie auf Fakten aufgebaut sein muss. Warum nehmen die Leute welche Medikamente? Ich recherchiere, um eine solide Basis zu haben.

Die Medikamente haben sehr widersprüchliche Auswirkungen auf ihn.
Im echten Leben erscheint die Welt für schizophrene Menschen dunkel und schlecht, wenn sie keine Medikamente nehmen und mit Medikamenten erscheint alles normal. Im Film hat es nichts mit der Realität zu tun.

Im Film erscheint das genau entgegengesetzt. Sobald er die Pillen absetzt, wird alles hell und wunderbar …
Ja, es ist ein Film. Daher wollte ich seine Erkrankung auch nicht benennen, er könnte bipolar sein, oder alles Mögliche. Nennen wir ihn einfach einen Psycho, das wäre das einfachste. Schizophrenie passt da nicht ins Bild. Wenn man recherchiert, fragt man sich: Warum nehmen manche ihre Tabletten nicht? Weil sie viele Nebeneffekte haben, im Fall von Schizophrenie zum Beispiel. Niemand, der für sich alleine ist, würde diese Tabletten nehmen. Du brauchst immer jemanden Nahestehenden, der dir beisteht. Und das ist sein großes Problem, dass er alleine ist. Niemand ist da.

Wie stehen Sie zu Psychopharmaka?
Nehmen wir als Beispiel: Depression. Leute glauben, man wird depressiv, weil man traurig ist. Depressionen beginnen damit, aber schließlich hat es einen Effekt auf das Gehirn. Der Hippocampus wird kleiner und kann nicht mehr so viel Serotonin produzieren. Ein psychologisches Problem wird also zu einem physischen Problem. Daher musst du Medikamente nehmen, um das zu beheben. Also solltest du sie nehmen, weil es nicht von alleine geht. Also sind sie gut. Vor 200 Jahren wurden wir nur rund 35 Jahre alt, jetzt können wir 100 werden. Also kann die Medizin nicht so schlecht sein, sie funktioniert.

Wie war es mit derart bekannten Stars an so einem speziellen Film zu arbeiten?
Ganz einfach, entspannt. Die großen Schauspieler gehen dir nicht auf die Nerven. Das sind eher jene, die nicht so gut sind. Sie wollen dir immer etwas beweisen. Und wenn du sie kritisierst, nehmen sie es gleich persönlich, weil sie unsicher sind. Bei einem Casting erkenne ich schon ziemlich schnell, welche Schauspieler Probleme machen könnten, das fühlst du. Wir machen ein Spektakel für Menschen, Filme sind eineinhalb Stunden Show, mehr ist da nicht. Wenn das mit Schmerz und Leid verbunden ist, dann mach ich einen anderen Job. Das muss erfrischend sein, voller Licht! Wissen Sie, kein Talent der Welt gibt einem das Recht, sich wie ein Arschloch aufzuführen. Ich könnte auch hin und wieder Leuten die Nase brechen, aber dann denke ich, sie werden schon ihre Gründe haben. Und wenn ich mich besser benehme, ist das gut für die Sache. Also, ich mag Arschlöcher überhaupt nicht, und ich arbeite nicht mit ihnen.

Normalerweise arbeiten sie als Autorenfilmerin. Wie war es nun, ein fremdes Drehbuch umzusetzen?
Großartig! Wissen Sie, meine Welt ist meine Welt. Das ist zwar bequem für mich, aber wenn ein anderes Drehbuch zu mir kommt, dann fügt das meiner Welt einer andere Welt hinzu, sie macht sie also größer. So ein Drehbuch wie das von Michael R. Perry würde ich selbst nie verfassen. Ich würde nicht an meinem Schreibtisch sitzen und sagen: "Heute schreib ich über einen Serienmörder, der mit seinem Hund und seiner Katze redet." Du musst an dem Drehbuch auch arbeiten, damit gewisse Dinge machbar werden. In der Zeit, wo du das Drehbuch adaptierst, wird es dann irgendwie zum eigenen. Ich hatte fast das Gefühl, den Film selbst geschrieben zu haben. Ich mochte den Drehbuchautor . Ich würde das auch weiterhin zu machen. Das heißt nicht, dass ich nicht weiter meine Geschichten schreiben werde. Aber eine Weile lang möchte ich mit Geschichten anderer Autoren arbeiten.

Beobachten Sie die Situation im Iran?
Ich war schon seit 16 Jahren nicht mehr dort. Aber was ich sagen kann, ist: Die Leute, die etwas verändern können, bilden immer die Mittelklasse. Das gilt für jede Gesellschaft auf der Welt.

