Schwere Vorwürfe gegen Regisseur Ulrich Seidl nach Dreh mit Minderjährigen
Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl ("Hundstage") sieht sich nach Recherchen des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel mit schweren Vorwürfen konfrontiert. Er soll bei einem Dreh in Rumänien Minderjährige zwischen neun und 16 Jahren ebenso wie ihre Eltern über das Thema des Films, Pädophilie, im Unklaren gelassen und sie ohne angemessene Vorbereitung Gewalt und Nacktheit ausgesetzt haben. Ebenso soll es am Set zu zumindest einer körperlichen Konfrontation mit einem Minderjährigen gekommen sein.
Die Anwälte Seidls und der Regisseur selbst weisen die Vorwürfe zurück. Seidl kritisierte in einer Aussendung "unzutreffende Darstellungen, Gerüchte oder aus dem Kontext gerissene Vorkommnisse am Set", die ein "in keiner Weise den Tatsachen entsprechendes Zerrbild" ergeben. Es werde "meine Arbeitsweise diffamiert und mir Intentionen unterstellt, die weiter weg von der Wirklichkeit gar nicht sein könnten."
Auch Mitarbeiter des Drehs stellen manche Vorgänge im Detail anders dar. Die Eltern und die minderjährigen Laiendarsteller seien über den Inhalt des Films unterrichtet worden, teilte der Anwalt Seidls dem Spiegel mit. Zumindest beim Casting der Darsteller in Rumänien sei das Thema Pädophilie aber nicht genannt worden, berichtet der Spiegel.
Der geplante Film heißt "Sparta" und ist Teil einer Serie gemeinsam mit dem letzten Film Seidls, "Rimini". In dem neuen Film geht es um einen Judotrainer (gespielt von Georg Friedrich), der seine pädophile Neigung entdeckt. Am 9. September soll Sparta“ beim Filmfestival Toronto seine Weltpremiere feiern, bevor er eine Woche darauf auf dem Festival von San Sebastian im Wettbewerb läuft.
"Betrogen, weil wir arm sind"
Der Spiegel gibt an, mehr als ein halbes Jahr lang zu den Vorwürfen recherchiert zu haben. Mehrere Darsteller und beim Dreh Anwesende werden zitiert - allesamt anonym. Ein Vater sagte laut Spiegel: „Ich glaube, sie haben uns betrogen, weil wir arm sind.“ Ein Laiendarsteller soll sich nach einer emotional belastenden Szene übergeben haben. In einem crewinternen Chatverlauf sei dazu gestanden: "Bei Marian ist auch noch Mittagessen in der Nase. Und bei uns im Auto auch."
Er soll selbst einen alkoholsüchtigen Vater gehabt haben und beim Dreh nun extra für eine Szene mit einem Betrunkenen ausgewählt worden sein. Als er nicht weiterdrehen wollte, sei er unter Druck gesetzt worden. So habe dem weinenden Buben eine Assistentin gesagt: "Nur noch ein bisschen, dann darfst du nach Hause gehen", wurde dem Magazin geschildert. "Wir vermuten, dass Ihre Informanten Sie über den Inhalt der Szene, aber auch über den Grund für das Weinen des Kindes falsch unterrichtet haben", sagte dazu der Anwalt.
Bei einem Dreh sei Friedrich nackt gewesen und habe sich "im Intimbereich rasiert". Seidls Anwalt betonte laut Spiegel, dass es im Film keinerlei sexuellen Kontext gebe, auch keine pornografischen oder pädophilen Szenen, kein Kind sei "nackt oder in einer sexualisierten Situation, Pose oder Kontext gedreht worden".
Während des Drehs hat es laut Spiegel polizeiliche Ermittelungen gegeben, die wieder eingestellt wurden.
Eltern vom Set abgewiesen
Seidl soll gegen Richtlinien verstoßen haben, die man beim Dreh mit Kindern einhalten muss. Eltern, die sich über den Inhalt des Drehs informieren wollten, seien vom Set abgewiesen worden. Ebenso habe an manchen Drehtagen die Betreuung der Kinder gefehlt.
Auch sei einem erwachsenen Darsteller Alkohol verabreicht worden, obwohl bekannt war, dass er Alkoholiker war. Dieser habe daraufhin ein Kind am Ohr gezogen - für den Regisseur aber nicht fest genug. "Er hat gesagt, ich soll das Kind fester am Ohr ziehen und seinen Kopf schütteln und gröber sein", so der Darsteller laut Spiegel.
Einen weiteren körperlichen Übergriff meldet Der Spiegel. Eine Mitarbeiterin soll einem Buben, der sich das Hemd nicht ausziehen wollte, dieses weggerissen haben. "Sie hat ihn ausgezogen, und er hat versucht, sich zu wehren", hieß es, danach habe sie ihn an den Schultern gerüttelt. Die Betroffene gibt an, den Fehler eingesehen und sich entschuldigt zu haben, und bestreitet, den Buben geschüttelt zu haben.
Seidl: "Großes Vertrauen" zwischen Regisseur und Darstellern
"Ohne das Vertrauensverhältnis, das wir über Wochen und Monate aufbauen, wären die langen Drehzeiträume meiner Filme gar nicht denkbar", betont Seidl. "Nie haben wir beim Dreh die Grenzen des ethisch und moralisch Gebotenen überschritten." Er habe "größten Respekt vor allen Darsteller*innen und niemals würde ich Entscheidungen treffen, die ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden in irgendeiner Art und Weise gefährden." Wie "alle anderen Darsteller wurden selbstverständlich auch die Kinder und Jugendliche von mir niemals gedrängt, vor der Kamera Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten." Er habe "in vielen Einzelgesprächen gemeinsam mit einer Übersetzerin die Eltern vor den Dreharbeiten über alle wesentlichen Inhalte des Films unterrichtet".
ORF nimmt Vorwürfe "sehr ernst"
Der Film wurde u.a. vom ORF gefördert. Dieser erfuhr durch den Spiegel von den Vorwürfen, wie es auf Anfrage des KURIER hieß: "Alle Förderinstitutionen, aber auch Finanzierungspartner wie der ORF, nehmen die schwerwiegenden Anschuldigungen sehr ernst und sind mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um lückenlose Aufklärung bemüht. Die abschließende und übliche Prüfung des Kinofilm-Projekts innerhalb der Förderinstitutionen steht noch aus, da die Produktion noch nicht abgeschlossen wurde. Ulrich Seidl wurde umgehend um Stellungnahme ersucht. In dieser weist er alle Vorwürfe zurück."
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