Sabine Gruber: Priebke geht in Rom spazieren

Sabine Gruber: Priebke geht in Rom spazieren
Südtirol und Rom, Nazis und Kommunisten. Und viel Liebe. Trotzdem ist es ein Roman, den man nicht nacherzählen kann.

Diesen Roman kann man nicht nacherzählen. Südtirol und Rom, Nazis und Kommunisten. Und viel Liebe. Leider kann man nicht sagen: "Stillbach oder Die Sehnsucht" ist der beste österreichische Roman der ersten sieben Monate 2011. Die Schriftstellerin Sabine Gruber lebt zwar in Wien. Aber sie ist Südtirolerin und hat den italienischen Pass.

Es ist eine Liebesgeschichte. Es sind sogar zwei Liebesgeschichten, zwischen denen Jahrzehnte liegen (1978 und jetzt). Die Frauen wechseln. Der Mann ist Paul, ein Historiker, der Reisegruppen Rom zeigt und alles über Faschismus und Nationalsozialismus weiß.
Was der uns fast nebenbei hinwirft (bzw. was Sabine Gruber recherchiert hat), erfährt man sonst bestenfalls aus Sachbüchern ...

Italiener kennen kein Wort für Vergangenheitsbewältigung

Sabine Gruber: Priebke geht in Rom spazieren

Dass die Italiener kein Wort für Vergangenheitsbewältigung haben, ist logisch für ein Land, in dem ungeniert Mussolini-Wein verkauft wird und der Fußballer Cannavaro die Trikolore mit Liktorenbündel in die TV-Kamera hält.

Italiens Fußballtormann Nr. 1 Buffon hatte gar überlegt, die Rückennummer 88 zu tragen. Den Code der Neonazis.

Priebke geistert durch Rom und den Roman. Erich Priebke. Lebenslang hat der Deutsche mit Verspätung (Flucht nach Argentinien, Wursthandel) bekommen.
Priebke war am Massaker der SS in den Ardeatinischen Höhlen beteiligt gewesen, als die Nazis aus Rache für ein Attentat 335 Italiener erschossen haben.

Nach dem Urteil (1998) wurde er in einer römischen 120-Quadratmeter-Wohnung einquartiert - in Nachbarschaft eines Buchenwald-Überlebenden.
Hausarrest auf Italienisch, unbewacht. Der 97-Jährige ist angeblich fit. Er darf spazieren gehen. Dass ihm am Ende von "Stillbach" ein Liebespaar unbeabsichtigt zu Füßen liegt, ist zu viel. Aber schon in Ordnung, weil man sonst zu wenig von ihm hört.

Ein fiktiver Ort namens Stillbach

Das ist das Herausragende an Grubers Buch. Denn eigentlich geht es "nur" um Ines, eine Südtirolerin aus dem fiktiven Ort Stillbach, die in Rom gelebt hat und jetzt gestorben ist.
Ihre beste Freundin Clara reist aus Wien an, um den Haushalt aufzulösen. Sie findet ein Manuskript über das Jahr 1978, als Ines als Zimmermädchen in Rom jobbte.

Eines geht ins andere, alles ist miteinander verbunden - ohne Lötspuren und ohne zu verwirren: Da sind die Südtiroler, die fürs Deutsche Reich votiert haben. Und es schlapfen arme Landmädchen vom Norden zu den reichen Italienern; ihre Arbeit rettete den elterlichen Bauernhof. Im Bozner Franziskanerkloster fand inzwischen Eichmann Unterschlupf, und plötzlich riecht es nach der Sehnsucht einer alten Frau:
In den 1940er-Jahren war Emma in Rom picken geblieben. Heute schnuppert sie am Rasierwasser namens "Alt Innsbruck", um die Kühle der Berge zu spüren.

Sogar die Leiche des Christdemokraten Aldo Moro im roten R4 hat Platz in "Stillbach". Und, nein, das ist überhaupt nicht überladen. Das gehört in diese Liebesgeschichten (über die hier gar nichts berichtet wurde. Gut so.) Das macht sie größer. Groß. Das macht sie einmalig.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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