Sollen alle gesteinigt sein?

Ausschnitt aus dem "Tarantel"-Buchcover
Alle Lieder von Bob Dylan in braver Übersetzung und sein mysteriöser Fensterwäscher.

Morgen, Samstag, wenn Bob Dylan NICHT in Stockholm sein wird, aber stattdessen Patty Smith von blutigen Hämmern und von Gewehren in Kinderhänden singt und davon, dass ein schwerer Regen fallen wird ("A Hard Rain’s A-Gonna Fall") .... morgen erscheinen im Hamburger Verlag Hoffmann & Campe zwei neue, alte Bücher des Nobelpreis-Gewinners: sein einziger langer Prosatext aus den 1960ern; sowie die brave Übersetzung aller Lieder von 1962 bis 2012 – das ist die erweitere Ausgabe vom Buch "Lyrics 1962 – 2001", für das Gisbert Haefs damals ungerechtfertigte Kritik ertragen musste.

Weil er beim Übersetzen vieles unklar ließ. Zum Beispiel heißt es bei Bob Dylan in "When I paint my masterpiece", young girls pulling muscles – und zwar in Brüssel. Zeigen sie wirklich Muskeln? Oder sind es mussels? Ziehen die girls das Muschelfleisch aus den Schalen (und essen Pommes dazu)?

Man kann Bob Dylan nicht fragen. Er hebt sein Telefon ja nicht ab.

Und Fußnoten darf es nicht geben. Das wurde vertraglich fixiert, dass keine Erklärungen, sofern bekannt, gegeben werden. Die Übersetzung hat originalgetreu zu sein, keine Nachdichtung. Es geht nur darum, die Fans, die nicht so gut Englisch können, teilhaben zu lassen.

Die werden schauen. Z.B. heißt es an der Stelle "Everybody must get stoned" bei Gisbert Haefs: "Alle sollen gesteinigt/stoned sein." Zur Sicherheit lässt er das also lieber offen ... "Dear Landdlord" wird zu "Lieber Hauswirt", "Lay, Lady, lay" zu "Komm, Lady, komm auf mein breites Messingbett".

Und (auch) bei der Zeile "Jetzt wirkst du nicht mehr so stolz / Darauf, dass du in Mülltonnen deine nächste Mahlzeit suchen musst" aus "Like A Rolling Stone" ... durfte Wolfgang Ambros 1978 bei seinem erlaubterweise Wienerischen Dylan cooler klingen:

"jetzt lachst nimma, und i hob di im Verdacht, / dass'd dich aufreißen lasst auf da Straß'n für an Apfel und a Ei."

Diejenigen, die Dylan für einen großen Literaten halten, werden auf den 1280 Seiten Indizien dafür finden. Die anderen, die meinen, nur mit Musik funktioniere der Text, werden sich ebenfalls bestätigt fühlen.

Dämliches Aroma

Bob Dylan wollte nie einen Roman schreiben. Singen wollte er. Aber sein Manager dürfte 1965 sehr darauf gedrängt haben, denn nach "Like A Rolling Stone" verkaufte sich alles hervorragend, wo "Dylan" drauf stand.

So kam es, mit Unterbrechung wegen eines Motorradunfalls, zu "Tarantel".

"Tarantel" ist Unsinn, und das sollte es wohl auch sein. Rhythmischer Quatsch. Schöner Sch... könnte man vielleicht auch dazu sagen. Der Satz "gib den rosen ihr verdientes dämliches aroma!" hat ja wirklich etwas Wahres, übersetzt übrigens von Carl Weissner ( 2011), dessen Übertragungen Charles Bukowski im deutschen Sprachraum erst berühmt gemacht hatten.

So richtig entdeckt wurde Dylans Text bis heute nicht. Es gehört halt sehr viel Kraft und Zeit dazu, wenn man von "analphabetischen Münzen mit zwei köpfen" erfährt, die "raufen sich mit fensterwäscher der die reinkarnation einer gartenharke ist."

Angeblich arbeitete Dylan beim Schreiben wie ein Fernschreiber "und stand da und wackelte mit den Knien" (Zitat Johan Baez, die 1965 – noch – seine Lebensgefährtin war).

Vielleicht war er ja bloß gesteinigt / stoned.

Bob Dylan: "Lyrics" Übersetzt von Gisbert Haefs. Hoffmann und Campe Verlag. 1280 Seiten. 71 Euro.

Bob Dylan: "Tarantel" Übersetzt von Carl Weissner. Hoffmann und Campe Verlag. 384 Seiten. 22,60 Euro.

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