Jubel für eine Oper, die gar keine richtige Inszenierung hatte

Es ist von einer Preziose im Programm der Salzburger Festspiele zu berichten, die am Ende Standing Ovations hervorrief, obwohl es sich um einen geradezu bescheidenen Abend handelte. Aber vielleicht ist ja genau das eines der Probleme des heutiges Opernbetriebes, dass Vieles zu groß geworden ist, der Aufwand, das Eventhafte, die Erwartung - nicht nur in Salzburg, auch (und vor allem) andernorts. Wahrscheinlich ist es ganz wichtig, Manches auch wieder einmal bewusst kleiner zu machen, sich auf die Essenz zu fokussieren. "Liebling, ich habe die Oper geschrumpft" - das könnte durchaus ein Hit werden.
Die Preziose: Wolfgang Amadeus Mozarts "Mitridate, re di Ponto" im Haus für Mozart, vormals Kleines Festspielhaus, also am richtigen Ort. 14 Jahre alt war das ehemalige Wunderkind und der nunmehrige Wunder-Teenager, als er den Auftrag für diese Komposition, seine erste Opera seria, bekam und in Mailand herausbrachte. Bald verschwand das Werk wieder von den Bühnen, 200 Jahre lang, bis es in den 1970er Jahren in Salzburg wiederbelebt wurde. Seither ist ebendort eine Produktion im Mozartjahr 2006 in der Inszenierung von Günter Krämer erinnerlich, im Residenzhof, auf einer Bühnenschräge, dirigiert von Marc Minkowski. Und eine gefeierte Inszenierung von Robert Carsen im Theater an der Wien.
Diesmal gibt es eine semiszenische Produktion, was regelmäßige Opernbesucher zunächst einmal skeptisch macht, weil es zumeist die Legitimation für Sängerinnen und Sänger ist, nichts auf der Bühne tun zu müssen als den Gesang mit eintrainierten Gesten aus dem Opernhandbuch zu untermalen. Nicht so in diesem Fall: Birgit Kajtna-Wönig, die Semi-Regisseurin dieses Abends, hat mit den Protagonisten fabelhaft gearbeitet, die Personenführung ist besser als an den meisten full-szenischen Abenden. Es wird in eleganten Kostümen (Bernadette Salzmann) freudvoll drauflos gespielt, und es ist auch sehr lustig, etwa wenn der Dirigent miteinbezogen, vom Podium gestoßen oder eine Geige zertrümmert wird.
Birgit Kajtna-Wönig hat das Orchester, dem Semi-Anlass entsprechend, auf der Bühne positioniert - das hat sie zuletzt auch in Hamburg gemacht, wo sie "Mitridate" all-in inszenierte. Exzellent ist nun in Salzburg die Idee mit zwei Bildschirmen auf der Bühne und deren Bespielung. Man kann nicht nur das Libretto mitlesen, sondern erfährt auch durchaus Ironisches über die Figuren, Hintergründe, und man sieht Bewegtbilder im Asterix-Stil.
Die Erklärung der Geschichte ist diesfalls wichtig und sympathisch, weil ja kaum jemand die Story kennt: König kämpft sein Leben lang gegen die Römer; gibt vor, bei einer Schlacht umgekommen zu sein, um seine beiden Söhne zu testen, ob sie ihm Thron und Geliebte ausspannen wollen; am Ende geht er selbst in den Tod, und alles wird gut - würde man heute wohl anders erzählen. Als Bühnenbild reichen ein Podest und ein güldener Thron, im Zentrum steht durch das Orchester ohnehin die Musik.
Die ist von Adam Fischer, dem (Nicht nur)-Mozart-Könner am Pult des Salzburger Mozarteumorchesters, zauberhaft gestaltet, frisch, frech, leicht, verspielt, klanglich schön ausbalanciert und dramaturgisch überzeugend. Man hört die Mozart'sche Meisterschaft in jeder Sequenz, die Raffinesse, die virtuose Instrumentation. Eine große Arie des Sifare (phänomenal: Elsa Dreisig) kombiniert er mit einem Horn-Solo, der Musiker (Rob van de Laar) steht hier gleichrangig auf der Bühne, damit probiert Mozart erstmals aus, was er später in "Così fan tutte" bei der Fiordiligi-Arie "Per pietà" perfektioniert hat. Eine Arie der Ismene (ebenfalls exzellent: Julie Roset) lässt Mozart wiederum nur von einem Streichquartett begleiten, was auch für berührende Momente sorgt und seine herausragende Begabung zeigt.
Das Mozarteumorchester spielt so gut und logisch, dass man sich die permanente Mozart-Frage - nicht lieber doch im Originalklang? - gar nicht stellt, die Stilistik (auf klassischen Instrumenten) passt perfekt. Rupert Burleigh spielt die Secco-Rezitative am Hammerklavier famos (und wird in der Semi-Inszenierung auch einmal weggestoßen und durch den Protagonisten ersetzt).
Zum durch und durch beeindruckenden Abend wird jener aber erst durch die Sänger. Pene Pati, ein Tenor aus Samoa (der einzige), singt den Mitridate, als ginge es um sein Leben, mit einem enormen Stimmumfang, wilden Sprüngen, guter Höhe, markantem Timbre, viel Kraft und dennoch phasenweise schöner Phrasierung. Bei seiner Gestaltung geht es um Glaubhaftigkeit, um Intensität, mehr als um Präzision.
Sara Blanch ist seine Verlobte Aspasia, ausdrucksstark und berührend. Elsa Dreisig ist innerhalb des sehr guten Ensembles in der Hosenrolle eines Mitridate-Sohnes die beste: mit perfekt geführtem Sopran, tollen Koloraturen, Klarheit in der Höhe und wunderschönen Bögen.
Zwei Countertenöre passen geradezu ideal zu diesem Werk und in diese Produktion: Paul-Antoine Bénos-Djian als rebellischer, kraftsstrotzender Farnace, Iurii Iushkevich als zarter, lyrischer Arbate. Julie Roset als Ismene besticht mit ihrem schönen Sopran, Seungwoo Simon Yang ist als intriganter Marzio in der Intonation nicht immer ganz klar, aber die Römer sollen hier ja die Idylle brechen.
Ein bezaubernder Abend, der einen einzigen Nachteil hat: seine Singularität. Die Wertschätzung des Publikums für diese Reduktion, Verdichtung und den Fokus auf die musikalische und sängerische Qualität war ebenfalls singulär.
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