Staatsoper: So war Wagners "Ring des Nibelungen"

Staatsoper: So war Wagners "Ring des Nibelungen"
Die versammelten Kritiken zu "Rheingold", "Siegfried", "Walküre" und "Götterdämmerung".

Rheingold

Der größte Einwand, den man gegen diese Aufführung von Richard WagnersRheingold“ erheben kann, ist, dass sie die einzige Serie vom „Ring des Nibelungen“ an der Wiener Staatsoper in dieser Spielzeit einleitete.

Mit Axel Kober, dem Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein am Pult wäre zumindest ein zweiter Durchgang spannend. Denn schon nach den ersten Szenen, als Dirigent und Orchester aufeinander eingespielt waren, wurden die Steigerungen im Graben deutlich hörbar. Die einzelnen Motive arbeitete er penibel heraus und verflocht sie wie ein Netz miteinander.

Getragen hob er das Vorspiel an und ließ den Rhein ordentlich fluten. Er setzte auf Präzision und einen schlanken Klang, der in manchen Passagen etwas spröd anmutete. Präzision gab er den Vorrang vor Dramatik. Das hob die philharmonischen Solisten hervor. Das Finale erklang in herrlichem Breitwand-Sound.

Tomasz Konieczny brillierte mit seinem Metall-Timbre als Wotan. Jochen Schmeckenbecher war ein wortdeutlicher Alberich. Sophie Koch gestaltete mit ihrem schlanken Mezzosopran die Fricka mit zu viel Zurückhaltung. Norbert Ernst intonierte solide als Loge. Ileana Tonca, Stephanie Houtzeel und Bongiwe Nakani formierten ein ausgewogenes Rheintöchter-Terzett. Anna Gabler war eine sehr blasse Freia. Einmal mehr bewährten sich: Monika Bohinec (Erda), Clemens Unterreiner (Donner), Jörg Schneider (Froh), Soran Coliban (Fafner) und besonders Jongmin Park mit seinem wohltönenden Bass (Fasolt). Sehr lang anhaltender Applaus.

Susanne Zobl

Staatsoper: So war Wagners "Ring des Nibelungen"

Siegfried und Walküre

Selten lagen Abschied und Aufbruch in eine neue Ära in der Opernwelt so nah beieinander wie in der aktuellen Spielserie von Richard WagnersRing des Nibelungen“ an der Wiener Staatsoper.

Die Aufführung der „Walküre“ war dem vor Kurzem verschiedenen Theo Adam gewidmet, der jahrelang die Partie des Wotan geprägt hat. Nun gab es in Wien einen würdigen Nachfolger zu ehren: Tomasz Konieczny. Nach der Vorstellung von „Siegfried“ wurde der 1972 in Lódz geborene Bassbariton zum Kammersänger ernannt. Mit Recht. Seit seinem Debüt 2008 als Alberich hat er 21 Partien in 163 Vorstellungen gesungen (am 20. Jänner gibt er Gunther in der „Götterdämmerung“).

Konieczny, der vom ehemaligen Staatsoperndirektor Ioan Holender ins Haus am Ring geholt worden ist, hat sich die Partie des Göttervaters idealtypisch angeeignet.

Wie er sich vom wütenden Wotan zum wilden Wanderer wandelte, wies den gelernten Schauspieler einmal mehr als faszinierenden Sänger und Darsteller aus. Glaubwürdig ergab er sich seiner tobenden Fricka, die wortdeutlich, scharf von Sophie Koch mit ihrem klaren Mezzo intensiv verkörpert wurde. Wotan-Monologe von enormer Sinnlichkeit und Spannung, wie jener von Konieczny sind rar. Dieser Sänger verwaltet seine Qualitäten optimal: Das metallene Timbre, die Art, differenziert zu intonieren, machte er in den Wanderer-Szenen in „Siegfried“ atemberaubend hörbar.

Auch die übrige Besetzung dieses „Rings“ lässt (fast) nichts zu wünschen übrig: Iréne Theorin ist eine expressive Brünnhilde. In der „Walküre“ beeindruckte Hausdebütant Tobias Kehrer als Hunding. Christopher Ventris (Siegmund) ging mit seinem silbrigen Tenor bis über die Grenzen. Martina Serafin (Sieglinde) gab eindrucksvoll ihr Äußerstes. Die Walküren formierten sich zu einer soliden Truppe.

