Stefan Slupetzky fragt: Wie viel wiegt der junge Mensch heute?

Stefan Slupetzky fragt: Wie viel wiegt der junge Mensch heute?
Der Krimiautor macht Ernst: Seine Familiengeschichte zwischen Opfern und Tätern ...

Es dauert, bis man dort angelangt ist, wo uns Stefan Slupetzky haben will.

Bei seinen gefeierten Krimis war Nachdenken nicht gar so notwendig, gewundert hat man sich halt mit großem Vergnügen, wenn jemand vor seinem Tod noch rasch eine Brille vergräbt bzw. ein Pinguin ermordet wird.

Jetzt braucht Slupetzky keinen Privatdetektiv mit Spitznamen Lemming mehr. Jetzt braucht er keinen Bezirksinspektor Polivka.

Jetzt sagt ein alter Mann gegen Ende des Romans, bevor auch für ihn "Der letzte große Trost" kommt – und zwar sagt er es an die Adresse derer, die in den 1960ern, 1970ern geboren wurden:

Er kenne sich selbst nicht mehr aus, einerseits könne man in Europa in Frieden leben, andererseits gebe es für junge bzw. jüngere Leute keine Rollen mehr zu spielen.

"Der Vorhang ist gefallen, die Helden sind nach Haus gegangen, und die Bühnenarbeiter haben die Kulissen weggeräumt. Jetzt steht ihr da und habt keine Ideen mehr außer dem Konsum ..."

"Und dem Profit", wirft Daniel ein.

Im Gepäck

Man könnte ihm zurufen, Unsinn, immer mehr warten heute nicht auf ein zweites Leben, sondern fangen gleich richtig an ... Man will darüber reden. Ein gutes Zeichen für ein Buch.

Daniel Kowalski ist eine Art Stefan Slupetzky, der im KURIER-Gespräch sagt:

"Was mich seit langem beschäftigt, ist das Thema des Selbstverständnisses der zweiten österreichischen Nachkriegsgeneration, der ich ja angehöre. Hineingeboren in Sicherheit und Wohlstand, in ein Leben ohne große kollektive Dramen, aber mit den großen kollektiven Dramen der Großeltern im Gepäck ..."

Daniel wird in die Waagschale geworfen. Wie viel wiegt er mit seinen kleinen Sorgen? Fällt er überhaupt ins Gewicht? Interessiert es irgendwen, dass ihm sein toter Vater abgeht? Ja!!!

"Der letzte große Trost" ist Slupetzkys eigene Familiengeschichte, nur leicht verändert, verdichtet, wahr.

Zyklon B

Die mütterliche, jüdische Seite: Opfer. Wer den Nazis entkommen konnte und nach Israel auswanderte, verliert den Sohn im Krieg gegen Palästinenser ... Die väterliche Seite: Täter.

Daniels Vater hat sich schnell von dieser Verwandtschaft absentiert. Der Großvater Anton Kowalski (= Anton Slupetzky, nicht Großvater, sondern Großonkel des Autors) hatte eine Fabrik, produzierte Schädlingsgift – und Zyklon B. Im Mauthausen-Nebenlager Gusen half er persönlich mit, 150 russische Kriegsgefangene mit Gas zu ermorden.

Wenn die Nachkommenschaft Halt sucht, macht Stefan Slupetzky keinen Spaß, er macht Ernst mit der Literatur. (Schüttelreim-süchtig bleibt er trotzdem: Was wär’ die Welt voll lichter Dinge, gäb’s nicht so viele Dichterlinge!)

Stefan Slupetzky:
„Der letzte große Trost“
Rowohlt Verlag.
256 Seiten.
20,60 Euro.

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