Simon Stone: "Der Mann ist das Monster"

"Wie beim Magier, der einen Hasen hervorzaubert“: Simon Stone will die Zuschauer verführen und ihnen den Spiegel vorhalten
Der Regisseur über sein turbulentes Projekt "Hotel Strindberg", das ab 26. Jänner im Akademietheater zu sehen ist.

Simon Stone kann sich so manches erlauben. Schließlich wurde seine kompromisslose wie faszinierende Inszenierung von "John Gabriel Borkman", die im Rahmen der Wiener Festwochen 2015 Premiere hatte, zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Das neue Projekt des 33-jährigen Australiers stellt aber alles Bisherige in den Schatten – und beansprucht die Maschinerie des Burgtheaters bis zum Äußersten. Nicht nur, dass sich im Lauf der Proben der Titel (von "Kammerspiele" in "Hotel Strindberg") und der Schauplatz (von einem Wohnhaus in ein Hotel) änderte: Die finale Fassung entsteht erst jetzt bei den Endproben – im Akademietheater, das über Tage quasi stillgelegt ist. Doch allein schon die Bühne (von Alice Babidge) verspricht ein Ereignis. Der KURIER traf Stone am 19. Jänner – und damit genau eine Woche vor der Premiere.

KURIER: Ausgangspunkt bildeten die Kammerstücke, die August Strindberg ab 1907 für sein Intimes Theater in Stockholm geschrieben hat. Aber dann wurde das Projekt immer größer. Noch jetzt schreiben Sie daran. Brauchen Sie die Hektik?

Simon Stone: Es ist eine spezielle Art von Spontaneität, die man erreicht, wenn man etwas gemeinsam entwickelt. Normalerweise müssen Schauspieler ins Material eintauchen und einen Weg finden, es mit ihrer Vorstellungskraft zum Leben zu bringen. Bei mir ist ihre Vorstellungskraft schon Teil des Prozesses. Die Umsetzung entsteht dann schnell, weil ihre Hirne ja schon beim Erschaffen dabei waren. Hektik gehört eben dazu. Außer, wenn man sich dafür sechs Monate Zeit lassen könnte. Aber niemand würde mich die Schauspieler so lang in Beschlag nehmen lassen.

Warum beschränken Sie sich nicht zum Beispiel auf "Die Gespenstersonate", die auch in der Spätphase entstanden ist?

Das Inspirierende an den Kammerstücken war, dass sie für denselben Raum geschrieben wurden. Diese Idee wollte ich aufgreifen, allerdings im größeren Rahmen. Denn wir fanden in Strindbergs Werk und in dessen autobiografischen Schriften die endlose Wiederholung gewisser Paranoias. Die Angst, dass eine Frau sein Leben zerstört. Oder dass man von dem Moment an, in dem man als Mann die Verbindung zu seiner Mutter verliert, sie zu ersetzen versucht. Strindberg war ein Fan von Sigmund Freud. Damals waren diese Ideen brandneu. Heute, im Klima der Genderpolitik, erscheinen sie als Reflektion über den Narzissmus der mächtigen männlichen Persönlichkeit. Der Mann, der im Zentrum der meisten Strindberg-Stücke steht, ist das Monster, gegen das jetzt in den Medien gekämpft wird. Der Rückblick auf die Zeit, als im späten 19. Jahrhundert die Idee des gebeutelten Genies von Menschen wie Nietzsche und Strindberg erschaffen wurde, zeigt, dass wir diese Mythologie für bare Münze genommen haben. Das hat es uns schwergemacht, das Verhalten bestimmter Männer zu verurteilen. Diesem Mythos wollte ich nachspüren – entlang der vielen Fäden in Strindbergs Werk und auch in der Biografie. Daher kann ich mich nicht auf ein einzelnes Stück beschränken.

Strindberg hat aber viele, auch ganz andere Facetten.

Ja, wir haben den Autor, den Maler, den Poeten. Strindberg hat mit Alchemie experimentiert, er war ein verrückter Typ. Und er ist der autobiografischste Dramatiker, den ich kenne – außer Eugene O’Neill, der sehr von Strindberg beeinflusst wurde. Zudem spielen Hotels eine große Rolle in Strindbergs Leben. Er schrieb viel in Hotels, er ist dort oft ohne Geld gestrandet, in Paris wie auch in Österreich, und dachte über sein Leben nach. Ich wollte alle diese Verbindungen zwischen Biografie und Werk herausarbeiten – und habe daher seine Figuren in ein Hotel gesteckt.

Ging es auch darum, die Kammerstücke wiederzuentdecken?

