Sternstunde mit der großen Bart-oli

Cecilia Bartoli als Ariodante, an Conchita erinnernd
Salzburger Pfingstfestspiele: Jubel nach der Premiere von Georg Friedrich Händels "Ariodante".

Dieser Erfolg – und es handelt sich künstlerisch zweifelsfrei um einen solchen – ist einer für die Salzburger Festspiele und deren Vorboten zu Pfingsten im Allgemeinen, für die große Cecilia Bartoli aber im Speziellen.

Sie hat als künstlerische Leiterin, nach dem Irrtum mit "West Side Story" im vergangenen Jahr, bei der sie selbst die Maria sang, in diesem Jahr wieder ein für sie ideales Werk ausgesucht: Georg Friedrich Händels "Ariodante".

Sie hat selbst ein Orchester gegründet, die Musiciens du Prince – Monaco, das am Freitag seine internationale Feuertaufe bestand.

Sie wählte selbst ein homogenes Ensemble, das neben ihren eigenen darstellerischen und sängerischen Qualitäten bestehen kann.

Sie gestaltet selbst die Titelrolle, die bei der Uraufführung 1735 von einem Kastraten gesungen worden war.

Sie spricht selbst anfangs einen Text aus Virginia Woolfs "Orlando" ("Ariodante" basiert auf einer Geschichte aus Ludovico Ariostos "Orlando furioso").

Wer weiß, vielleicht dirigiert sie auch bald selbst, inszeniert, schneidert die Kostüme und verkauft auf der Straße Tickets (dann wären bei der Premiere wohl alle Plätze voll gewesen).

Cecilia Bartoli ist das Salzburger Pfingstfestival. Und sie beweist in ihrem sechsten Jahr aufs Neue, wie gut sie künstlerische Qualität mit Intellekt verbindet, wie sehr Erfolg von kluger Planung und den richtigen Konstellationen abhängt.

Liebesg’schichten

Eigentlich ist Cecilia diesmal ja die Bart-oli: eine Frau mit Bart, stark an Conchita erinnernd, niemals jedoch eine Kopie. Sie spielt genial mit Geschlechterrollen, ist in ihrem Mann-Sein auch Frau und am Ende, wenn der Bart fällt, im Frau-Sein auch Mann. Es geht um die vielen Facetten von Liebe in dieser Oper, geschlechter-unabhängig: um wahre und vorgegaukelte, um bereichernde und zerstörerische, um selbstlose und zweckorientierte.

Ariodante kommt als Ritter an den Hof des Königs von Schottland, verliebt sich in dessen Tochter Ginevra und wird ihr versprochen. Seinem Nebenbuhler Polinesso gelingt es, mit einer Intrige Eifersucht zu schüren, am Ende stirbt dieser beim mittelalterlichen Gottesgericht (auf das später auch "Lohengrin" Bezug nimmt) – Ginevra und Ariodante sind wieder vereint. Dass die anfängliche Idylle nie wieder erreicht werden kann, wird in dieser Produktion klar.

Bart-oli besticht mit sängerisch berührenden, zarten, dann wieder hochdramatischen Momenten. Wie sie ihre Arie "Con l’ali di costanza" gestaltet, ist einzigartig. Sie spielt einen mehr und mehr Betrunkenen, keine einzige Koloratur hat hier Selbstzweck, sondern dient der Erzählung. Eine derart humoristische, aber durchaus tiefgründige Darstellung sieht man auf der Opernbühne sonst so gut wie nie.

Überhaupt sind die darstellerischen Qualitäten des ganzen Ensembles in dieser Produktion ausnehmend gut.

Kathryn Lewek ist eine Ginevra mit klar geführtem, schön timbrierten Koloratursopran, Sandrine Piau eine Dalinda mit großer Ausstrahlung und stimmlicher Präzision. Der Countertenor Christophe Dumaux singt den Polinesso traumhaft schön und ist in seinem Spiel das virile Zentrum. Norman Reinhardt als Lurcanio, Nathan Berg als König und Kristofer Lundin als Odoardo fallen nicht sonderlich ab.

Traumtänzer

Die Inszenierung von Christof Loy ist exzellent, was die Personenführung betrifft, versucht jede der vielen Arien zu gestalten. Die Idee, mit acht Tänzern immer wieder musikalische Stimmungen fürs Auge zu übersetzen und Träume darzustellen, ist famos. Die Kostüme (Ursula Renzenbrink) sind manchmal Rokoko-Zitate, dann wieder zeitgemäß. Insgesamt ist die Optik (Bühne: Johannes Leiacker) aber recht traditionell, manches sehr statisch.

Die Musiciens du Prince spielen, obwohl es das Ensemble erst seit ein paar Monaten gibt, unter der Leitung von Gianluca Capuano dynamisch differenziert und farbenprächtig, an manchen Stellen wünscht man sich mehr Präsenz und Kraft von den Streichern.

Zumindest einige der viereinhalb Stunden vergehen wie im Flug.

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