Schauspieler Karl Markovics: "Avatar" ist "eine Nischenproduktion"

Schauspieler Karl Markovics: "Avatar" ist "eine Nischenproduktion"
Karl Markovics spielt in „Was man von hier aus sehen kann“ einen verliebten Optiker – und spricht über Respekt, leblose Streaming-Serien und gute Geschichten (Von Gabriele Flossmann).

„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein leicht schrulliger Film über das Erwachsenwerden. Eine „Coming of Age“ Geschichte, die auch von ersten Erfahrungen mit dunklen Seiten des Lebens geprägt ist. Ein Film über das Zusammenleben in einem kleinen Dorf, in dem jeder jeden kennt. Über die Liebe und das Sterben von nahestehenden Menschen. Eben alles, was dazugehört zum schönen und schmerzlichen Erwachsenwerden. Vor allem aber ist es ein Film, der nach einem Bestseller - dem gleichnamigen Roman von Mariana Leky - gedreht wurde, der als „nicht verfilmbar“ galt. 

Aber darum scherte sich der 41-jährige deutsche Regisseur Aron Lehmann – wie er in einem Interview meinte – „einen feuchten Kehricht“. Nämlich gar nicht.

Einer stirbt immer

Im Buch wie im Film steht eine junge Frau namens Luise im Mittelpunkt. Wir erleben sie in verschiedenen Altersstufen von etwa zehn Jahren bis Anfang ihrer Zwanziger – wobei die Zeitebenen der Geschichte oft ziemlich unvermittelt vor und zurück springen. Den besten Freund ihrer Kindheit hat sie schon sehr früh verloren. Auf der Fahrt zur Schule durch einen Unfall. Trost und Schutz in fast allen Lebenslagen sucht und findet sie seither bei ihrer Großmutter Selma. Einer klugen Frau, die auf den ersten – und auch auf den letzten – Blick wie eine Märchen-Hexe wirkt. Eine gute Hexe allerdings – mit einer erschreckenden Fähigkeit. Immer wenn sie von einem ebenso seltenen wie seltsamen Tier, einem Okapi, träumt, dann stirbt jemand. Innerhalb von 24 Stunden. Dem Regisseur Aron Lehmann ist es gelungen, die verschachtelte Erzählperspektive des Romans in eine leicht altmodisch-nostalgisch wirkende Bildsprache zu übertragen und dabei auch die kauzigen Nebencharaktere ins rechte Licht zu rücken.

Der wichtigste Mann im Dorf ist der Optiker.Luise ahnt, dass er in ihre Großmutter Selma verliebt ist. Und das schon seit Jahrzehnten. Aber auch auf seine älteren Tage ist er immer noch zu schüchtern, sich ihr zu erklären. Er versucht es mit Liebesbriefen. Hunderte von Briefen. Sie bleiben unvollendet. Karl Markovics spielt den verliebten Optiker mitreißend und fast ohne Worte. Der Film kommt ohne Politik, ohne Gott, ohne Glanz und Glamour aus und hinterlässt doch einen bleibenden Eindruck. Trotz trauriger Begebenheiten und tragischer Todesfälle bleibt der leise Humor stets präsent.

KURIER: War es Ihnen nach Lektüre des Drehbuchs klar, dass der Stoff auch als Film funktioniert?

Karl Markovics: Ich kannte das Buch nicht. Aber das Drehbuch fand ich schon beim Lesen sehr, sehr schön. Dass es in Deutschland möglich ist, so eine Geschichte zu verfilmen, die so gar nicht den Sehgewohnheiten eines breiten Publikums entspricht, hat mich auf Anhieb begeistert. Ich kannte damals den Regisseur Aron Lehmann noch nicht – er hat übrigens auch das Drehbuch geschrieben. Aber ich dachte mir: ‚Wenn der das schafft, für diese Geschichte die richtigen Bilder zu finden, dann wird das ein toller Film!‘ Mir ist erst später klar geworden, dass das Buch ein Bestseller war, den unglaublich viele Menschen gelesen haben. Als ich Freunden und Bekannten am Beginn dieses Projekts erzählte, was mein nächster Film sein wird, merkte ich, dass wirklich jede und jeder den Roman gelesen hat. Inzwischen kenne ich ihn auch, aber ich war froh, dass ich zuerst gar nicht wusste, worauf ich mich da einlasse.

Sie sind selbst auch Drehbuchautor und Regisseur – und selbst Spezialist für ungewöhnliche Geschichten. Wie ist es, wenn man mit Ihnen quasi „nur“ als Schauspieler zusammenarbeiten will? Wollen Sie sich da auch in die Gestaltung eines Films einbringen?

