Suche: Hat jemand etwas von Anna gehört?

Edmund de Waals Buch über die Familie Ephrussi fehlt das Herzstück: Anna, das Wiener Dienstmädchen, das den Nazis Widerstand leistete.

Nur damit klar ist, in welchen Kreisen wir uns bewegen: Charles Ephrussi - von seiner Familie 1870 aus Odessa nach Paris geschickt, um das aus dem Getreidehandel gewachsene Finanzunternehmen zu leiten - war Prousts Vorbild bei der Erschaffung des Lebemannes Swann.

Zeitweise hatten die Ephrussis so viel Geld wie die Rothschilds.
Nur um diese Welt in den Bericht hineinzuholen: Charles wurde Kunstsammler und -kenner. Er kaufte Manet das Stillleben mit den zusammengebundenen 20 Spargelstangen ab. Der Maler verlangte 800 Francs. Charles war so begeistert, dass er ihm 1000 gab.
Eine Woche später schickte ihm Manet zum Dank ein kleines Bild mit einer einzigen Spargelstange. "Die ist wohl aus dem Bund gerutscht", schrieb er dazu.

Der Weg zurück

Jetzt müssen wir uns aber sehr beeilen. Denn das Herz des Buches "Der Hase mit den Bernsteinaugen", in England voriges Jahr der Überraschungsbestseller, ist Anna. Das unbekannte Wiener Dienstmädchen Anna. Und zu Anna kommen wir auf jenem Weg, den der Autor, der in London lebende Keramikkünstler Edmund de Waal, beschritten hat.

Bei ihm dauerte das Jahre. Er ist mit den Ephrussis verwandt. Und erbte 264 japanische Miniaturschnitzereien aus Elfenbein und Holz. Sogenannte Netsuke, nur zwei Zentimeter groß. Hase, Tiger, Ratten, nackte Frau mit Oktopus ... Heute sind sie Millionen wert.

De Waal schrieb keine platte Familiengeschichte. Er musste nach allem greifen, um zu begreifen. Und wenn es nur Türschnallen waren, zunächst in Paris. Bei Charles begann es.
Er hatte die Netsuke von einem Händler gekauft, bestimmt teuer, obwohl sie wahrscheinlich verarmten Japanern billigst abgenommen wurden. Bei ihm standen die Figuren in einer mannshohen schwarzen Vitrine mit Spiegel. De Waal weiß fast alles. Er kennt sogar die Namen der Kutschpferde, die im Hof des Wiener Palais Ephrussi standen.
In dieses von Hansen gebaute Monstrum auf der Ringstraße beim Schottentor, wo heute Big Macs verschlungen werden, wanderten die Netsuke 1899.
Charles' Hochzeitsgeschenk für seinen von Büchern besessenen Cousin Viktor Ephrussi, als dieser Baronesse Emmy in der Synagoge heiratete.

Kein Nachname

Die Netsuke passten nicht gut ins Bankiershaus mit Marmor und Gold, aber waren bald Spielzeug der drei Kinder. Das halten die Schnitzereien aus. Sie landeten in Emmys Ankleidezimmer - und Anna taucht auf.

Selbst ihr Nachname ist unbekannt. Nichts ist über sie zu finden. Wieso nicht? SIE war der Schatz! Anna war Emmys Zofe. Kämmte. Knöpfte die Corsage zu. Vermutlich ihr erster Job. Sie blieb Jahrzehnte.

Sie blieb, als Pöbel und Gestapo die Ephrussis vertrieben und die Kunstgegenstände plünderten bzw. auflisteten, falls Hitler etwas haben wollte.

Anna leistete Widerstand, indem sie alle 264 Netsuke verschwinden ließ. Das dauerte Tage. In ihrer Matratze war das Versteck.

Als nach dem Krieg - die alten Ephrussis waren geflüchtet, gestorben - Tochter Elisabeth nach Wien kam, Dezember 1945, ging sie ins kriegsbeschädigte Palais, und eine alte Frau
reichte ihr die Hand: Anna. Anna ging in ihr Zimmer und holte 264 Netsuke.

Elisabeth war in New York Anwältin geworden. Ihre Kämpfe ums geraubte Gut gingen meist verloren. Das Palais bekam sie zurück. Keine gute Zeit, es im besetzten Wien zu verkaufen. Der Erlös? 30.000 Dollar.

Die Schnitzereien wanderten von der Matratze nach Tokio, zu Elisabeths Bruder Iggie. Und als Iggie starb, reisten sie zu de Waal nach London.
Victor und Emmy Ephrussi waren seine Urgroßeltern.
Der Geschichte fehlt das Herz. Wer war Anna? Der Biograf hofft auf Antwort, wenn sein "Hase mit den Bernsteinaugen" in Brigitte Hilzensauers Übersetzung gelesen wird. KURIER und Zsolnay Verlag tragen gute Nachrichten weiter.

INFO: Sollten Sie Anna kennen oder von ihr gehört haben, kontaktieren Sie bitte den Zsolnay Verlag (siehe Link unten) oder den KURIER: peter.pisa[at]kurier.at

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