Rudolf Buchbinder: "Es rührt mich zu Tränen"

Konzertpianist Rudolf Buchbinder ist 70.
Der Pianist Rudolf Buchbinder über die Auszeichnung der Philharmoniker, Nervosität und gute Traditionen.

KURIER: Sie feiern (am heutigen Donnerstag, Anm.) 70. Geburtstag. Wie viele Konzerte spielen Sie in der Geburtstagswoche?Rudolf Buchbinder: Drei mit den Wiener Philharmonikern im Musikverein, eines in Luxemburg, dann ein weiteres im Wiener Konzerthaus. Und später im Dezember dann noch drei in Berlin mit den dortigen Philharmonikern und mit Thielemann.

Bleibt da überhaupt noch Zeit zum Feiern?
Ich feiere das ganze Jahr. Ich nütze jede Gelegenheit, um zu genießen, um zu leben – und auch um zu entspannen. In einem Lexikon ist bei meiner Biografie übrigens der Punkt verrutscht. Da heißt es nicht 1. 12, sondern 11. 2. Ich bekomme also immer wieder im Februar Gratulationen. Dagegen habe ich gar nichts.

Sie werden nun im Musikverein Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Welchen Stellenwert hat das für Sie?
Es rührt mich zu Tränen, dass ich von diesem Orchester so honoriert werde. Nachdem ich vor einiger Zeit auch Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde geworden bin, ist das jetzt das Schönste, was man als Wiener, nein, als Musiker erleben kann. Ich will ja nicht nur als Wiener Pianist gelten, der sympathische, der liebe.

Sie wurden in Wien nicht immer so euphorisch gefeiert ...
Nein, es hat lange gedauert. Ich glaube, dass meine eigene Entwicklung maßgebend zu dieser Anerkennung in Wien beigetragen hat. Es genügt ja nicht, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen, man muss sie übertreffen.

Erfüllen Sie Ihre eigenen Erwartungen?
Die sind am allerschwersten zu erfüllen, weil man sich die Latte sehr hoch legt. Ich werde auch von Konzert zu Konzert nervöser.

Warum? Wie äußert sich das?
Man grübelt und grübelt, und kommt immer auf neue Dinge drauf. Und dann weiß man nie, ob man all dem gerecht wird. Wie sich das äußert? Zum Beispiel hier im Musikverein: Ich sitze in der Garderobe, es ist alles gut, ich habe warme Hände. Und dann gibt es diesen schmalen Gang zum Podium, den ich vergleiche mit dem Zirkus, dort, wo die Löwen durchgehen. Da kann ich machen, was ich will: Die Hände sind plötzlich eiskalt und steif. Ich bin nicht imstande, das zu regeln.

Wie lange dauert die Nervosität?
Ein paar Minuten. Dann legt sie sich zum Glück. Lorin Maazel, mit dem ich viele Tourneen gespielt habe, hat mir immer gesagt: Man sieht es nicht, aber ich bin genauso nervös. Und es gibt für dich als Instrumentalisten ein Mittel dagegen: Konzentrier dich nur auf den ersten Ton. Alles andere kommt von selber.

Was ist das Schlimmste, das Ihnen jemals live passiert ist?
Das war bei einem Kammermusikabend im Brahmssaal. Der Noten-Umblätterer hat mir den Klavierdeckel auf die Finger geklappt. Ich spiele gerade, sehe das – und konnte ihn gerade noch abfangen.

Nehmen Sie das Publikum beim Spielen wahr?
Nicht zu Beginn. Aber ich spüre es. Für mich ist der Liveauftritt sehr wichtig, diese Atmosphäre. Wer im Publikum sitzt, bemerke ich erst bei den Zugaben. Aber ich bin ja kein großer Zugabenspieler. Zwei, drei, mehr ist fast eine Zumutung für das Publikum.

Wie viele Stücke haben Sie im Kopf und jederzeit abrufbar?
Von den 60 Klavierkonzerten, die ich aufgeführt habe, sind 30 jederzeit abrufbar, da habe ich jede Orchesterstimme im Kopf. Wenn die Oboe aussetzt, kann ich das vorpfeifen. Von den Solostücken, abgesehen von den 32 Beethoven-Sonaten, noch einmal so viele. Also zusammen sicher 100. So lange kann man Stücke nur im Kopf haben, wenn man sie langsam einstudiert. Wenn man ein Jahr Zeit hat, wächst das in den Körper hinein.

