Schnitzlers "Der einsame Weg": Gefangene der Gefühlskälte

Steif und gefühlskalt: T. Lohner, M. Bluhm, A. Absenger, A. Hasun und B. Schir
Theater in der Josefstadt: Mateja Koležnik inszenierte „Der einsame Weg“ von Arthur Schnitzler als Psychothriller

Für die Vorschau posierte das Ensemble, das Arthur Schnitzlers „Der einsame Weg“ spielen würde, in einem Paternoster. Eine passendere Metapher hätte man gar nicht finden können, wie sich am Donnerstag im Josefstädter Theater herausstellte. Denn Raimund Orfeo Voigt und Kathrin Kemp setzen in ihrem grandiosen Bühnenbild das Prinzip des Umlaufaufzugs in der Horizontalen um. Nach jeder Szene schieben sich graue Architekturteile – Flügeltüren oder auch nur Türlaibungen und vergitterte Fenster ohne Scheiben – im Uhrzeigersinn um ein Element weiter.

Als zentrale Schauplätze für seine Tragödie hatte Schnitzler eigentlich zwei Gärten gewählt. Doch von Weite zeugt nur jener des Herrn von Sala: Das „Gärtchen“ des Professor Wegrat „ist beinahe gänzlich von Häusern umschlossen, so dass jeder freie Ausblick fehlt“.

Der Ausblick fehlt in diesem deprimierenden Stück über die Einsamkeit und den Egoismus generell. Und so verlagern die beiden Bühnenbildner das Geschehen nicht in die großbürgerlichen Wohnräume der Jahrhundertwende, sondern in den tristen Vorzimmergang dazwischen.

Eine Gespenstersonate

Geradezu gespenstisch geht es zu, wenn sich eine Türe öffnet – und der Arzt den Kopf durch den Spalt steckt. Oder wenn die todunglückliche Johanna hintern den Gittern sich nervös im Kreis dreht.

Doch nicht nur das variantenreiche Bühnenbild, auch die Inszenierung ist raffiniert. Wie schon bei Ibsens „Die Wildente“ vor eineinhalb Jahren verzichtet Regisseurin Mateja Koležnik auf jedes bloß schmückende Wort. Die gepflegte Konversation und auch das Wienerische müssen zwar dran glauben; doch durch die Striche sind Schnitzlers Sätze ungemein zeitgenössisch. Die Gegenwart bzw. der Blick aus der Gegenwart zeigt sich an vielen Kleinigkeiten, etwa an den nüchternen Beschlägen der klassischen Flügeltüren oder den Teebeuteln.

Koležnik inszenierte ein Psychodrama, das durch die bedrohlichen Geräuschkulissen von Nikolaj Efendi und den hallend verstärkten Stimmen nachgerade zum Psychothriller wird. So gut wie alle Figuren sind Gefangene bürgerlicher Konventionen, sie leiden unter Lebenslügen. Aus der zumeist starren Mimik kann man nichts ablesen: Verräterisch sind, wie besonders Ulrich Reinthaller als Julian Fichtner vorführt, die Bewegungen der Hände, sie ballen und verkrampfen sich, die Finger tasten den Saum ab oder graben sich in den Stoff.

Eingeschnürte Hälse

Therese Lohner stottert als Gabriele, Frau des Akademierektors, fast unmerklich. Wie unwohl sich die Figuren fühlen, machen die Schauspieler auch durch Haltungen augenscheinlich. Bernhard Schir hinkt als hellsichtiger, aber unverbesserlicher Stephan von Sala. Alexander Absenger krümmt sich als Leutnant; seine Uniform erinnert eher an die eines Hotelpagen. Und sie ist – wie die Hemden oder Blusen der anderen, auch jene von Irene (Maria Köstlinger) – hoch geschlossen: Sie schnürt den Hals fast ein. Alan Hranitelj hat konsequent alle blaugrau eingekleidet. Gegen Ende hin trägt Alma Hasun als verzweifelte Johanna nur ein hautfarbenes Unterkleid. Sie ist gleichsam nackt.

Die Bühne schimmert dann

– wie das im Stück beschriebene Wasser des Teichs – grünlich blau. Marcus Bluhm reagiert, wie man es vom gefühlskalten Vater erwarten darf: Er knöpft sich die Weste noch enger zu. Ein fulminanter Abend.

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