Skandal-Regisseur Franz Novotny: "Von Anpinkeln kann keine Rede sein"
Am 29. Juli kommt "Deckname Holec" in die Kinos. Normalerweise erscheinen Regisseure erst zur Premiere und nicht schon zur Pressevorführung wie Sie heute. Was ist der Grund?
Ja mein Gott na, ich hab’ gehört, dass sich die Frau Dagmar Koller ins Kino begeben hat und war freudig überrascht, sie dort anzutreffen. Allen Unkenrufen zum Trotz hat ihr der Film gut gefallen, wie sie mir versichert hat. Ob sie das so gemeint hat, weiß ich nicht, aber sie klang glaublich.
Im Film geht es um die angebliche Spionagetätigkeit von Dagmar Kollers verstorbenem Mann Helmut Zilk unter dem titelgebenden Decknamen Holec für die ČSSR in den 60ern. Frau Koller sagt, Sie wäre über den Film nicht informiert und zu keiner Vorführung eingeladen gewesen. Wäre das nicht ein notwendiger Akt der Höflichkeit gegenüber der Witwe?
Wir wollten sie zu einer Filmvorführung einladen, aber Frau Koller kam uns zuvor.
Frau Koller meinte auch, die Handlung des Films hätte keinen Wahrheitsgehalt. Zilk hätte weder spioniert, noch eine Geliebte in der Tschechoslowakei gehabt.
Na, na. Sie werden mich doch nicht auffordern, einer Witwe zu widersprechen?! Beide waren wir nachweislich bei diesen, oder diesen angeblichen Ereignissen nicht zugegen. Tatsachen sind immer Feinde der Wirklichkeit, um mit Cervantes zu sprechen. „Deckname Holec“ ist zum Unterschied vom allfällig noch zu drehenden Dokumentarfilm „Neue Beweise, dass Helmut Z. kein Spion war“ ein fiktionaler Film, der lediglich historische Fakten interpretiert. Jedem künstlerisch Tätigen steht es frei, die Gestaltung in sinnvollem Rahmen vorzunehmen, was wir getan haben.
Warum hatten die Sexszenen von Herrn Zilk und seiner Geliebten so viel Raum?
Die waren doch harmlos. Die ganze Familie kann sich das ansehen. Man kann davon ausgehen, dass Sexualität ein natürlicher Trieb der Menschheit ist und ich auch ein Mensch bin, der mit diesen Anlagen pfleglich umgeht.
Warum sind Sie bei dem Thema so direkt?
Das hat doch nichts mit Direktheit zu tun. Sexualität ist eine Selbstverständlichkeit. Viele Österreicherinnen und Österreicher können sich zwar nicht vorstellen, dass ihre eigenen Eltern fleischlich miteinander zu tun hatten, aber es ist tatsächlich so.
Sie wurden einmal gefragt, warum Sie Wien als Regisseur nie verlassen hätten und meinten, es wäre an den Sprachkenntnissen gelegen – und der Begeisterungsfähigkeit für Sexualität in Wien. Was wollten Sie damit sagen?
Ich habe das Meiste im Leben durch Frauen gelernt. Punkt.
Sie wollen das nicht näher erläutern?
Sie haben mich geschätzt und ich habe sie geliebt.
Themenwechsel. Einige Film-Beobachter meinten, Sie hätten Helmut Zilk mit dem Film, der seine Spionagetätigkeit wieder ins Rampenlicht bringt – ich zitiere – "ans Bein pinkeln wollen". Ist das so?
Es ist Gerede. Er hat mir immer das Beste getan, der Zilk. Ich habe ihn in mehreren Funktionen kennengelernt. Als Unterrichtsminister war er sehr hilfreich und später als Bürgermeister auch. Ich habe auch Werbefilme für ihn gedreht. Also ich habe ihm nichts nachzutragen – für gar persönlichen Groll gibt’s weder Gründe noch Anhaltspunkte. Das zwingt mich aber nicht dazu, sein Hagiograf zu werden.
Sind Sie nicht schon mit Helmut Zilk als Fernsehdirektor in Kontakt gekommen, als Sie in Ihren frühen Jahren ein Drehbuch an den ORF gesendet haben?
