Radikale Akte und neue Zwänge

Wie schwer ist Teilen? Theaterperformance "Maybe the way you made love twenty years ago is the answer?" von Christine Gaigg und 2nd nature beim Steirischen Herbst
Das Avantgarde-Festival startet diesen Freitag und beschäftigt sich mit dem Prinzip des Teilens. Herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler im Interview.

Wie groß ist in Krisenzeiten die Bereitschaft zu teilen? Ist Nicht-Teilen noch eine Option, wenn das "Sharen" in den sozialen Medien zur primären Kulturtechnik geworden ist? "I prefer not to … share" antwortet darauf der Steirische Herbst, der heute in Graz eröffnet wird, in seinem Festivalmotto.

Radikale Akte und neue Zwänge
Für Intendantin Veronica Kaup-Hasler, deren Vertrag heuer bis 2017 verlängert wurde, ist das "ein sehr ambivalentes Thema, wo ganz unterschiedlich angedockt werden kann". Es behandle die große Perspektive eines Europa, "das als Gemeinschaft gegründet wurde und sich in Krisenzeiten von seinem Ethos entfernt". Bis hin zum ganz privaten Moment, "wo wir eigentlich wissen: Wir sollten ganz anders leben und zum Beispiel unsere Autos miteinander teilen", sagt Kaup-Hasler. Man beziehe sich somit auch auf Share Economy – und auf soziale Netzwerke, "die für viele zum Zwang geworden sind. Man das Gefühl, den Anschluss zu verlieren, wenn man nicht teilt."

"Wahnsinnig neugierig" ist Kaup-Hasler in dieser Hinsicht auf die Aktionen des Publikums, das etwa die Facebook-Seite des Festivals "hacken" kann. "Es ist ein radikaler Akt des Teilens, wenn Leute in unserem Namen posten können".

Verweigerung

In der Hauptausstellung "Forms of Distancing", die im diesjährigen Festivalzentrum im ehemaligen Grazer Polizeikommando gezeigt wird, haben sich 15 Künstler mit Möglichkeiten der Verweigerung und des Rückzugs auseinandergesetzt. 90 Prozent sei dabei im eigenen Auftrag produziert worden und habe auch ein Weiterleben, sagt Kaup-Hasler.

"Wir verstehen uns als Produktionsplattform für jüngere Künstler, es geht uns um Entdeckungen". Daher setze man weiterhin nicht auf große Sprechtheater-Produktionen. "Damit reagieren wir auf eine veränderte Theaterlandschaft. Der Steirische Herbst muss sich als Marke von anderen Festivals wie den Wiener Festwochen unterscheiden und neue Formate entwickeln", erklärt die Intendantin.

Einschnitt

Einen Einschnitt gab es heuer für das Musikprotokoll, das Festival für neue Musik im Rahmen des "Herbst". Der ORF hatte seinen Budgetanteil für dieses Jahr von 180.000 auf 99.000 Euro reduziert. Der Steirische Herbst erhöhte daher seinen Budgetzuschuss von 80.000 auf 100.000 Euro. Das um einen Tag verkürzte Programm bietet trotz des Sparzwangs hochkarätige Klangkörper wie das RSO Wien, das Klangforum oder das Arditti Quartett.

Kaup-Hasler fordert dennoch, "dass diese Entscheidung eine einmalige ist" und nimmt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz in die Pflicht: "Ein erster Schritt wäre ein klares Bekenntnis des ORF zu seiner Verantwortlichkeit. Allein, keine Gesprächstermine möglich zu machen, erzählt ja einiges über die Wertschätzung des Musikprotokolls."

Produktionen
Eröffnet wird das Festival (26. 9. bis 19. 10.) am Freitag mit einer Tanz-Theater-Performance der Needcompany. Zu Gast ist auch das Nature Theatre of Oklahoma. Gunilla Heilborn spinnt den Film „Gorkij Park“ weiter. Pianist Marino Formenti spielt in „One to One“ über drei Wochen sechs Mal am Tag für je eine Person.

Schauplätze
Neben Graz (List-Halle, Palais Wildenstein, Heimatsaal) werden verstärkt die Bezirke bespielt.

Internet
www.steirischerherbst.at

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