Starfotograf René Burri ist tot
Ché Guevara mit Zigarre. Mit dem Foto – millionenfach reproduziert – hat er Fotogeschichte geschrieben. Sein erstes Bild von einem Prominenten knipste er mit 13 Jahren: Winston Churchill 1946 im offenen Wagen.
Ab Mitte der 50er-Jahre war Burri weltweit als Fotoreporter unterwegs für Magazine wie Life, Look, Stern und Geo – und wohl der am weitesten gereiste Magnum-Fotograf.
Welt verbessern
Einst hatte er das Ziel, mit seinen Bildern die Welt zu verbessern. So kam er nach Peking und São Paulo, nach Tokio und Texas. Er dokumentierte Kriegseinsätze in Vietnam, am Sinai und am Suez Kanal. Sein Credo: „Ich wollte mit meiner Neugierde, die Welt fotografisch verstehen und die Umbrüche, die Geschichte vermitteln. Mehr kann ich nicht als Fotograf.“
Sein Werk wurde in zahlreichen Ausstellungen präsentiert - unter anderem in seiner Heimatstadt Zürich, als das Museum für Gestaltung vor einem Jahr René Burris Bilder zeigte. Erst im Jänner gastierte er mit seinem "Doppelleben" in der Wiener Galerie OstLicht. Sein Oeuvre wurde mehrfach ausgezeichnet.
Bilder aus "Doppelleben"
Er nähme es nicht so genau mit der Zeit, hatte man uns gesagt. Wir wären die Nächsten. Also warten der Redakteur und ich im Innenhof der Wiener Galerie Westlicht auf unseren Interviewtermin.
Ja, natürlich kenne ich René Burri, wie man einen Prominenten glaubt zu kennen. Und natürlich kenne ich das berühmte Foto. Natürlich: eine lebende Legende, ein Magnum-Fotograf. Die Fotoagentur Magnum, der heiliger Gral.
Wie ist das, wenn ein Fotograf auf einen Fotografen trifft? Und nicht irgendeinen. Werde ich unter Beobachtung stehen? Werden mir Anweisungen gegeben werden? Nicht so, nicht von diesem Winkel, so geht das gar nicht …
Im Lastenlift in den ersten Stock. Zwanzig Minuten hätten wir. Leider. Dann müssten sie schon zur Ausstellungseröffnung.
Dann steht er vor uns: Schwarzer Anzug, rotes Hemd, weisser Schal, Hut. Ich grüße, sehe in Augen, die viel, vielleicht alles gesehen haben. Man will sich zum Interview setzen. Wo es mir denn recht sei. Die andere Zeitung hätte dort drüben mit Herrn Burri gesessen. Ich solle entscheiden.
Das könnte schon die erste Fehlentscheidung sein und mich komplett diskreditieren. Ich entscheide. Burri soll vor einer Bücherwand sitzen und die Wahl wird für gut befunden. Trotzdem keine Erleichterung.
Das Interview beginnt und ich packe meine Objektive aus. Vor Burri: seine Leica. In Anbetracht der historischen Dimension dieses kleinen Apparates, sieht meine Ausrüstung obszön groß aus.
Ich mache, weswegen ich gekommen bin; ohne Anweisungen von Burri. Berührt immer wieder gedankenverloren die Leica, spricht von seinem Werdegang, seiner Ausbildung, seinen Begegnungen und vor allem von Haltung.
Er kenne viele Kollegen, die zuerst Pressefotos von Diktatoren gemacht haben, um am Nachmittag deren Familien zu porträtieren. Dafür habe er sich nie hergegeben. Das habe ihn nie interessiert. Ja, er habe natürlich viele Prominente kennen gelernt, aber die Distanz wäre essentiell.
Der Redakteur fragt, ob Burri nicht glaube, ein großer Teil der Faszination seiner Fotos sei der Tatsache geschuldet, dass sie bekannte Persönlichkeiten abbildeten? Eine Beleidigung! Unverständnis, Gedankenlosigkeit, geplante Provokation? Nein, antwortet Burri, Prominenz sei nie der Grund gewesen, sich diesen Menschen zu nähern. Ausschlaggebend sei die Begegnung mit diesen Persönlichkeiten gewesen, die Aura, die sie umgab.
Er meint, man hätte ihm vorgeworfen, er hätte keinen ausgeprägten Stil und ja, es wäre ihm nie darum gegangen. Er wollte immer nur das Leben erleben.
Ich beende meine Arbeit, ich höre zu. Mein Herz fliegt diesem vollkommen Fotografen entgegen. Ich lerne in zwanzig Minuten von Burri mehr über unseren Beruf als in einer langjährigen Ausbildung.
Die zwanzig Minuten sind vorbei. Wir machen uns bereit zu gehen. Wir schütteln einander die Hände. Wir plaudern, ich bin zu aufgeregt, um zu merken, worum es geht. Nochmal Hände schütteln. Zur Tür gehen. Abermals Hände schütteln.
Wir haben uns nur einmal gesehen, Herr Burri. Ich bin dankbar für diese Begegnung, die mir einen Horizont gezeigt hat, dem es Wert ist, entgegen zu gehen.
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