Stuart Freeman: "I've always been a Morgenmensch!"
Stuart, Englisch oder Deutsch: Wie hätten Sie es denn gerne?
Wie Sie möchten. Ich kann mit Englisch anfangen und dann wechseln wir. Oder wir sprechen Ger-misch, wie ich gerne sage. Ist das okay? You will be bloody beeindruckt.
Gerne! Wir mischen. Ihr österreichisches Lieblingswort ist angeblich Klumpert.
Ja, ich liebe Klumpert! Ein brillantes Wort, schon alleine der Klang. Bloody beeindruckt mag ich auch. Und ich sag’ gerne: Lieber Listener! Als ob es nur eine Person gäbe, die uns im Radio zuhört. So kann ich jeden persönlich ansprechen.
Deutsche Sprache, schwere Sprache? Wie geht’s Ihnen nach so langer Zeit damit?
Ich hab’ Probleme mit den Umlauten. Böheimkirchen geht, St. Pölten ist auch okay. Aber wenn ich schwül und schwul sage, ist der Unterschied oft nicht hörbar. Das kann a bit peinlich sein.
Apropos peinlich: Als ich Ihnen die Interview-Anfrage gesendet habe, wollte das Handy die englischen Wörter in deutsche umwandeln. Und plötzlich stand im Text erotisch ...
Dann hätten wir jetzt ein erotisches Meeting this morning. Aber Rainer, der Fotograf, ist ja auch noch da.
Jetzt gibt es zuerst Geschenke für Sie.
Freeman nimmt das in eine Zeitung verpackte Geschenk und öffnet es.
Wir haben ein bisschen recherchiert. Stimmt das Klischee, dass die Engländer ständig Tee trinken?
Ich trete mit meiner Show„An Englishman in Austria“ im Rabenhof-Theater auf. Da sprech’ ich auch über Tee. Viele Leute glauben ja, dass es in Britain jeden Nachmittag Five O’Clock-Tea gibt. Aber das stimmt nur, wenn du reich bist oder in „Downton Abbey“ lebst. (Anm.: britische TV-Serie über eine Adelsfamilie und deren Personal am Beginn des 20. Jahrhunderts)
Das ist übrigens kein Beuteltee.
Als ich vor 21 Jahren nach Österreich kam, gab es nur Schwarztee im Beutel, der mit Milch und im Glas serviert wurde. Mittlerweile ist die Vielfalt größer. Wir trinken viel Tee, aber ihr trinkt viel Kaffee. Haben Sie als Studentin auch vier Stunden im Kaffeehaus verbracht und währenddessen nur eine kleine Tasse Kaffee getrunken?
Meine Mutter hat sehr lange im Gastgewerbe gearbeitet. Die hätte mir die Ohren lang gezogen.
Ah, okay. Aber viele Leute haben das gemacht. In Britain wäre das nicht möglich. Man trinkt etwas, dann kommt der Kellner und du bestellst wieder. Oder du gehst.
Stuart, Sie wurden in der englischen Küstenstadt Blackpool geboren. Wie kam es, dass Sie von dort wegwollten?
Ich war dort, bis ich 18 war. Robert Smith von „The Cure“ stammt auch von dort und ist einer meiner Zeitgenossen. Er hat Blackpool auch mit 18 verlassen. Blackpool war ein Badeort wie Brighton, nur viel größer. Die Leute haben dort früher den Sommer verbracht, bis es in Mode war, in Spanien oder Griechenland Urlaub zu machen.
Heute ist Blackpool wie der Semmering. Die Leute wollen nicht mehr dort bleiben.
Kehrt man nicht trotzdem gern dahin zurück, wo man seine Wurzeln hat?
Ich habe ja immer woanders gearbeitet und die meisten Orte in Großbritannien sind sehr weit voneinander entfernt. Da kann man nicht so leicht auf Besuch fahren. Und wir haben nicht so viele Feiertage wie die katholische Kirche. Ein Zeitproblem.
Und ihre Familie?
Meine Eltern haben in Blackpool gelebt, bis sie starben. Sie haben mich aber im Sommer und Winter drei Wochen in Österreich besucht. Jetzt habe ich dort keine Familie mehr. Was sollte ich dort machen?
Sie kamen 1979 nach Wien, um für „Blue Danube Radio“ zu moderieren. Jetzt haben wir 2016. Warum sind Sie geblieben?
Ihr Österreicher realisiert gar nicht, was das für ein brillantes Land ist, in dem ihr lebt. Hier ist das Paradies! Alles funktioniert. Gut, wir zahlen hohe Steuern, aber die Bushaltestellen werden geputzt und die Straßen sind sauber. Österreich ist ein großartiger Platz zum Leben.
Wie haben Sie in England überhaupt von „Blue Danube Radio“ erfahren?
„Blue Danube Radio“ war unter Radioleuten in England bekannt. Wenn man einige Wochen in Österreich arbeiten und ein bisschen Ferien machen wollte, war das the place to be. Wir mussten zwar Flug und Unterkunft selbst zahlen, haben aber auch gut verdient. Es war eine gute Gelegenheit, was anderes zu sehen. Wissen Sie eigentlich, warum „Blue Danube Radio“ gegründet wurde?
