Ein Auftritt wäre unter diesen Umständen lebensgefährlich gewesen. Hinterhäuser, selbst ein begnadeter Pianist, erwiderte die Rufe aus dem Publikum „Hinterhäuser ans Klavier“ mit einem besorgten „ein anderes Mal“. Denn die Sorge um den großen Künstler überschattet diesen Vormittag in Salzburg.
Jeden Sommer Gast
Am 5. Jänner war Pollini 80 geworden. Seit 50 Jahren bereichert der gebürtige Mailänder fast jeden Sommer die Festspiele. Am 19. August debütierte er mit Schumanns 3. Klavierkonzert beim Konzert der Wiener Philharmoniker unter Claudio Abbado. Am Tag darauf folgte sein erster Solo-Abend. Auf Schubert hatte er Beethovens vorletzte Sonaten, das Opus 109 und 110 folgen lassen. Berühmtheit in der Klavierwelt verschaffte ihm sein Sieg beim renommierten Chopin-Wettbewerb 1960 in Warschau. Arthur Rubinstein lobte den damals 18-jährigen, der mehr könne als alle anderen zusammen. Doch Pollini ließ sich vom Erfolg nicht beirren. Er studierte weiter, vertiefte sein Können, seine Fingertechnik. Werke von Schönberg, Bartók und Strawinsky machte er zu seinem Kernrepertoire. Was man ihm nicht hoch genug veranschlagen kann, ist sein Einsatz für Neue Musik als er bereits im Weltrang agierte. Legendär ist seine Einspielung der 2. Klaviersonate von Pierre Boulez. Auch Karlheinz Stockhausen mutete er seinem Publikum zu. Sein Landsmann Luigi Nono, einer bedeutendsten Komponisten Italiens des 20. Jahrhunderts, öffnete ihm den Blick auf die Politik. Pollini setzte sich für die Gewerkschaften ein, trat gegen den Vietnam-Krieg auf und immer wieder gegen rechte Tendenzen in seinem Land.
Unvergessen: 2021
Die Politik aber beeinträchtigte nie seine Kunst. An den Tasten blieb er der große Intellektuelle, der Suchende nach dem idealen Klang. Unvergesslich sein Auftritt im Musikverein im Juni 2021 nach den düsteren Zeiten des Lockdowns. Schumanns „C-Dur-Fantasie“, ein Kraftakt und dann auch noch Chopins zweitw Klaviersonate in b-Moll mit dem „Trauermarsch“, interpretierte er tiefsinnig, verstörend. Wie schön wäre es gewesen zu hören, was er jetzt mit Beethovens „Hammerklaviersonate“ vorgehabt hätte.
Eigener adaptierter Flügel
Man müsse für jeden Komponisten ein eigenes Klavier haben, meinte er einmal. Natürlich ist das im Konzertbetrieb nicht möglich, so ließ er sich vom italienischen Klavierbauer Angelo Fabbrini einen Steinway bearbeiten. Mit diesem Flügel reist er seit Jahrzehnten um die Welt. Der blieb nun verwaist auf der Bühne im Großen Festspielhaus. Was bleibt, ist die Sorge um diesen Weltkünstler, der Dank, was er der Musikwelt bisher geschenkt hat und die Hoffnung, ihn bald wieder zu hören.
Von Susanne Zobl
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