Das war eine lustige Geschichte. Ich hab’ dem Zilk „Johann Strauß – Mörder von Mayerling“ geschickt. Er hat’s Jörg Mauthe, dem damaligen Chefdramaturgen, zu lesen gegeben. Der fand’s sehr gut, aber sie konnten es nicht verfilmen, weil es eine gute, aber vollkommen blödsinnige Geschichte war. Da haben sie mir angeboten, einen Film über die Sängerknaben zu drehen.
Wie ging es weiter?
Ich hab’ den üblichen Fehler von 22-Jährigen gemacht und einen wütenden Brief geschrieben, was mir da zugemutet wird – und wurde natürlich vollkommen zurecht nicht beschäftigt. Gleichzeitig habe ich mich bemüht, Kulturberichte zu machen. Es kam zu zwei Berichten und beim dritten hamms mich außeg’haut. Das war auch der Zilk. Aber ich wurde zurecht entfernt.
Sie scheinen der Mann für Skandale zu sein.
Ich wollte in meinem Leben nie einen Skandal machen oder jemanden anpinkeln. Solche Motive sind mir fremd. Im konkreten Fall macht ein Provinzregisseur, also ich, über einen Provinzpolitiker, den Zilk, einen Film mit internationalem Schauwert. Das ist ja schon was. Aber von Anpinkeln kann keine Rede sein.
Trotzdem lieferten Sie immer wieder Gesprächsstoff. In Vorbereitung auf unser Treffen habe ich mir einen "Club 2" aus dem Jahr 1990 angesehen. Es ging um Ihren Film "Die Spitzen der Gesellschaft", in dem zwei Pferde vor laufender Kamera geschlachtet wurden.
Mit der lieben Edith Klinger, ja. Ich habe auch kurz reingeschaut. Im Nachhinein tut mir leid, dass mir viele Argumente zu spät eingefallen sind. Ich hätte thematisieren müssen, dass ein Diskutant sich nicht entblödet hat, bei einem „Club 2“ über Tierschutz den eigenen Hund, einen rührend hundertjährigen Cockerspaniel, ins Studio mitzubringen. Natürlich Tierquälerei – für den Hund! In einem anderen "Club 2", ging es um den Film "Staatsoperette". Da habe ich auch zu spät erfahren, dass eine Zeitungsjournalistin, die mich damals angegriffen hat, ein hohes Tier unter den Nazis war. Das war die Ilse Leitenberger. Sie brachte es als NSDAP-Mitglied von der "Schriftleiterin" im Nachrichtenbüro des Goebbels-Ministeriums bis zur stellvertretenden Chefredakteurin der Wiener Presse. Hätte ich das eher gewusst, wär’s besser gelaufen. Tja, damals gab’s noch kein Google.
"Staatsoperette" hat 1977 für Aufregung gesorgt. Ein Vorwurf war, ein ernstes Thema wie die Katastrophenzeit der Ersten Republik zur Operette hochzustilisieren. Beim ORF ging sogar eine Bombendrohung ein. Können Sie sich an den Ausstrahlungstag, den 30. 11. 1977, erinnern?
Das Datum hat sich eingeprägt, weil der Pianist Otto M. Zykan (Anm.: schrieb die Musik) und ich über die Reaktionen zum Film bass erstaunt waren. Wir waren beängstigend beeindruckt von der tobenden Öffentlichkeit, deren Toben aber künstlich herbeigeführt wurde. Dabei haben am Film alle gut verdient. Heribert Steinbauer, damals ÖVP-Mediensprecher, hat sein Mandat in Oberösterreich behalten, weil er durch die Angriffe auf das Werk eine gute Reputation hatte. Die Journalisten haben gutes Zeilenhonorar kassiert. So falsch die "Staatsoperette" aus wissenschaftlich-historischer Sicht war, so richtig war ihr Kern. Sie hat Bewusstsein geschaffen. Aus heutiger Sicht ist der Film ein zwar zur richtigen Zeit herausgeschossenes, ambitioniertes Werk, aber technisch und teilweise künstlerisch a Schas.
Schauen Sie sich Ihre alten Filme an?
Nie, ich halte sie alle für schlecht. Ich sehe so viele Fehler. Das tut mir körperlich weh und ich leide. Entsetzlich, auch wenn ich meine, dass es auszuhalten ist.
Nach "Staatsoperette" bekamen Sie vom ORF keine Aufträge mehr. Ich habe gelesen, sie hätten die Zeit der Schmähung nur überstehen können, weil Sie 1975 von einem Auto umgefahren wurden.
