Tarek Leitner: Gespräch statt Hyperkommunikation im Internet
KURIER: Auch für langjährige Beobachter sind Sie ein Buch mit sieben Siegeln. Sonst weiß man dank Twitter und Facebook von allen Journalisten, was sie bewegt – sei es das Wetter oder ein TV-Auftritt eines Politikers.
Tarek Leitner: Aber ist das gut und interessant?
Die Frage hätte ich gerne Ihnen gestellt.
Ich habe eh eine Antwort darauf (lacht): Ich glaube nicht. Und daher habe ich mich auch dazu entschieden, nur dort öffentlich aufzutreten, wo das von mir in meiner Rolle erwartet wird: als Journalist, dafür habe ich mein Medium und das ist das Fernsehen, und dort, wo ich von der Öffentlichkeit gefragt werde – etwa vom KURIER, der mir Fragen stellt, die ich auch beantworte.
Das heißt, das würde sich mit Ihrer Arbeit spießen, wenn Sie sich zu sehr äußern.
Das kann auch sein, dass sich das spießt. Aber ich glaube, es ist eine große Herausforderung im gegenwärtigen Journalismus, eine Akzeptanz zu schaffen bei den Zusehern. Dass die auch das Gefühl haben, das ist etwas gut Überlegtes ohne persönlichen Zugang.
So, wie Sie das beschreiben, positionieren Sie sich wie das Gegenteil von Armin Wolf.
Ich habe meinen Zugang zur Art, wie man Journalismus macht, und ich glaube, handwerklich unterscheiden wir uns da nicht so sehr. Am Ende hat aber jeder seine Persönlichkeit, die sich in unterschiedlicher Intensität natürlich auch darstellt.
Wann ist ein Interview ein gelungenes Interview?
Wenn ich beim Publikum die Bereitschaft erreiche, ein Stück des Gesprächs gedanklich mitzugehen und bei diesem gedanklichen Mitgehen die Erkenntnis zu gewinnen, warum ein Gast sich so oder anders politisch entscheidet. Wenn nicht sofort ein Verschließen kommt und man sagt: "Den wähle ich sowieso nicht, interessiert mich gar nicht!"
Ist das schwieriger geworden?
Diese Akzeptanz zu erreichen, ist schwieriger geworden. In den sozialen Medien ist durch Postings eine so hohe Aufgeregtheit entstanden, wurde eine so schnelle Beurteilungsfrequenz erreicht, dass es schwierig ist, über einen Gesprächsbogen hinweg Gedanken nachzuverfolgen und zu sagen: Ich lasse mich darauf ein als Zuseher und denke diese paar Episoden mit, bevor ich mich nachher entscheide und sage: "Naja, das ist trotzdem nicht meine Weltanschauung."
Bereiten Sie sich auf die "Sommergespräche" anders vor als sonst auf ein Interview?
Natürlich. Schon allein deswegen, weil es eine viel längere Strecke ist. Aber auch insofern, als es mir darum geht, sehr grundsätzliche Dinge zu besprechen. Es ist wirklich eine andere Vorbereitung, die auch Wochen und Monate schon zurückliegt, weil ich beim Lesen von Interviews und Geschichten immer mitgedacht habe: Kann das einfließen? Kann das ein Aspekt sein in einem längeren Gespräch?
Heuer ist das erste Jahr, in dem der ORF trotz Wahlkampfs an den "Sommergesprächen" festhält – wieso?
Wir haben letztes Jahr gesehen, dass das Interesse an Politik-Informationssendungen im Zuge eines Wahlkampfes sehr groß ist. Und da muss man bedenken, dass es im zweiten Halbjahr 2016 nur zwei Protagonisten gegeben hat. Bei den "Sommergesprächen" geht es um die größeren ideologischen Ausrichtungen, die wir Journalisten vielleicht eh gut kennen, die vielen Menschen aber nicht so selbstverständlich geläufig sind.
Haben Sie eine Strategie, um zu verhindern, dass die Kandidaten in der Sendung ihr Wahlprogramm vortragen?
Das zählt, glaube ich, zu den schwierigsten Dingen. Das Führen eines Gesprächs erfordert ja in einem Mindestmaß, dass der andere sich auch darauf einlässt. Tut er oder sie das nicht, ist es schwierig, eine Atmosphäre für ein Gespräch zu schaffen. Natürlich weiß ich, dass Politiker, mehr als vor vielen Jahren, ständig lange Gespräche führen, und es nicht so sein wird, dass die eine Frage von mir hören und sagen: "Das habe ich mir noch gar nie überlegt, Herr Leitner, das denken wir uns jetzt kurz gemeinsam durch." Sehr viele Aspekte, die ich ins Treffen führe, werden jedenfalls vorbereitete Gedanken abrufen.
Sie haben nach der Absage von Frank Stronach "normale" Bürger interviewt. War das erfrischend, einmal keine vorgefertigten Antworten zu hören?
Ja, das war in mehrfacher Hinsicht interessant und auch überraschend. Es war von dem Wutbürgertum und den Empörtheiten, die wir immer mehr mitbekommen, nicht so viel zu hören. Ich glaube, das liegt daran, dass man mit jemandem so unmittelbar kommuniziert, ihm in die Augen schaut und sich dann anders ausdrückt. Insofern ist das Gespräch eine besonders wichtige Form des politischen Diskurses, die wir nicht verlieren sollten. Wir sollten nicht glauben, dass durch die Hyperkommunikation im Internet das nötige Ausmaß an Debatte abgedeckt ist.
Welche Themen wurden angesprochen?
Das war sehr breit. Aber was sich durchgezogen hat, war der Wunsch, dass in der Politik nicht gestritten wird. Das widerspricht natürlich dem grundlegenden Mechanismus von politischem Wettbewerb. Und das ist die Herausforderung für die Politiker einerseits, diesen Wettbewerb um politische Konzepte so zu vermitteln, dass man nicht die Leute ständig verstößt. Andererseits ist das auch die Aufgabe von uns Medien, nicht immer die kleinsten Nuancen an Meinungsverschiedenheiten als den ganz großen Knatsch herauszuarbeiten.
Wären mehr Menschen an Polit-Sendungen interessiert, wenn neben Journalisten und Politikern öfter "normale" Bürger zu Wort kommen würden?
Das ist etwas, wo ich ein bisschen abwarten möchte, wie dieses Format funktioniert, weil ich mir nicht so sicher bin, ob Menschen anderen Bürgern so gerne so lange zuhören.
Sie sind ein Bewegter, was Stadtbild und Raumordnung angeht. Sie haben sicher auch eine emotionale Nahebeziehung zum Parlament als Gebäude, das gerade saniert wird. Als Ausweichquartier dienen Container. Wie geht es Ihnen damit?
Ich kann mit Containern als Wohngebäude gut umgehen – wenn ich weiß, sie sind temporär. Würden wir heute ein Parlament bauen müssen, fürchte ich, wäre es ein Unterbieten an Billigkeit. Da wäre vielleicht am Ende das Containerdorf, das jetzt das Übergangsgebäude darstellt, die Idealform eines repräsentativen Volksvertretergebäudes für Österreich. Zum Glück brauchen wir diese Entscheidung nicht zu treffen.
(Das Gespräch führten Nina Oberbucher und Philipp Wilhelmer)
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