Im Gegenteil. Bei mir war das früher so. Denn schon als Kind hat mich die gestalterische Seite des Films und auch des Theaters interessiert. Ich wollte schreiben und Regie führen. Und wenn ich früher an einer Produktion „nur“ als Schauspieler engagiert war, habe ich mir schon oft gedacht, das würde ich jetzt anders machen. Oder: Schade! Aus der der Szene könnte man mehr herausholen. Und ich habe auch Vorschläge gemacht, die oft aus Zeitgründen, oder weil der Regisseur anderer Meinung war, nicht umgesetzt werden konnten. Eines Tages habe ich dann zu mir selbst gesagt: dann probiere es doch, ob du es tatsächlich kannst oder sogar besser kannst. Seitdem ich selbst Drehbücher schreibe und Filme mache, habe ich einen ganz anderen Blick auf Schauspieler bekommen - auch auf meine Arbeit. Meine Achtung vor dem Schauspielberuf ist enorm gestiegen – aber auch die vor der Aufgabe eines Regisseurs. Ich bin sicher ein angenehmerer Schauspieler für Regisseure geworden, indem ich mich als Schauspieler ganz in ihre Hände begebe. Aber bevor ich mich auf ein Projekt einlasse, möchte – nein: muss – ich dem jeweiligen Regisseur vertrauen.

Wie sehen Sie unter diesem Aspekt die Entwicklung in Hollywood zu immer mehr Spezialeffekten und Animation, etwa bei „Avatar 2“? Man muss schon ein geübtes Auge haben, um etwa in einem der Wasserwesen Cate Blanchett zu erkennen – zeugt das noch von Respekt vor der Schauspielkunst?

Für mich ist das eine Nischenproduktion. Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Filme je Standard werden. So wie auch die 3-D-Technologie ist in ihrer Nische geblieben, obwohl die Umsetzung inzwischen nahezu perfekt ist. Diese animierten, digitalisierten, tricktechnisch aufgemotzten Filme haben die menschlichen Schauspieler nicht verdrängen können und werden es auch weiterhin nicht tun. Das sehe ich bei vielen der super-teuren Netflix- und Streaming-Produktionen genauso. Die haben alle eine gewisse leblose Ästhetik, die man nicht lange erträgt. Und wer sich tatsächlich alle Folgen so einer Serie reinzieht, braucht danach erst recht „lebendes Fleisch“.  Man braucht dann wieder Wahrhaftigkeit und die können nur lebendige und analog erlebbare Schauspielerinnen und Schauspieler bieten.  Und darin sehe ich auch die Chance für das Kino. Das gemeinsame Erleben von großen Bildern mit gar keinen oder nur wenig ablesbaren Digital-Effekten.

Aber geht damit nicht ein Teil der filmischen Magie verloren?

Was ist filmische Magie? Ich bin ja als Zuschauer auch nicht so deppert, dass ich blaue Wesen, die auf fliegenden Fischen über die Kinoleinwand gleiten, für Zauberei halte. Wenn Menschen in so etwas reinkippen wollen, dann ist das eine gewisse Infantilisierung, die da stattfindet, die aber auch niemanden stört. Stören würde es mich nur, wenn solche Filme die Geschichten verdrängen, die uns menschlich bereichern können. Das verstehe ich unter Magie.

So wie das Kino nie das Theater und das Fernsehen zumindest bisher nicht das Kino verdrängen konnte?

Das Theater bedient natürlich noch mehr das, was ich vorhin als „lebendes Fleisch“ bezeichnet habe, das wir zum Überleben brauchen. Schauspieler, die auf einer Bühne stehen, und uns live mit geistiger Nahrung versorgen. Je einfacher, je analoger, desto krisenfester ist das Geschichtenerzählen und damit auch die Schauspielerei. Große Texte bedeutender Dichter einem Publikum zu Gehör und damit nahe zu bringen, geht immer. Auch ohne großen Aufwand, ohne Kamera und ohne Technik. Deshalb habe ich auch neben meiner Filmarbeit immer wieder Theater gemacht. Ich brauche das, um die Bodenhaftung, die Erdung nicht zu verlieren. Aber im Kino geistig abzuheben, hat auch eine ganz eigene Magie. Auch in Millionen-Dollar-Produktionen ist oft der Moment, auf den es ankommt, einer, in dem Menschen miteinander reden, einander anschauen und dem Publikum eine Gefühlswelt vermitteln, in der sie sich wiedererkennen können.

Sie spielen die Rolle des Optikers in „Was man von hier aus sehen kann“ ohne viele Worte, dafür aber mit viel Ausdruck. Ist das eine Rolle, die Sie besonders gerne gespielt haben?

Ja. Absolut. Ich komme vom physischen Theater. Ich habe am Serapionstheater begonnen, ohne Sprache. Ein Theater, das Themen vorgibt, aus denen sich spielerisch Situationen ergeben. Ich BIN meine Hände, mein Körper, der Ausdruck meines Gesichts. Und das ist immer der Grundstock gewesen für jede meiner Rollen. Der erste Ansatz war immer das Sichtbare, die Oberfläche.  Hugo von Hofmannsthal – mit dem ich in vieler Beziehung nur wenig anfangen kann – hat einmal den schönen Satz gesagt: ‚Die Tiefe muss man verstecken. Wo? In der Oberfläche.‘ Das ist irgendwie ein Leitmotiv für meine Schauspielerei. Und in diesem Film konnte ich das anwenden.

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