Ich habe den Unfall nicht gesucht, er ist mir passiert und da habe ich Schmerzensgeld gekriegt. Ich glaube, es waren damals 180.000 Schilling. Das hat mir geholfen. Nach meinem zweiten Film "Exit" 1980, ist der Produzent mit dem Erlös durchgebrannt. Ich habe dann ein Jahr vom Verkauf der Programme zu "Exit" gelebt. Das hat a bissl was gebracht und ich konnte mein Leben fristen. Aber diese Zeit der Besinnung war eine gute.
Man könnte in so einer Lage auch resignieren: Probleme im Beruf, der Unfall und ein unehrlicher Partner. Was raten Sie Menschen, denen es ähnlich ergeht?
Sie sollen sich von Männern und Frauen trösten lassen.
Meistens will einen keiner mehr, wenn man ein Pechvogel ist.
Es ist eine Grundbedingung, sich Ziele zu setzen, auch wenn diese amorph sind. Man darf nicht aufgeben. Ich mein, irgendwann könnt man komisch werden, ein Sonderling. Diese Unwägbarkeit ist dabei, aber das gilt es zu vermeiden. Vielleicht gehört es dazu, dass man sich selbst und seine Schwächen kennt und weiß, was man kann. Und man soll nie für den Ruhm arbeiten. Das bringt nix. Auch nicht für Geld, sondern seine Begabungen erkennen und einsetzen – und sich vielleicht Seilschaften suchen, die dazu verhelfen, sie einsetzen zu können.
Ohne Seilschaften geht es auch im Filmgeschäft nicht?
I waß nit. Ich hab’s nie gebraucht. Es gibt kein Rezept, es gibt nur verschiedene Wege.
Was ist mit der Besetzungscouch? Gibt es sie wirklich?
Geben tut es sie sicher, aber das ist verwerflich. Es gibt ein Grundgesetz im Geschäft: Nie mit jemandem koitieren, der von einem abhängig ist! Das darf man oder frau nie machen. Ich mein’, mir persönlich ist es wurscht, ob es jemand macht oder ned. Aber wenn man es tut, erniedrigt man sich selbst. Für die Leute, die sich hochf ..., mag es okay sein, aber es hat einen Nachteil. Man muss die Leistung, die man verf ... hat, als Künstler bringen. Und dann wird die Luft sehr dünn, dann ist die Macht der Geschlechtsteile endenwollend.
Sie sind ein Mann der klaren Worte.
Besser man ist ehrlich und direkt, als wenn man in einer Form des Neusprechs nichts sagt.
Warum war es Ihnen eigentlich so wichtig, "Deckname Holec" zu machen? Es gäbe doch so viele Themen.
Ich hätte auch einen Film über zwei kopulierenden Kröten machen können und a guate Musik drüberlegen. Aber es war schon August und da sind keine Kröten da. Scherz! Aber das Thema Zilk hat sich halt angeboten, weil es von dem leider verstorbenen Jan Němec schon eine blendende Vorlage gab. Er hat ja authentischerweise die Filmrollen des Panzereinmarsches der Russen in die Tschechoslowakei dem Helmut Zilk übermittelt. Daraus hat sich eine Koproduktion ergeben.
Was wäre für Sie die ideale Resonanz auf den Film?
Ab 100.000 Zuschauern lasse ich mich nackt in einem Fass auf die Bühne rollen.
Ist es nicht feige, im Fass sitzen zu bleiben?
Okay, ich steige dann anschließend heraus.
Wenn Sie nicht gerade Fass tragen, dann Anzug. Bei der Pressevorführung meinte jemand: „Früher hat er ständig gegen "die da oben" rebelliert, jetzt rennt er selbst in Anzug und Krawatte rum."
Aha. Anzug habe ich immer getragen, Krawatte auch, obwohl ich zum Zeitpunkt der Filmvorführung jetzt keine Krawatte umhatte. Aber das kann wohl nicht der Maßstab für eine politisch korrekte Haltung sein, ob man Krawatte trägt oder nicht. Das ist ein recht lustiger, aber letztlich belangloser Einwand.
Sind Sie eitel?
Gewandmäßig mit Sicherheit, aber künstlerisch bin ich eher voller Demut gegenüber der Leistung meiner Mitarbeiter.