Haben Sie während des Spiels Zeit zum Denken? Oder werden Sie gedacht?
Ja, es ist eigenartig, was während eines Konzertes im Kopf herumwandert. Genauso, wie ich in der Nacht des Öfteren aufwache und sofort beginne zu arbeiten. Und da kommen Noten, aber ich kann nicht beeinflussen, welche. Um drei Uhr Früh kommt irgendein Stück in den Schädel, das ich überhaupt nicht brauche. Dann sage ich: Bitte höre auf!

Gibt es für Sie eine Art Lieblingsstück, ein zentrales, das Sie ständig begleitet?
Ich habe zuletzt in Luzern die Schumann C-Dur-Fantasie gespielt. Die habe ich schon zur Reifeprüfung im Brahmssaal gespielt. Das hat mich ein Leben lang begleitet. Aber es geht nicht nur um Stücke, es geht oft um Stellen. Etwa die Rückführung zur Reprise im ersten Satz des zweiten Klavierkonzerts von Brahms (er singt). Da kommen einem die Tränen.

Haben Sie je ein anderes Instrument gespielt?
Nie. Das bringt nix. Ich wäre nicht gut genug. Zweigleisig zu fahren, ist überhaupt ganz schlecht.

Der Klassik-Zirkus dreht sich schneller und schneller. Wie problematisch sehen Sie das?
Etwas hat sich geändert: Man erwartet den Erfolg nicht morgen, sondern schon gestern. Die Sensationsgier ist gewaltig. Es gibt keine langfristige Planung mehr. Ich kann das aber nicht hören, wenn es heißt: Der arme Künstler wird verbraucht. Es gehören immer zwei dazu. Man kann auch Nein sagen. Mein Vorbild bezüglich Entwicklung war immer Claudio Arrau. Er war am Ende seines Lebens am Höhepunkt seiner Karriere. Das ist das Schönste, das einem passieren kann.

Bei Ihnen scheint es auch in diese Richtung zu gehen ...
Es tut mir nur ein bissl weh, dass ich, wenn ich nicht mehr bin, nicht mehr weiß, wie es weitergehen könnte. Das werde ich nie erfahren.

Sie sind ja nicht nur Pianist, sondern auch Intendant in Grafenegg. Ihr dortiger Vertrag wurde soeben bis 2021 verlängert. Gibt es da noch Entwicklungspotenzial?
Ich vergleiche das Festival mit einer Karriere: Es ist sehr schwierig, hinaufzukommen. Aber viel schwieriger, oben zu bleiben. Die erste Maxime ist: Das Niveau zu halten. Und dann versucht man noch, sich ein bisschen zu steigern.

Es heißt oft: Der Klassikbetrieb ist in einer Krise. Ihre Konzerte sind fast immer ausverkauft. Wie lange kann das noch so weitergehen?
Ich verstehe nicht, warum man herummatschkert. Gute Traditionen soll man hegen und pflegen. Was gibt es an unserem Konzertbetrieb auszusetzen? Die Leute tendieren immer mehr und mehr zum Liveerlebnis. Ich spreche da nicht nur von der Klassik, auch die sogenannten Volksmusikkonzerte oder Popkonzerte sind übervoll.

Wien ist nach wie vor eine kulturnarrische Stadt, dennoch wird es überall eng mit dem Geld. Haben Sie die Befürchtung, dass manches kaputtgespart werden könnte?
Der Staat darf nie vergessen, dass wir ein Kulturerbe haben, um das uns die ganze Welt beneidet. Er hat das Mäzenatentum übernommen. Da muss er sich seiner Verantwortung bewusst sein. Manchmal bin ich ein bissl traurig, wie wir das behandeln. Es ist falsch, an der Kultur zu sparen. Selbst wenn es den Menschen schlecht geht, klammern sie sich an die Kultur und an die Religion.

Wen wählen Sie am Sonntag?
Das ist doch ganz klar.

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