Sarah Kuttner: Auch das grantige Hündchen hat Angst vor der Liebe

Sarah Kuttner
Muss man seine Eltern auch mit 30 hassen? Darf man sich dann endlich selbst lieb haben?

Auf ihrer Facebook-Seite hat die Berliner Fernsehmoderatorin geschrieben:

Eben habe sie erfahren, dass unter der Erde verwesende bzw. verbrannte Körper eine enorme Umweltverschmutzung seien.

"In Schweden arbeitet man an Schockfrostung von Leichen mit anschließendem Wasserentzug und umweltschonender Zerbröselung. Das mach ich!"

Gutes Thema.

Und? Nichts und (leider): Sarah Kuttner hat sich in ihrem dritten Roman lieber um eine schlechte Kindheit gekümmert.

Solche Bücher sind nicht ganz unbekannt. War das nicht erst kürzlich bei Jonathan Franzen so ähnlich?

Die Tochter, ein Scheidungskind, gibt sich die Schuld am Scheitern der Ehe. Für Mutter musste und muss sie immer Therapeutin spielen, der Vater ist irgendwo in England.

Bei Jule kommt hinzu: Als sich ihre Mutter showmäßig vor ein Taxi warf, hielt sie die damals Sechsjährige fest an der Hand ...

Tochter Jule ist ein gleichgültiger Mensch geworden. Sie hasst. Zu Mitleid ist diese Frau, die wir im Alter von Anfang 30 kennenlernen, nicht fähig.

Wird schon, wird schon. In "180 Meer" übersiedelt sie von Deutschland zum jüngeren Bruder, der in London studiert, und sie erweitert dort ihren Blickwinkel.

Dabei ist ein Hündchen hilfreich (Sarah Kuttner hat ein Hündchen, Sarah Kuttner ist ein Scheidungskind), das so grantig ist wie sie selbst. So frustriert. So sehnsüchtig nach Liebe, aber voller Angst davor.

Knibbeln, rödeln

Von der Kritik hat die Autorin für ihren Erstling "Mängelexemplar" und für Buch Nr. 2 "Wachstumsschmerz" einige böse Schläge hinnehmen müssen.

Hier wird ihr das jetzt nicht widerfahren. Sarah Kuttner schreibt Literatur. Traurige, witzige, jedenfalls ernstzunehmende. Immer seltener flüchtet sie zu Schnoddrigem.

Dass ab und zu ihre Heldin an Schuhsohlen "knibbelt" und "in der Küche herum rödelt", das macht ja FAST Spaß.

Es herrscht zunehmend gute Atmosphäre im Roman, immer mehr Farbtupfen durchbrechen das Grau ... sind denn nicht Leichen auch Nahrung für Lebewesen, also nicht nur Umweltverschmutzung?

’s ist wirklich ein interessantes Thema.

Sarah Kuttner:
„180 Meer“
S. Fischer Verlag.
272 Seiten.
19,60 Euro.
Hörbuch, gelesen von der
Autorin, um 20,99 Euro.

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