In „They Shoot Horses, Don’t They?“ aus 1935 berichtet ein Icherzähler von den Ereignissen rund um einen damals, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, in den USA beliebten Tanzmarathon: Die Teilnehmer mussten tanzen, bis sie umfielen, und nebenbei noch Sonderprüfungen ablegen.
Sydney Pollack nachzueifern, der den Roman 1969 mit Jane Fonda und viel Zeitkolorit verfilmte, kam für das in der Selbsteinschätzung progressive Volkstheater naturgemäß nicht infrage: Es wurden bloß etliche Figuren dem Roman „entlehnt“. Und man teleportierte sie in ein dem „Dschungelcamp“ ähnliches Reality-Show-Format. Naturgemäß steht auch nicht der Wettbewerb im Vordergrund: Das affige Tanzen zu Disco-Hadern von Donna Summer, Abba, Queen, Pulp und den Talking Heads findet in der Roten Bar statt. Man hört nur fernes Bass-Wummern und sieht auf der Leinwand Zuspieler.
Allerdings erfährt man auch im „Backstagebereich“ auf der Bühne des Volkstheaters nicht viel über die fünf Paare, die noch im Rennen sind, und deren Qualen.
Denn die angebliche Dramatisierung von „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ ist lediglich die Rahmenhandlung oder gar nur der Rahmen (Handlung gibt es keine) für eine Nummernrevue anlässlich der Eröffnung des Volkstheaters vor 130 Jahren. Man könnte also von Rosstäuscherei sprechen.
In greller Showmaster-Manier lassen Evi Kehrstephan und Jan Thümer als Rosie und Rocky, einander ins Wort fallend, einige behauptete Höhepunkte aus der Geschichte des Volkstheaters „Revue passieren“. Nicht chronologisch, aber dafür tendenziös. Denn man erzählt nicht, wie es zur Gründung des Volkstheaters durch den Dramatiker Ludwig Anzengruber und mehrere Industrielle als durchaus bürgerliche Institution kam.
Man erzählt auch nicht, dass die Nationalsozialisten den Eigentümer, den „Verein des Deutschen Volkstheaters“, enteigneten. Man erfährt bloß, wie das NS-Kraft-durch-Freude-Theater nach dem Weltkrieg zum Gewerkschaftsbund kam, der sich als Rechtsnachfolger der Deutschen Arbeitsfront sah.
Als „Sonderprüfungen“ dürfen die Teams Szenen aus Stücken spielen, die „aufführungsgeschichtliche Bedeutung“ gehabt hätten. Weil z. B. die Österreich-Premiere von Arthur Schnitzlers „Reigen“ 1921 im Volkstheater stattfand, spielen Günter Wiederschwinger und Steffi Krautz eben die schnelle Soldat-Dirne-Nummer.
Das Konzept gerät allerdings durcheinander, da die Passage aus dem Dreipersonenstück „Vor dem Ruhestand“ (1979) von Thomas Bernhard von drei Ensemblemitgliedern gespielt wird. Und die Aufführung im Jahr 2005 sorgte nur deshalb für Erregung, weil Michael Schottenberg die Wandverkleidung des Hitler-Zimmers als Bühnenbild verwenden wollte.
Insgesamt werden acht zusammenhanglose Szenen gespielt, darunter aus „Mutter Courage“ von Bert Brecht und „Change“ von Wolfgang Bauer. Regisseur Miloš Lolic darf erst in den letzten zehn Minuten in Erscheinung treten: Wenn sich die Gloria Beatty der Birgit Stöger plötzlich das Leben nehmen will. Doch da ist es längst zu spät.
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