Könnte ein besseres Verhältnis zum Westen, wie jetzt durch die Verhandlungen über ein Nuklearabkommen, eine Veränderung begünstigen?
Auf jeden Fall. Die Veränderung muss tief aus der Gesellschaft selbst kommen. Boykott oder Bomben bringen nichts. Dafür braucht man die Mittelklasse. Sie ist der Garant für Demokratie in einer Gesellschaft. Weil die Reichen ihre Privilegien haben, die sie nicht gefährden wollen. Und die Armen sind zu beschäftigt, weil sie arm sind. Sie haben nicht einmal die Zeit darüber nachzudenken. Jede Boykottmaßnahme trifft immer zuerst die Mittelklasse, Reich und Arm bleiben bestehen. Sobald Menschen ökonomisch nicht unter Druck stehen, können sie über ihre Freiheit nachdenken. Die Veränderungen müssen langfristig greifen, weil man ein Land nicht mit Bomben verändern kann. Dann hätte ja auch aus Afghanistan eine großartige Demokratie werden müssen.

Sie leben in Paris und sind Cartoonistin. Wie haben Sie den Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo erlebt?
Wissen Sie, es gibt nicht 200.000 Cartoonisten in Frankreich, es sind nur ein paar. Das heißt, ich kenne alle. Ich kenne die Leute persönlich. Es hat mich auf schreckliche Art betroffen. Nichts auf dieser Welt kann das Töten eines anderen Menschen rechtfertigen. Auf eine Zeichnung, die einem nicht gefällt, antwortet man mit einer Zeichnung. Oder man trägt es vor Gericht aus. Aber man tötet jemand nicht deswegen.

Wie ist die Atmosphäre jetzt?
Zurück zur Normalität. Das ist das Gute am Menschen, wir schreiten voran. Das Schlimme daran ist: Wir bewegen uns so schnell, dass wir oft keine Lehren ziehen. Daher wiederholen sich gewisse Dinge auf der Welt immer wieder. Bin ich die einzige, die das sieht? Ich bin keine Politologin, ich bin Künstlerin. Oder: Bin ich übergescheit, oder sind die superdumm? Oder wollen sie es einfach nicht sehen? Irgendwas stimmt da nicht. (lacht)

Ein Serienmörder zum Gernhaben
Sie haben vier Jahre Ihrer Jugendzeit in Wien gelebt, wie man aus „Persepolis“ weiß. Wie sehen Sie diese Zeit im Rückblick?
Ich liebe Österreich! Es war Krieg in meinem Land, und ich war im Pubertätsalter, allein und weit, weit weg von meinem Land und meiner Familie. Das wäre überall eine schlimme Erfahrung gewesen, nicht nur in Wien. Aber dann kehrte ich zurück nach Wien, besuchte auch Salzburg und andere Orte. Und ich muss sagen: Ich liebe Österreich, das Essen, die Leute. Es ist lustig: Mittlerweile habe ich ja etwas Hochdeutsch gelernt, aber als vor einigen Jahren nach Berlin kam, fragten mich die Leute zuerst über Wien. Ich antwortete damals: „Woaß I ned!“ oder „Bist du deppert?“ – die hatten keine Ahnung, was das für ein Akzent sein soll und wo ich überhaupt herkomme.(lacht)

Wie haben Sie Wien beim erneuten Besuch erlebt?
Was mir an Wien besonders gefällt: Es ändert sich einfach nichts. Ich besuchte 18 Jahre nach meinem Aufenthalt Wien mit meinem Ehemann. Wir gingen ins berühmte Café Hawelka. Ich erzählte ihm, dass da immer Herr Leopold Hawelka sitzt, im hellgrauen Hemd, und wenn man kommt, wendet er sich einem zu und sagt: „Grüß Gott!“ Genau so ist es wieder gewesen. Und ich liebe das!
Denn die Welt ist so schnell und verändert sich ständig, in Paris wird ein Shop nach dem nächste eröffnet. Aber ich bin ein menschliches Wesen und brauche Zeit für meine Gedanken. Da lob ich mir die Sanftheit von Wien. Ich liebe es!

Aber Wien hat neben dieser traditionellen Seite auch ein modernes Gesicht bekommen.
In den letzten Jahren war ich nicht dort. Aber Wien hat so etwas Solides an sich. Natürlich hatte man dort auch all diese Jugendbewegungen und Gegenkultur. Aber die Gesellschaft war so konservativ, Wenn du da deinen anderen Weg gehen wolltest, musstest du das wirklich Hardcore machen. Ich hatte damals viel mit Leuten aus dieser Richtung zu tun. Aber Wien ist Wien. Es ist Österreich, das heißt ja si viel wie: Reich des Ostens. Kein Land wird sonst so genannt.

Österreich hat eine große Tradition, aber es ist mittlerweile nur noch ein kleines Land.
Aber es ist noch einiges von der Tradition geblieben. Österreich hatte einen großen Einfluss auf mich. Wenn ich nicht hier gewesen wäre, wäre ich niemals Künstlerin geworden. Da bin ich mir sicher. Ich war sehr gut in Mathematik und Physik, ich hätte eine Ingenieurin werden können, wie mein Vater. Mit einem stabilen Job. Aber so habe ich all die alternativen Leute kennengelernt. Und dachte: Das ist ein sehr cooles Leben!

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