Österreich wird im Finale des diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) auf alle Fälle eine Rolle spielen. Auch dann, wenn JJ, der mit dem Lied "Wasted Love" für Österreich in Basel antreten wird, im Semifinale ausscheidet.
Zu verdanken haben wir das Abor & Tynna, einem Duo aus Wien, das – durchaus überraschend – die deutsche Vorausscheidung unter der Obhut von Stefan Raab gewonnen hat. Und zwar mit ihrem Lied "Baller". Damit schicken unsere Nachbarn erstmals seit 18 Jahren wieder einen deutschsprachigen Beitrag zum ESC. Die beiden sind damit auch die ersten Österreicher, die für Deutschland (die neben Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien fürs Finale gesetzt sind) auf Punktjagd gehen werden.
Kein Druck
Dass Deutschland in den letzten Jahren gar keine bis kaum eine Rolle bei diesem Wettsingen spielte, damit beschäftigt sich das Geschwisterpaar Tünde und Attila Bornemisza aus Wien nicht wirklich. "Man hat uns immer wieder gesagt, dass Deutschland in den letzten Jahren keine guten Platzierungen bekommen hat. Die Messlatte ist dementsprechend eigentlich nicht hoch. Es gibt da keinen Druck“, so Attila im Gespräch.
Aktuell ist man gerade dabei, die vergangenen Tage, den Sieg beim Finale einzuordnen, zu realisieren. Viel Zeit bleibt dafür aber nicht, da zahlreiche Medientermine zu absolvieren sind, und man müsse auch schon an der Bühnenshow für Basel arbeiten. „Dass wir gewinnen, damit haben wir ehrlich gesagt nicht gerechnet. Es war tatsächlich ein bisschen ein Schock, weil es unser Leben verändert hat. Aber ich muss sagen, dass ich bis jetzt alles ziemlich cool finde“, sagt die 24-Jährige Sängerin.
Mit diesem Erfolg stehen sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich im Rampenlicht. Dieses gestiegene Interesse an ihrer Musik spiegelt sich auch auf ihren Social Media Accounts und Musik-Streamingdiensten wider: "Baller" wurde auf Spotify bereits über 1,9 Millionen Mal (Stand von Freitagmittag, 7. 3.) aufgerufen. Das dazugehörige Album nennt sich "Bittersüß", umfasst 16 Songs.
Produziert wurden sie von Attila. Fürs Musikmachen braucht der 26-Jährige erst einmal nicht mehr als einen Laptop mit einer guten Soundkarte. „Bei mir entsteht alles digital – zuhause im Zimmer. Klar, würde ich auch gerne in einem Studio umringt von namhaften analogen wie sauteuren Vintage-Synthesizern sitzen, die alle mir gehören. Aber das spielts nicht.“
Spaß und Tränen
Die beiden bekamen die Musik in die Wiege gelegt. Vater Csaba spielt Violoncello bei den Wiener Philharmonikern. Attila kann auch Cello spielen, seine Schwester Querflöte und Klavier. Sie selbst beschreiben ihre Musik als einen „Sound zwischen New Wave Rap, Pop und elektronischer Musik mit Texten, aus denen Spaß und Tränen blitzen, Empowerment und Verletzlichkeit, Wiener Schmäh mit Gen Z-Attitüde.“
Was genau kann man sich unter "Gen Z-Attitüde" vorstellen? "Es geht um unsere Generation und um jene Zuschreibungen, die vor allem von älteren Menschen kommen. Darüber machen wir uns in unseren Texten lustig, sparen dabei aber auch nicht mit Selbstkritik. Wir begegnen dem mit Augenzwinkern, viel Selbstironie und ein bisschen Zynismus.“
In ihren Liedern suchen sie stets die Harmonie. Melodien treffen auf elektronische Beats. Das Ergebnis klingt mal nach Elektropop, mal nach (Neue) Neue Deutsche Welle, mal nach Deutschrap, mal nach „alles, worauf wir gerade Bock haben“, sagt Tünde.