Nein, ich will nur zeigen, wie unglaublich modern Strindberg ist. Bei allen meinen Inszenierungen gehe ich so vor: Ich ändere nicht den Plot, ich übersetze nur den Text in die Sprache, die wir heute verwenden. Dadurch wird augenscheinlich, wie schockierend zeitgenössisch das jeweilige Stück ist. Wenn wir heute "Die Gespenstersonate" lesen, erinnert sie uns sehr stark an einen Film von David Lynch. Die Menschen erzählen einander etwas – und das wird zum Fakt, auch wenn es komplett mysteriös und unlogisch ist. Alles fokussiert sich um einen Ort, der eine versteckte Bedeutung zu haben scheint; ein mysteriöser Fremder kontrolliert die Hirne der anderen und so weiter. Lynch ist genauso besessen von der Idee des Esoterischen wie Strindberg. Aber es gibt auch in Strindbergs naturalistischeren Stücken unglaubliche Bezüge zur Gegenwart. Mein Stück bewegt sich vom naturalistischen Theater hin zum Traum-Zustand. Das Bühnenbild besteht aus sechs Zimmern und dem Treppenhaus. Und nach einiger Zeit beginnt sich diese Realität aufzulösen, bis das Hotel letztlich zum Inneren von jemandes verrottendem Gehirn wird.

Erinnert das Bühnenbild nicht an ein Puppenhaus? Eben weil man – durch eine Glasfensterfront – in die Zimmer schaut.

Für mich ist moderne Architektur wie ein Puppenhaus. Wenn man gegenüber einem Haus mit Glasfassade wohnt, kann man Zeuge der Geschichten werden. Das Interessante ist: Man kann nicht hören, was gesprochen wird. Man kann nur Vermutungen anstellen. Ich verschaffe Zugang. Das ist es, was Theater immer schon war. Im griechischen Theater hat der Chor mitgeteilt, was hinter den Türen stattfindet.

Ein Blick durchs Schlüsselloch?

Genau. Hier aber bis zu einem wortwörtlichen Ausmaß. Das Publikum muss sich die vierte Wand nicht dazudenken, sie ist wirklich da – aufgrund der Glasfassade.

Also brauchen die Schauspieler Mikroports.

Das gibt mir die unglaubliche Möglichkeit, verschiedene Dialoge gleichzeitig passieren zu lassen. Aber der Zuschauer hört nur einen bestimmten. Also: Wir hören das, was wichtig ist.

Und wir beobachten, was sich in den anderen Zimmern tut. Vielleicht hat ein Paar Sex?

Natürlich nicht echten – hoffe ich zumindest! Sie tun eben, was man in einem Hotelzimmer tut. Das Timing ist sehr kompliziert. Denn die Schauspieler hören keine Stichworte, sie wissen nicht, wann sie "live" sind. Wir müssen daher mit einem Knopf im Ohr arbeiten – was wie ein magischer Trick wirkt, weil jeder zu wissen scheint, was überall sonst passiert. Und jeder spielt drei Rollen. Die Schauspieler müssen sich immer wieder umziehen, in ein anderes Zimmer wechseln und so weiter. Wenn jemand von der dritten Ebene schnell ins Erdgeschoss muss: Das ist eine echte Herausforderung! Wir haben daher hinter der Bühne einen Lift. Nur von vorne sieht es so einfach aus – wie beim Magier, der einen Hasen hervorzaubert. Es gibt ein Theater, das dich genau wissen lässt, wie schwierig es ist, Theater zu machen. Ich finde das sehr schön. Andererseits macht es auch viel Spaß, dem Publikum vorzutäuschen, dass es keinen Aufwand gibt, während man sich den Hintern abschwitzt. Das gibt wundervolles Adrenalin! Wenn man eine Doku darüber drehen würde: Sie wäre vielleicht interessanter als das Stück selbst.

Da Sie acht Stücke verarbeiten, wird der Abend lange dauern.

Man muss die Menschen verführen – damit sie offen genug sind, sich selbst zu sehen. Sie wollen nicht dauernd den Spiegel vorgehalten bekommen, aber man kann sie dazu überreden, wenn man nett ist, wenn sie sich nicht verarscht fühlen. Der Abend wird so lang sein, wie er es eben braucht – ohne dass sich jemand langweilt. Ich hoffe, es wird eine befriedigende Reise. Wie bei einer Fernsehserie, wo man nicht aufhören kann. Mein Ziel sind dreieinhalb Stunden. Außer wenn alle Beteiligten der Meinung sein sollten, dass der Abend ein Gefühl der Hypnose auslöst und länger sein darf...

Die Uraufführung von „ Hotel Strindberg

Beziehungskiste. Simon Stone, 1984 in Basel geboren, macht den Zuschauer zum Voyeur, der „in das finstere Herz von Beziehungen zwischen Männern und Frauen blickt“: Er kompilierte mehrere Stücke des schwedischen Schriftstellers und Künstlers August Strindberg (1849 – 1912), die den Bogen vom Naturalismus zum Expressionismus spannen – und in der Gegenwart verortet sind. Strindberg, der dreimal verheiratet war (darunter mit der Österreicherin Frida Uhl), gilt als „Frauenfeind“. Schauplatz ist ein Hotel, mit von der Partie sind (wie 2015 bei „John Gabriel Borkman“) Roland Koch, Caroline Peters, Max Rothbart und Martin Wuttke. Die Uraufführung findet am 26. Jänner um bereits 18 Uhr im Akademietheater statt.

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