Sonnenfinsternis auf dem Berg - Von György Konrád

Sonnenfinsternis auf dem Berg - Von György Konrád
Konrád nimmt sich viel Zeit und knapp 400 Seiten, um in diesem wunderbar langsamen Roman sein vergangenes Jahrhundert zu beschreiben.

Einer der großen Literaten Ungarns schrieb mit "Sonnenfinsternis auf dem Berg" seine Autobiografie weiter: Schon in "Glück" berichtete der 1933 geborene György Konrád von den letzten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs und der Deportation seiner jüdischen Eltern.

Gerafft nimmt Konrád auch in der " Sonnenfinsternis" diese Zeit wieder auf, führt aber weiter über Nachkriegsjahre und kommunistische Diktatur bis ins Jahr 1999. Hier beginnt der Text: Der Ich-Erzähler beobachtet die damalige Sonnenfinsternis über dem St-Georg-Berg am Plattensee. Umsorgt von seiner dritten Ehefrau, umgeben von Gartenidylle und seinen Kindern sinnt der bald Siebzigjährige aber nicht nur über jenen Schatten nach, der auf die Sonne fällt.

Denn dunkle Augenblicke gab es genug in seinem Leben, an die sich der Schriftsteller nuancenreich erinnert: Sei es das Gefühl der Schuld, den Holocaust überlebt zu haben, seien es die politische Entwicklung in Ungarn und die anschließenden Berufs-, Ausreise- und Schreibverbote. Dabei gelingen Konrád liebevolle Miniaturen – etwa wenn er seine weitverzweigte Verwandtschaft schildert – ebenso wie dramatische Bilder: 1956 schnappt auch er sich eine Maschinenpistole und streift durch die Straßen von Budapest, bis sowjetische Panzer den "Ungarnaufstand" brutal beenden.

Dabei stilisiert sich Konrád nicht zum Helden, sondern tituliert sich ironisch als "bewaffneten Gaffer". Überhaupt überrascht seine leise Ironie in diesem Buch, etwa wenn er über den bevorstehenden Jahrtausendwechsel schreibt: "Mir tut es leid, die vielen Neunen, diese schlanken, großköpfigen Wesen, gegen die dickbäuchigen Nullen eintauschen zu müssen."

Sonnenfinsternis auf dem Berg - Von György Konrád
Ein Königreich für ein Bild!

Dieser Roman ist ein wunderbar langsames Buch. Konrád nimmt sich viel Zeit und knapp 400 Seiten, um sein vergangenes Jahrhundert zu beschreiben. Obwohl ohne Kapiteleinteilung strukturiert, lassen sich drei große Blöcke ausmachen: Der erste erzählt von Kindheit und Jugend im ostungarischen Debrecen. Der zweite umfasst Konráds Jahrzehnte in Budapest – einer Stadt, der er sein Leben lang treu bleiben wird. Trotz allem: Denn nicht nur nach dem Ungarn-Aufstand stellt er sich immer wieder die Frage: bleiben oder gehen?

Er bleibt – bis zu ihrem Ende wird er die kommunistische Diktatur ertragen, ohne dabei zu verbittern oder zum Mitläufer zu werden. Ein dritter Teil schließlich zeigt den Autor als Reisenden in der Welt, als Präsidenten der Schriftstellervereinigung P.E.N und der Berliner Akademie der Künste. Nach zehn Jahren literarischem Schweigen (1978-1988) kann er nun auch wieder in Ungarn veröffentlichen. All dies wird in großartiger Prosa erzählt, gern unterbrochen durch Reflexionen – es scheint, dass das Flanierende und Vagabundierende seines Lebens auch in Konráds Sprache mit einfließt. Nie aber ist er oberflächlich oder schwatzhaft, im Gegenteil: Jeder zweite Satz will angestrichen und mit einem Ausrufungszeichen versehen werden.

Und schließlich ist "Sonnenfinsternis auf dem Berg" auch ein Buch über das Altern. Versöhnlich und mit Schalk in den Augen blickt Konrád auf sein Leben zurück, staunt selbst über sein Glück, überlebt zu haben. Der "vertrottelte Greis", wie er sich selbst spöttisch nennt, blickt auch in die Zukunft milde – und mit Neugier. Diese grandios zusammengefügten Themenbereiche, die sich zu einem vollen Leben schließen, machen Konráds Autobiografie so wichtig. Sie berührt uns alle, ebenso wie die letzten im Buch gestellte Fragen: "Was ist Heimat? (...) Wo sich meine Wege verdichten." "Wo ist Heimat? Wo ich nicht totgeschlagen werde."

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