Dabei fließen nicht nur Tränen (es geht viel um Trennungsschmerz), sondern auch Champagner (oder Frizzante im Sonderangebot), man nimmt das "Coco Taxi" in den Club und hängt nach der Afterhour verstrahlt im Stadtpark ab. Die Gefühlslage orientiert sich dabei nach dem Hormonspiegel: Mal fühlt man sich oben, ist voller Euphorie und voller Selbstvertrauen. Nur wenige Stunden später will man das Bett nicht mehr verlassen: Die Post-Party-Depression kommt so verlässlich wie die Sperrstunde.
Songauswahl
Das man nach einem kurzen Ausflug ins Englischsprachige nun auf Deutsch singt, hat einen einfach Grund: Es funktioniert besser. Es kommt besser an. Ist besser für den Algorithmus. Und der ist vor allem für TikTok wichtig. Dort folgen Ihnen aktuell über 30.000 Menschen. Einer davon ist Stefan Raab. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm? „Es hat im Rahmen der Vorentscheidung einen sehr engen Austausch mit ihm gegeben, er hatte sehr viele Idee, ist ein sehr kreativer Mensch“, sagt Attila.
Hat er dann auch bei der Songauswahl mitgeredet? "Dass wir mit ,Baller' bei der Vorausscheidung antreten, war tatsächlich nicht unsere Idee. Es war nicht unsere erste Wahl. Wir hatten dafür nämlich einen eigenen Song auf Englisch geschrieben. Mit diesem wollten wir auch antreten. Aber Stefan Raab hat dann auf TikTok unser Posting zu ,Baller' gesehen, das wir im Rahmen unserer Albumveröffentlichung beworben haben. Der hat ihm so gut gefallen, dass er uns sofort angerufen und gesagt hat: ,Nehmt doch diesen Song', erklärt Tünde.
Den österreichischen Beitrag sehen sie als ernsthafte Konkurrenz. Der Song gefällt beiden. „Mir gefällt der Klassik-Einfluss. Das passt gut zu Österreich“, sagt Tünde. Attila mag besonders den Techno-Part am Ende des Liedes.
Stand jemals zur Debatte, für Österreich anzutreten? „Es war vor ein paar Jahren mal kurz die Rede davon, aber da hatten wir noch keine musikalische Identität, hatten noch nie einen Liveauftritt. Jetzt haben wir genug Musik veröffentlicht, damit es nicht nur ein ESC-Act ist, sondern mehr dahintersteckt“, sagt Attila, der in Basel am 17. Mai natürlich gerne gewinnen möchte. "Oder Platz 2, wenn JJ gewinnt".
Beim Thema musikalische Einflüsse gibt es dann ein paar Überraschungen. Beginnen wird mit dem Erwartbaren: „Ich höre sehr viel Musik, mag Apache, höre aber auch viele aus den Achtzigerjahren, liebe Falco und Michael Jackson“, sagt Tünde. Diesen Achtzigerjahre-Einfluss hört man dann auch im Song „Guess What I Like“, die mit Abstand funkigste Nummer auf ihrem Album „Bittersüß“. Der Song macht Spaß, fällt aus dem Rahmen.
Nun zu den Überraschungen: Atilla hört nämlich nur selten Musik, maximal beiläufig. Er höre lieber Podcast. Wenn Musik, dann zum Beispiel von Zonderling, einem niederländischen Musikduo, das melodiösen TechHouse produziert. Sein größer Einfluss sei seine Schwester, die immer wieder mit neuen Ideen und Musik zu mir kommt. "Ich lass mich einfach von ihrem Vibe mitreißen und versuche dafür die passende Musik zu finden. Die Texte schreiben wir zusammen. Wenn jemanden etwas nicht gefällt, eine Melodie, einen Rhythmus, eine Zeile nicht fühlt, dann hat er ein Veto-Recht", sagt Attila.
Ob ihm schon jemand gesagt hat, dass er eine leichte Ähnlichkeit mit dem jungen Dave Gahan hat? „Nö, wer ist das?“. Das ist der Sänger von Depeche Mode. Noch nie gehört? „Nö. Wie heißen die, Depeche was?“ Depeche Mode. Zum Glück wird beim Eurovision Song Contest allgemeines Musikwissen nicht abgeprüft.
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