Es hatte mit der UNO City zu tun.
Genau, es wurde 1979 für die Vereinten Nationen gegründet. Österreich hat eine Radiostation gebraucht, um die neuen Mitarbeiter willkommen zu heißen und sie zu informieren, was in Wien los ist.
Aus „Blue Danube Radio“ wurde später der Jugendkultur-Radiosender FM4, bei dem Sie seit 2000 Moderator der Morning-Show sind. Wie kam es dazu?
Mein Boss fragte, ob ich den Job haben möchte. Und ich sagte: „Well, ich bin ein bisschen älter als eure Zielgruppe.“ Darauf der Boss: „Du bist nur ein Teenager, deshalb ist das kein Problem.“ Ich wollte ein Jahr bleiben und dann nach Australien gehen. 16 Jahre später bin ich immer noch da.
Home ist, where the Heart is ...
Meines ist ganz klar in Austria.
Obwohl Sie hier nie ausschlafen können.
Ach, ich steh’ schon so viele Jahre früh auf. Es ist doch dasselbe wie bei einem Briefträger. Der muss auch früh aufstehen. Die Österreicher sind im Gegensatz zum United Kingdom ohnehin Frühaufsteher. Banken und Büros öffnen schon um acht Uhr, in Britain erst um 9.30. I’ve always been a Morgenmensch! Ich stehe auch zwischen sechs und sieben auf, wenn ich frei habe.
Haben Sie morgens „a special procedure“?
Ich putze mir die Zähne wie jeder. Dann dusche ich und gehe mit dem Hund raus. Danach fahr ich ins Studio und wir bereiten die Show vor. Ich habe ja heuer den Radiopreis gewonnen, aber das bin nicht nur ich, sondern das ganze Team.
Congrats! Sie wurden als bester Moderator 2016 ausgezeichnet. Wo steht der Preis?
Nicht auf der Toilette. Er ist in einer Vitrine in meiner Wohnung. Es war der erste große Preis, den ich gewonnen habe und jetzt warte ich auf das Goldene ... Wie heißt das?
Ehrenzeichen.
Genau, das Goldene Ehrenzeichen wird das nächste sein. Es war wirklich a pleasure zu gewinnen. Ich bin vom Radio und gehe nicht so gerne auf die Bühne, außer im Rabenhof. Aber wenn alle Leute vom Business da sind, ist das schon ein bisschen tricky.
Wann haben Sie eigentlich gemerkt, dass Musik Ihr Leben ist?
Vor vielen Jahren. Als Teenager habe ich Rhythm & Blues-Platten gesammelt. Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich in einem Club auflegen will. Das habe ich immer wieder gemacht und später Werbung gesprochen. Da hat mich die erste Radiostation engagiert und es ging von einer Show zur nächsten.
Reden Sie gerne über The Good Old Times?
Ich mag die Gegenwart lieber – und die Zukunft der Musik. Auf FM4 spielen wir sehr heutige Musik, nicht zu viele Oldies. Ich kann sagen, dass ich 80 Prozent der Musik, die wir spielen, mag. Ich glaube, es gibt nicht viele Moderatoren, die das sagen können.
Hören Sie zuhause auch viel Musik?
Normalerweise nicht. Ich habe im Hintergrund „go-tv“ rennen, aber ich hab keine Stereoanlage in der Wohnung, nur ein Radio in der Küche. Ich höre am Sender schon vier Stunden Musik. Manchmal brauche ich ein bisschen Me-Time, in der ich Serien schaue.
Einen Engländer muss man bei Serien nach Mr. Bean fragen.
Lustig, ich hatte so ein Gespräch erst gestern, weil Mr. Bean in the UK schon vorher berühmt war. Die Serie hieß „Not the Nine O’Clock News“ und war ein wirklich lustiges Programm. Mr. Bean kam erst danach. Aber wenn er hier in einem Film vorkommt, sagen alle Leute: „Schau, Mr. Bean.“ Frag mal einen Österreicher, wie er heißt. Das weiß keiner.
Naja, Rowan Atkinson.
Sie und Rainer wissen es offenbar.
Lassen Sie uns noch ein bisschen über Klischees reden. Was fällt Ihnen ein?
Okay, dass englisches Essen schlecht ist. Aber überlege, wie viele Michelin-Restaurants es in the UK und wie viele es in Österreich gibt. Das Problem ist, gutes Essen zu kaufen. Essen in England ist teuer. Der Borough Market in London ist ähnlich wie der Naschmarkt. Da zahlt man für Fish and Chips 20 Euro. Es hängt davon ab, in welchem Öl das gekocht wurde. In Wien spielt es auch eine Rolle, zu welchem Würschtelstand du gehst. Die Frage ist: Is it a bad or is it a good Würschtelstand?
Und was fällt Ihnen ein, wenn ich sage: The same procedure as every year?
