Samara Joy führt es vor: Der Jazz ist nicht tot

Samara Joy muss man keine große Zukunft prophezeien. Die erst 24-jährige Amerikanerin ist eine der aufregendsten neuen Stimmen in der Jazzszene der Gegenwart. Zwei Grammy-Awards in den Kategorien „Best New Artist“ und „Best Jazz Vocal Album“ für ihr Debüt „Linger Awhile” (2022) hat sie bereits gewonnen.
Warm und samtweich, ausdrucksstark, nuanciert und auch in hohen Lagen intonationssicher ist ihre außergewöhnliche Stimme, die sie scheinbar mühelos einsetzt und die in der zurückhaltenden Quartett-Begleitung Mittwoch auf Europa-Tournee im Wiener Konzerthaus besonders strahlt.

Sie steht in der Tradition der First Lady of Song: Ella Fitzgerald ist hörbar ihr Vorbild, die junge Sarah Vaughan ihr ähnlich, relaxt swingend u. a. als Turteltaube in „Reincarnation Of A Lovebird“ von Charles Mingus. Erstaunlich: Sie singt Standards in einem geradlinigen Stil, der zuletzt in den 1950er- und frühen 60er-Jahren allgemein populär war – und erreicht auch ein junges Publikum via TikTok.
Ob Thelonious Monks einziger Walzer „Ugly Beauty“, eine langsame, süße, leicht melancholische Melodie, ob der rasante Titel „Tight”, bekannt als atemberaubende Bebop-Nummer von Betty Carter, oder Joys Eigenkomposition „Peace of Mind“: Stets wird technisch perfekt und stilistisch tadellos auf höchstem Niveau performt.
Joy hat auch von Sängern selten Gehörtes im abwechslungsreichen Repertoire: „Left Alone“, einen Song von Mal Waldron und Billie Holiday, den die „Lady Day“ selbst nie aufgenommen hat, „Now and Then“, eine Hommage an die Pianistenlegende Barry Harris, das obskure Monk-Stück, „San Francisco Holiday (Worry Later)“ oder „Dreams Come True“ von Sun Ra. Joys phänomenales Können und ihr Potenzial strahlen Beruhigendes aus: Sie und diese Musik haben eine glänzende Zukunft.
KURIER-Wertung: Viereinhalb Sterne
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