In „Siegfried“ prunkte Stephen Gould spielfreudig mit seinem prächtigen, facettenreichen Tenor in der Titelpartie. Jochen Schmeckenbecher gestaltete den Alberich akkurat. Herwig Peccoraro bewährte sich als Mime. Maria Nazarova (Waldvogel) und Soran Coliban (Fafner) ergänzten. Alex Kobers fein nuanciertes Dirigat grenzte ans Ereignishafte. Er schöpfte die philharmonische Pracht des Staatsopernorchesters aus und schlug genial den Bogen über das große Ganze.

Susanne Zobl

Götterdämmerung

Es ist ein bleibendes Faszinosum der Kultur, dass sie den Menschen über sich hinauswachsen lässt. Auf der Opernbühne stehen Wohlstandshelden, denen man zuweilen den gefahrlosen Sprung von einer Sitzbank nicht zutraut. Und doch singen sie so von größter Stärke, tiefstem Gefühl, grässlichstem Verrat, dass es einen unüberwindbaren Zauber entwickelt. Im Graben ächzt das Blech dazu (gut), die Hörner suchen manchmal das Weite (nicht ganz so gut).

Womit wir am Sonntagnachmittag in der Staatsoper sind. Dirigent Axel Kober und Orchester trafen für den „Ring des Nibelungen“ (Kobers erster in Wien) ohne gemeinsame Probe aufeinander, am Sonntag gab es den gefeierten Abschluss mit der „Götterdämmerung“.

Und hier entstand etwas im Moment. Man durfte sich freuen und erstaunt sein, was die Menschen so können, wie wundersam dieser gegenseitige spontane Austausch von Komplexität funktioniert: Das musikalische Ergebnis war ganz außergewöhnlich, ließ die Sänger hörbar bleiben und die Muskeln dort spielen, wo man umso sensibler gepackt wird. Das Repertoire, es rührt im Idealfall tief.

Apropos Komplexität: Man taucht also am frühen Sonntagnachmittag ein in das kaum entwirrbare Gerangel darum, wer des Reifes Herr (wir sind ja bei Wagner, da ist „Herr des Ringes“ natürlich zu geradlinig) sein darf. Und das ist mindestens so kompliziert wie die Brexitverhandlungen.

Ja, Brexit. Fünfeinhalb Stunden dauert das, und da darf man zwischendurch auch mal zur geistigen Lockerungsgymnastik die Weltpolitik als Schablone über das Weltenspiel halten. Passt das? „Früh alt, fahl und bleich, hass' ich die Frohen, freue mich nie“, kann man das dem politischen Neopuritanismus – Früh aufstehen! Kein Fleisch! – entgegenhalten? „Seit lange acht’ ich des Lallens nicht mehr“ – Vorweg-Kritik an den sozialen Medien? Ach, es führt nirgends hin.

Die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf ist zehn Jahre alt und kann allein daher nichts vom Aktuellen wissen (und wollte es auch bei der Premiere schon nicht). Hier wird getan, was Wagner sagte, und das ist bei der „Götterdämmerung“ von allen vier Werken des „Reifs“, äh „Rings“, am schlüssigsten gelungen.

Das Sängerensemble ist in der nun abgespielten Serie so gut gewesen, wie man es sich nur wünschen kann, angefangen bei Stephen Gould als Siegfried, über Neo-Kammersänger Tomasz Konieczny als Gunther und Waltraud Meier als Waltraute bis zu Iréne Theorin als Brünnhilde. Allein wie Gould in der Erinnerungsszene an Mime die Stimme ins mimentypisch Hellmetallische färbt, bleibt im Kopf.

Am Schluss – einmal noch Brexit – heißt es jedenfalls no deal: Siegfried ist tot (der Trauermarsch rührt tief und fährt hoch), alles brennt, und das Rheinwasser schwappt letztlich gnädig weg, was vorher so wichtig schien und doch nirgends hinführte.

Georg Leyrer

Kommentare