Sie müssen in meine Show kommen! Das kommt auch vor. Das ist für einen Briten so, wie „The Sound of Music“ für einen Österreicher.
Heute kann ich punkten. Ich kenne den Film und habe auch eine „Sound of Music“-Tour in Salzburg gemacht.
Wow, Sie sind eine Ausnahme! Die meisten Österreicher, mit denen ich rede, kennen den Film nicht. Dasselbe gilt für „Dinner for One“. Niemand in England kennt das.
Wirklich?
Ja, weil das ein deutscher Produzent gemacht hat, der nach Großbritannien ausgewandert ist. Es wurde in Germany, Switzerland und Österreich gezeigt, aber nicht in England. Dafür kommen 50 Prozent der Engländer nur wegen der „Sound of Music“-Tour nach Salzburg. Umgekehrt gibt es im Lusthaus im Prater einen „Dinner for One“-Abend, mit allen Suppen und Drinks.
„Sound of Music“ wurde sehr spät ins Deutsche übersetzt. Vielleicht ein Grund, warum es viele nicht kennen.
Naja, das Original war ein Schwarzweißfilm über die Trapp-Familie, der 1958 in Germany gemacht wurde. Dann haben Leute aus Hollywood „Sound of Music“ draus gemacht. Ich glaube, der Film hat zehn Oscars gewonnen. Aber viele Briten hassen ihn, weil er immer zu Weihnachten gezeigt wird. Wie „Dinner for One“ hier zu Silvester.
Stuart, Sie sind auch als Party-DJ gut gebucht. Im Oktober gibt es einige Hochzeitsmessen. Wo denken Sie, ist der beste Ort zum Heiraten?
Oh, tricky. A wedding location is a wedding location. Das kann Schönbrunn sein, der Wörthersee oder eine Bar in Vorarlberg. Die beste Location ist immer die mit der besten Stimmung.
Spielen Sie auf Hochzeiten auch romantic songs wie „Chapel of Love“?
Das hab ich noch nicht gespielt. Es gibt generell ein paar Nummern, die man nie auf Hochzeiten spielen darf.
„I Will Survive“. Ha ha! Dafür passt „Here I Go Again“ von White Snake gut für die zweite Ehe. Ich mag DJ-Events. Ich muss es nicht machen, aber es macht Spaß.
Ein bisschen Ernst zum Schluss. Ihre Meinung zum Brexit?
Ich kann noch immer nicht glauben, dass Britain die EU verlässt. Ich glaube, dass die Leute gar nicht wussten, worüber sie da überhaupt abgestimmt haben. In zwei Jahren werden wir mehr wissen. Wir haben eine neue Premierministerin ... Was heißt we? Mich betrifft es ja nicht.
Aber Sie sind noch immer britischer Staatsbürger. Warum?
Weil es keine Veranlassung gab, das zu ändern. Bis vor kurzem waren wir alle ein Teil von Europa. Ich möchte nicht zurück nach Britain. Vielleicht sollte ich noch einmal heiraten, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Sie waren schon einmal verheiratet. Würden Sie es noch einmal wagen?
Sag niemals nie.
Anfangs haben wir von Ihrem Lieblingswort gesprochen. Was ist Ihr österreichischer Lieblingssatz?
Da weiß ich was: Es tut mir leid, ich bin nicht zuständig für diese Abteilung. Ha, ha! Gut ist auch: Meine Kollegin kommt gleich. Da kann ich nur sagen: So ein Klumpert.
Stuart Freeman wurde in der englischen Küstenstadt Blackpool geboren. Schon früh entwickelte er eine Leidenschaft für Musik, sammelte Rhythm & Blues- Platten und war nach Anfängen als DJ in ganz England als Radiomoderator unterwegs. 1979 kam er nach Österreich, um für drei Wochen bei „Blue Danube Radio“ zu moderieren. Daraus wurde ein ganzes Leben. Seit 2000 ist Freeman Morgenmoderator und Aushängeschild des Jugendkultur–Radiosenders FM4. Als er das Jobangebot bekam, meinte er: „Well, ich bin doch etwas älter als eure Zielgruppe.“ Doch die Bedenken wurden mit dem Satz „Das ist kein Problem. Du bist ein Teenager“, weggewischt. Über sein Alter spricht Freeman trotzdem nicht so gerne. Heuer wurde er zum „Radio-Moderator 2016“ gewählt. Freeman lebt unter der Woche in Wien. Die Wochenenden verbringt er mit seiner Lebensgefährtin, ihren zwei Kindern, drei Hunden und einer Katze auf dem Land. In seiner Wohnung hat der Musik-Fan übrigens keine Stereoanlage. „Manchmal brauche ich etwas „Me-Time“.
Stuart Freeman ist jede zweite Woche von 6 bis10 Uhr in der FM4 Morning Show zu hören und auch auf der Bühne zu sehen. Nächste Chance für "An Englishman in Austria": 18. Oktober, 20 Uhr, Rabenhof, Wien.
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