Seine Grenzen kennt Tukur: „Wenn zu hoch und zu tief gesungen wird. Kurt Weill ist für uns zu komplex. Aber Cole Porter, genial als Komponist und Texter, liegt uns sehr. Den könnte ich rauf und runter spielen. Wir versuchen, anders als Max Raabe, die Songs zu dekonstruieren und sie überraschend neu zu interpretieren. Dass die Leute das Gefühl haben, das so noch nicht gehört zu haben.“
„Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, wieder einmal Melodien zu hören, die man nachsingen kann“, sagt Tukur im KURIER-Gespräch. „Das geht in der zeitgenössischen Populärmusik nicht. Was singst du unter der Dusche? Was pfeifst du noch?“
Vor zwei Jahren ist er nach 20 Jahren Wohnsitz in Venedig nach Berlin gezogen: „Ich dachte, da geht jetzt die Post ab. Und dann war Lockdown. Es gibt ja nichts Deprimierenderes als eine Pandemie in einer Großstadt, wo man sieht, was man verpasst. Dann schon lieber in einem Dorf, da verpasst man nichts.“
Der 64-Jährige kommt immer mehr drauf, dass er die Großstadt nicht mehr braucht. Er hat „wirklich Heimweh nach Italien und vermisst die Liebenswürdigkeit und Höflichkeit der Italiener, die wir Deutschen überhaupt nicht haben“.
Überhaupt ärgert ihn der respektlose Umgang mit den Dingen: „Früher war Ins-Ausland-Fahren ein Abenteuer. Heute ist zwar alles einfacher, aber auch geheimnisloser und beliebiger.“
„Jetzt haben sie sogar den Lidl in Venedig. Und alles wird immer hässlicher. Unsere Landschaften werden zerstört, ökonomisiert, zersiedelt und die Menschen eingekistet in hässliche Häuser. Grauenvoll.“
"Das beste Drehbuch"
Elf „Tatort“-Folgen hat Tukur gedreht. Zwei fertige Drehbücher gibt es noch: „Dann muss ich überlegen, ob ich es nicht lasse. Es reicht auch irgendwann.“ Ein „riskantes Unternehmen, ein Experiment und Neuland“ ist für ihn aktuell Jurij Saules Film „Martin liest den Koran“, ein Zwei-Personen-Kammerspiel: „Das Drehbuch war das beste, das ich seit Jahrzehnten gelesen habe.“
Es geht um einen jungen Muslim, der einen Bombenanschlag plant und einen Islamwissenschafter fragt, in welchen Suren des Korans steht, dass er das machen darf. In einer spannenden Diskussion merkt der Professor, dass es der junge Familienvater ernst meint, dass er kein Verrückter, Spinner oder Drogenabhängiger ist. Und dass er den Anschlag verhindern muss. „Die Geschichte schlägt viele Haken und wird absolut gespenstisch“, so Tukur. „Der Koran ist ja ein Riesenmärchenbuch, aus dem man dies und das herausnehmen und das man so oder anders lesen kann. Da berühren sich Judentum, Christentum und Islam.“
Nach rund 110 Filmen sind Tukurs Rollenangebote heute vor allem Klosteräbte, Päpste, Großväter und alte Generäle: „Das ist nicht mehr so üppig. Aber nach 40 guten Jahren habe ich immer noch die Musik. Und auf gut gemachte Musik reagieren die Wiener ganz anders als die Deutschen, die vor allem auf den Halligalli gucken.“
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