Siri Hustvedt mag nichts über die Hui-Männer wissen

Siri Hustvedt mag nichts über die Hui-Männer wissen
Die amerikanische Schriftstellerin als junge Frau, die auf Männer schaut und ihre Nachbarin belauscht. Das ist ihr Roman "Damals".

Siri Hustvedt spielt mit ihrer Biografie. Es wird dadurch aber nicht so halbwahr wie z.B. in den Büchern des Schauspielers Joachim Meyerhoff und von Karl Ove Knausgård.
Sie spielt ernsthaft.
Sie traut sich nicht einmal zu schummeln und aufzuschreiben, wie „damals“ die Erdäpfel schmeckten. Weil sie es nicht mehr weiß. Also verzichtet sie aufs Ausschmücken.
Siri Hustvedt aß. Nur daran erinnert sie sich.

Naturschönheit

Jetzt ist Siri Hustvedt („Der Sommer ohne Männer“)  über 60 und erzählt von der 23-jährigen Siri, die sie einmal war und die so anders war – nicht bloß deshalb, weil sie damals rauchte.
Auch New York war anders. Geld hatte noch nicht zur Gänze von Stadt und Menschen Besitz ergriffen.
„Damals“ ist  intelligente, glanzvolle Prosa. Nicht gewachselt und poliert! Eine Naturschönheit ist dieser Roman sozusagen.
Siri Hustvedt kam aus der Provinz, aus Minnesota, und ging auf literarische Mission: Ein Jahr gab sie sich Zeit, um in New York einen Kriminalroman zu „erfahren“ und zu schreiben.
Ein Held fehlte ihr.
Der Erste, mit dem sie flirtete, sah gut aus, allerdings redete er von den Hui-Männern auf Neu-Guinea, die ihren Samen nicht an Frauen weitergeben dürfen: Frau  würde stärker  werden. Mann muss das  verhindern.
Rasch verließ sie das Café.
40 Jahre später hält sie fest: „Wenn er den Mund gehalten hätte, wäre ich vielleicht wegen dieser hinreißenden Zähne mit ihm ins Bett gehüpft.“
Der zweite Mann, der mit ihr in Kontakt trat, hielt sie auf der Straße an. Er wollte jedoch nicht nach dem Weg fragen, sondern schimpfte sie, einfach so, „widerliche Schlampe“.
Falsche Männer (und Frauen) gibt es außerhalb und innerhalb der Literatur.

Lauschangriff

Tagebucheintragungen und Zeichnungen sowie Versuche, ihren alten Roman zu schreiben, helfen der Erinnerung auf die Sprünge.
„Damals“ ist das Porträt einer  Künstlerin als junge Frau, die auf Männer schaut, die auf Frauen schauen. Und die horcht ...
Siri  belauschte ihre ältere Wohnungsnachbarin Lucy. Sie setzt deshalb sogar ein altes Stethoskop an die Wand. Lucy redet mit sich selbst, manchmal  mit verstellter  tiefer Stimme. 100 Mal sagt sie „bin traurig“ und „Für mich ist er tot, tot“.
Aus ihren Monologen könnte sich ergeben: Lucys Tochter fiel aus dem Fenster. Ein Unfall? Mord? Misshandelte sie der Ehemann?
Wird Lucy die Heldin, die Siri Hustvedt suchte?
Noch etwas ist „Damals“: Ein Aufbegehren  gegen das Bedauern, etwas nicht gemacht, nie geschrieben, nicht gesagt zu haben
Siri Hustvedt gab dem Erinnern Raum, um die Person zu verdrängen, die einst von einem Dichter die Namen „Könnte-gewesen-sein“ und „Nie-mehr. Zu spät. Lebwohl“ bekommen hatte.

 

Siri Hustvedt:
„Damals“
Übersetzt von
Uli Aumüller und Grete
Osterwald.
Rowohlt Verlag.
464 Seiten.
24,70 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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