Warum ist Ihnen Kleidung so wichtig?
Weil es sich a bissl gehört, dass man was gleichschaut, wenn man älter wird. Stört Sie der Rauch der Zigarette?
Mäßig. Wie halten Sie es mit dem gesunden Leben ab einem gewissen Alter?
Ich trink überhaupt nix. Ich habe zuhause Alkohol-Geschenke der letzten 20 Jahre, die ich nie anrühre. Ich krieg’ am nächsten Tag Kopfweh. Ich vertrag schon was, aber es interessiert mich nicht zu trinken. Aber das Rauchen ist ein schreckliches Laster.
Das ist oft eine familiäre Vorbelastung. Wie sind Sie eigentlich zum Film gekommen? Auch eine familiäre Vorbelastung?
Überhaupt nicht. Ich komme aus dem österreichischen unteren Mittelstand oder Kleinbürgertum, teilweise mit Verwandtschaft zum Lumpenproletariat. Mütterlicherseits war der Großvater Hutmacher. Der Vater war Motorradrennfahrer, hat viele Rennen gewonnen und war nach dem Krieg im Autoverkauf tätig. Eine vollkommen durchschnittliche Herkunft also.
Und der Film?
Um mir mein Studium an der Kunstakademie zu finanzieren, war ich Marktfierant am Meiselmarkt. Als Karl Kases, der Sohn des Marktfieranten, zum Geburtstag eine 8-mm-Kamera geschenkt bekommen hat, haben wir begonnen, Filme zu drehen. Karl wurde später Regisseur und Kameramann in Amerika und lebt jetzt wohlbestallt auf Mallorca. Damals habe ich erkannt, dass das mehr war als eine Bubenspielerei und versucht, es als Beruf auszuüben. Auch mit der Idee, dass man mit dem Film viel mehr Leute erreichen kann als mit der Malerei.
Ist das Bild da hinten von Ihnen?
Genau. Draußen im Vorraum hängen auch noch welche von mir.
Verkaufen Sie die Bilder?
Die Preise liegen bei 800.000 Euro. Insofern ist bisher noch keines weggegangen.
Ein Fantasiepreis, oder?
Ja sicher, das kauft doch kaner. Sie sind de facto wertlos.
Außer es passiert plötzlich etwas Unvorhergesehenes.
Es könnt jetzt ein Komet hier reinschießen und mich daschlag’n. Dann wären die Bilder mit einem Schlag eine Million Euro wert.
Das wäre ein zu hoher Preis: Ich meine den, den Sie bezahlen müssten. Darf ich Ihnen zum Schluss noch eine meiner Lieblingsfragen stellen?
Nur zu.
Auf einer Skala von eins (unglücklich) bis zehn (glücklich). Wo stehen Sie?
Im Augenblick bei –1, weil ich gerade in Scheidung lebe.
Oh, verzeihen Sie, das tut mir leid. Wie lange waren Sie verheiratet?
20 Jahre circa. Aber ich halte mich ganz gut. Sehr professionell.
Was würde Ihnen derzeit Freude machen?
Was ich gerne hätte wäre, dass die Filme, die wir machen, noch erfolgreicher werden und wir künstlerische Existenzen befördern können – mit der uns eigenen Demut.
Danke für Ihre Offenheit.
Gern geschehen.
Franz Novotny, 67, wurde 1949 in Wien geboren. Während seines Studiums der Malerei entdeckte er seine Liebe zum Film, als einer seiner Freunde eine 8-mm-Kamera geschenkt bekam. Als 22-Jähriger schickte er sein erstes Drehbuch zum ORF. Verfilmt wurde es zwar nicht, er machte sich beim damaligen Fernsehdirektor Helmut Zilk aber einen Namen. Der Öffentlichkeit bekannt wurde Novotny durch den Spielfilm "Staatsoperette", der skandalisiert wurde, weil ein ernstes Thema wie die "Katastrophenzeit der Ersten Republik" zur Operette stilisiert wurde. Weitere Aufreger-Filme wie "Exit" und "Die Ausgesperrten" folgten. Novotny drehte auch viele Werbefilme. Bis heute ist er als Autor, Regisseur und Produzent aktiv .
Der neue Film von Franz Novotny "Deckname Holec – Sex, Agenten und andere Affären", kommt am 29. Juli in die Kinos.
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