In der NS-Zeit dürfte es, salopp ausgedrückt, zumindest den „schweren Nazis“ gut oder halbwegs gut gegangen sein. In der Nachkriegszeit hingegen niemandem. Hinzu kam, dass Österreich von den Siegermächten nicht unbedingt „besetzt“, aber zumindest „besatzt“ war, wie die Alliierten selbst es ausdrückten. Und in jenen Teilen, die von der Roten Armee kontrolliert wurden, also in Niederösterreich, im Burgenland, im nordöstlichen Oberösterreich und in mehreren Wiener Gemeindebezirken, dürfte es, wenn man den Erzählungen der Eltern oder Großeltern Glauben schenkt, noch ein bisschen schlimmer gewesen sein als zum Beispiel in der amerikanischen Zone, wo man sich von den GIs einen Kaugummi oder eine Camel schnorren konnte.
„Aus den Fesseln der Okkupation“
Die Sehnsucht, dass Österreich wieder Souveränität erlangt, war, auch wenn zumindest die westlichen Besatzungsmächte enorm viel zum Wiederaufbau und zur kulturellen Bildung leisteten, groß. Und so wurde die Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 bejubelt. Am 14. September jenes Jahres fasste die steirische Landesregierung den Beschluss, dass „ein Freiheitsdenkmal zu errichten und eine große Befreiungsfeier durchzuführen sei“. Am 25. Oktober wurde ein Festakt in der Grazer Oper veranstaltet, tags darauf trat das Neutralitätsgesetz in Kraft.
In der Folge gab es einen Wettbewerb für ein „Befreiungsdenkmal“ mit 14 Teilnehmern, den der Grazer Bildhauer Wolfgang Skala für sich entscheiden konnte: Ein aus dem Käfig entfliehender Adler mit mächtigen Schwingen sollte die Befreiung Österreichs „aus den Fesseln der Okkupation“ symbolisieren. Das Denkmal aus Roststahl wurde nach einigen Debatten in der Nordostecke der ehemaligen Burgbastei von Graz errichtet – und am Staatsfeiertag des Jahres 1960 enthüllt.
Der Grund für die Errichtung geriet mit der Zeit in Vergessenheit. Und so nahm man spätestens im Gedenkjahr 1988 an, dass dieses Denkmal der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Siegermächte im Frühjahr 1945 und/oder dem österreichischen Widerstandskampf gewidmet wäre. Von einem lokalen Medium wurde es sogar in die Liste der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus aufgenommen. Erst eine später angebrachte Tafel klärte die Sache auf.
Clio, ein Grazer Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit, findet das Denkmal dennoch hinterfragungswürdig: Indem nicht 1945, sondern 1955 als Gedenkjahr der Befreiung festgeschrieben wird, gerate es „in peinliche Erklärungsnot, was das zeitgeschichtliche Selbstbild Österreichs angeht“. Und so lud man Eduard Freudmann ein. Der Konzeptkünstler konnte erst kürzlich zusammen mit seinen Mitstreitern die raffinierte Intervention am Josef-Weinheber-Denkmal in Wien – „Weinheber ausgehoben“ – auf Dauer realisieren.
Er macht aus dem Denkmal, einem seiner Meinung nach „phallischen Siegesmal der Selbstviktimisierung“, einen Obelisken: Sein sechs Meter hohes „Monument to a Myth“ aus Holz stehe für die Erinnerung an die Befreiung von Graz durch die Rote Armee, es könne aber auch als Siegesmal des Opfermythos betrachtet werden. Bekanntlich stilisierte sich Österreich in der Nachkriegszeit als erstes Opfer des Nationalsozialismus – und das ziemlich erfolgreich.
Freudmann findet nicht nur die Verwirrung um das Denkmal spannend, wie er gegenüber dem KURIER erklärt: „Das Bild Österreichs als Opfer der Besatzungs-/Befreiungsmächte ist mittlerweile so out of date, dass die Vorstellung, diesem Sentiment einst ein Denkmal gewidmet zu haben, schmerzt. Daraus erklärt sich auch die en passant erfolgte Umbenamsung von Befreiungsdenkmal in Freiheitsdenkmal.“
Ihn interessiere, was dieses Opfersentiment (Österreich als Opfer der Alliierten) mit dem Opfermythos (Österreich als erstes Opfer von Nazi-Deutschland) zu tun hat: „Opfererzählungen werden ja oft zur politischen Ermächtigung herangezogen. Auch politische Bewegungen oder Parteien, insbesondere rechtsradikale Parteien wie die FPÖ, bedienen sich gern solcher Narrative. Aber auch die ÖVP zelebriert das Opfer-Sein im aktuellen wie im vorangegangenen Wahlkampf.“
Darüber hinaus ist seine Intervention als Referenz auf Hans Haacke zu verstehen: Im Rahmen von „Bezugspunkte 38/88“, dem Schwerpunkt des „Steirischen Herbstes“ im Jahr 1988, rekonstruierte der deutsche Künstler am Eisernen Tor einen NS-Obelisken unter dem Titel „Und Ihr habt doch gesiegt“. Das Mahnmal wurde gegen Ende des Festivals von einem Neonazi in Brand gesteckt, die unter dem Obelisken verborgene Marienstatue schmolz dabei ein.
Und noch etwas fällt Freudmann auf: „In Österreich gibt es nur zwei Denkmäler, die der Befreiung 1945 gewidmet sind. Beide wurden auf Initiative der Besatzungs-/Befreiungsmächte errichtet: das Befreiungsdenkmal in Innsbruck und das Heldendenkmal für die Rote Armee in Wien. Der seit Mitte der 1980er-Jahre erfolgte Paradigmenwechsel hinsichtlich der Befreiung Österreichs vom Nazismus führte zu einer positiv besetzten Gedenkkultur in Bezug auf das Ende des Zweiten Weltkriegs. Im öffentlichen Raum bildet sich das aber nicht ab.“
Oder nur temporär. Eduard Freudmanns Installation „Monumyth“ ist bis 13. Oktober zu sehen. Unter dem Titel „Gegenpositionen“ arbeitet man sich zudem an den im öffentlichen Raum präsenten Namen Hans Kloepfer und Friedrich Ludwig Jahn ab. Man hätte aber – gerade in Graz – auch Ottokar Kernstock oder Robert Hamerling hernehmen können. Das Feld jener, die den Nationalismus vorbereiteten oder verherrlichten, ist groß.
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