Plädoyer für die freie Liebe

Plädoyer für die freie Liebe
Joel Gibb von The Hidden Cameras veröffentlicht das Album seines Lebens

Ich bin eine Schlange! Deshalb war es mir extrem wichtig, dass diese Platte noch im Jahr der Schlange erscheint.“ Joel Gibb, Mastermind von The Hidden Cameras, bezieht sich auf das chinesische Horoskop. Noch bis Ende Jänner läuft dabei das Jahr des wendigen Reptils, dem man Eigenschaften wie Intuition, Klugheit und Rätselhaftigkeit zuschreibt.

Tatsächlich findet sich all das in der Musik von „Age“, jenem Album, das der in Berlin ansässige Kanadier „schon machen wollte, seit ich mit dem Musizieren begonnen habe“: Ähnlich wie Arcade Fire hat Gibb mit The Hidden Cameras ein Musikerkollektiv um sich geschart, das die übliche Rock-Band mit Streichern, Organisten und Chören zu einer Art Mini-Orchester erweitert.

Konzept

So ist „Age“ ein brillantes Indie-Pop-Album, das alles bietet: Von tickenden, Disco-haften Rhythmen, bis zu breitflächigen Streichern, von mysteriösen Disharmonien bis zu triumphalen Melodien, von düsterem Goth bis zu fröhlichen Tanz-Songs.

„,Gay Goth Scene‘, den ersten Song für dieses Album, habe ich vor zehn Jahren geschrieben“, erklärt Gibb. „Es kamen nach und nach Songs dazu, die ich nur in Zusammenhang damit veröffentlichen wollte. So hat sich über die Jahre ein Konzept ergeben: Ein Teenager erkennt mit der ersten Liebe seine Homosexualität und lernt langsam, damit umzugehen.“

Gay Goth Scene“ hießen auch Shows, die Gibb 2002 und 2003 in seiner Heimatstadt Toronto in einem Club auf die Beine stellte. „Nur so zum Spaß“, sagt er, „nicht wirklich, um gegen die Diskriminierung von Schwulen zu kämpfen“.

Gewalt

Beim Video zu dem als Single ausgekoppelten Song werden Gibb und Regisseur Kai Stänicke aber deutlich: Während es im Song um die Reaktion der Familie auf einen seine Homosexualität erkennenden Teenager geht, thematisiert der Clip die Ausgrenzung und Gewalt, die er in der Schule erfährt.

Kombiniert hat Gibb, der Film, Kunstgeschichte und Semiotik (Wissenschaft der Zeichensysteme) studiert hat, das Konzept mit einem bemerkenswerten CD-Cover: Zwei offenbar schwule Teenager, von denen einer „666“, die Zahl des Teufels über der Brust stehen hat. Das, sagt Gibb, sei aber nur ein Scherz, habe nichts mit Satanismus zu tun.

Teufelshörner

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„Ich habe das Bild vor vielen Jahren mit meinem besten Freund, dem mittlerweile bekannten Maler Paul P., gemacht. Wir haben damals zusammen in einem Copyshop gearbeitet, haben das Bild der Buben kopiert und dann drübergemalt – all diese Symbole mit Teufelshörnern und einem Kreuz. Ich habe keine Ahnung mehr, was wir uns damals dabei gedacht haben. Aber für das Thema des Albums passte es gut.“

Aus ähnlichen Gründen ließ Gibb auf die Rückseite des Textblattes von „Age“ ein Bild von Chelsea Manning drucken. Die als Mann (Bradley) geborene Transsexuelle war Soldat der US-Armee und ließ Wikileaks brisante Videos aus dem Irak-Krieg zukommen.

„Sie wurde zu der Zeit verurteilt, als ich das Album fertig machte“, erklärt der 38-Jährige. „Ich wollte anprangern, dass sie im Gefängnis misshandelt wurde, gezwungen, nackt zu schlafen. Das ist vom Staat finanzierte Gewalt gegen eine Ikone der Schwulen-Szene. Denn Mannig ist eine echte Heldin: Wer traut sich sonst, solche Videos zu leaken und dafür ins Gefängnis zu gehen?“

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