Schweighöfer als Staatsfeind statt Sonnyboy
Im deutschen Feuilleton gibt es eine eigene Disziplin für ihn, scheint es: Kaum wagt sich Matthias Schweighöfer an ein Projekt, wird kollektiv gefragt, ob man den neuesten Streich des Schwiegermutterlieblings denn mögen darf. Immer das gleich schiefe Lächeln, immer der gleich blonde Wuschelkopf, immer die gleich dämliche Geschichte.
Diesem "Immer" wollte er etwas entgegensetzen, was "Ernstes", weil er aus dem Eck ja eigentlich komme, wie er im KURIER-Interview sagt: Lukas Franke, Hotelmanager, verheiratet, erfolgreich, wirft es aus den Bahn – an seinem Geburtstag wird sein Leben gehackt. Die Polizei hält ihn für einen Terroristen, die Frau für einen Ehebrecher, niemand glaubt ihm mehr.
Was da war, NSA?
"You Are Wanted", so der Titel der sechsteiligen Serie, spielt mit einem in Zeiten von NSA-Spitzelei und Edward Snowden gern verdrängten Gedanken: Dass jeder vor dem TV-Gerät zum Staatsfeind werden kann.
Schweighöfer, der die Serie für Amazon produziert hat, dazu Hauptdarsteller und Regisseur ist, antwortet wie Will Smith 1998 in "Staatsfeind Nummer 1": Er nimmt die Sache selbst in die Hand.
Heraus kommt dabei ein actionreiches Stück deutscher Serien-Unterhaltung. Dank Hochglanzoptik merkt man, dass es nicht wenig gekostet hat (wie viel, darüber schweigen die Geldgeber Amazon und Warner Bros.), doch leider hat der durchaus spannungsgeladene Plot erzählerische Schwächen und gleitet in Klischees ab: Paranoiden, Hoodie-tragende Hacker in kanalartigen Verschlägen, die Untertitel für ihr Hackerdeutsch bräuchten, hat man etwa schon zu oft gesehen.
Schweighöfer erreicht sein Ziel, "etwas zu bauen, das neben ,House of Cards’ und ,Breaking Bad’ nicht untergeht", nur zum Teil. Die Story ist zu wenig ausgefuchst, um mit "Mr Robot", der anderen Amazon-Vorzeigeserie zum Thema, mithalten zu können.
Sehenswert
Spannend und sehenswert ist "You Are Wanted" dennoch, was am gesellschaftspolitischen Gewicht des Themas und an den Darstellern liegt, allen voran Alexandra Maria Lara als verunsicherte Ehefrau. Auch Schweighöfer gibt den identitätsberaubten Otto Normalbürger glaubhaft. Er erinnert nur stellenweise an den Sonnyboy von früher, gerät aber auch nicht zu einem plumpen Haudrauf à la Til Schweiger im "Tatort".
Immerhin, die Kritik hat ihn diesmal kaum abgestraft, sondern sogar teils gelobt; Und auch Amazon schien zufrieden zu sein. "You Are Wanted" habe in Deutschland und Österreich den stärksten Start einer Serie in der Amazon-Geschichte hingelegt, heiß es. Als Draufgabe kommt nun die zweite Staffel: Gedreht wird parallel zur (bisher einzigen Free-TV-)Ausstrahlung im ORF. Der sendet "You are Wanted" ab dem heutigen Montag um 21.25 Uhr in ORFeins.
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